Der 36-jährige Marc Janko hat nach seinem Rücktritt Anfang Juli 2019 die Seiten gewechselt. Der ehemalige ÖFB-Stürmer schreibt Kolumnen und macht sich Gedanken über die Entwicklungen im Fußball und in der Gesellschaft.

STANDARD: In unserem internen Vermerk steht als Arbeitstitel: "Interview Marc Janko: über Fußball in Österreich und Deutschland, wohl auch über die Welt, vielleicht auch über Gott." Sollen wir mit Fußball beginnen?

Janko: Ja, das würde passen.

STANDARD: Sie haben kürzlich vom ramponierten Image des Fußballs geschrieben. Wieso ist das Image ramponiert?

Janko in einer beobachtenden Rolle.
Foto: EPA/Bruna

Janko: Seitdem ich denken kann, schwappen dem Fußball extrem viele Vorurteile entgegen. Das Bild der österreichischen Gesellschaft von den Fußballermillionären ist falsch. Ein paar wenige verdienen sicher sehr gut, aber der Großteil verdient nicht viel mehr als der Wirt um die Ecke. Dazu kommt, dass sie nur bis Anfang dreißig ihren Beruf ausüben können. Das Danach steht für viele unter einem ganz großen Fragezeichen.

STANDARD: Gehen wir zurück in den März. Für den Sport gab es wie für die Kultur erst sehr spät Lösungsansätze.

Janko: Am Anfang der Krise hieß es natürlich, dass sich der Sport hinten anstellen muss. Zuerst die systemrelevanten Berufe. Es ist klar, dass der Sport und die Kultur nicht unmittelbar systemrelevant sind, aber viele vergessen, dass Sport und Kultur wirkliche Berufe sind. Und man muss auch die Möglichkeiten schaffen, diese Berufe auszuüben. Sport bedeutet für viele Hobby, aber eben auch für viele Existenz. Das kann man nicht so lapidar abschasseln. Abgesehen davon ist Sport ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

STANDARD: Aber gerade in letzter Zeit wurde das Bewusstsein geschärft, dass der Mattersburg-Außendecker nicht so viel verdient wie ein Premier-League-Star. Zu spät?

Janko: Das ist rundum verschuldet. Die Leute haben im Kopf "Neymar wechselt um 222 Millionen von Verein A zu Verein B". Das sind absurde Summen, und es hat ein Ausmaß angenommen, das nicht mehr gesund ist. Auf der anderen Seite ist es ein klarer Fall von Angebot und Nachfrage. Wenn der Fußball so viel lukriert, dann entstehen solche Summen.

STANDARD: Dem System wurde durch die Krise auch der Spiegel vorgehalten. Stichwort Fernsehgelder: Der Sport richtet sich mittlerweile nach dem Medium der Veröffentlichung. Der Fußball gehört also den Fernsehtreibenden.

Janko: Dieses System haben wir uns selbst geschaffen. Wenn man als Verein von den TV-Geldern abhängig ist und auch die Hand aufmacht, dann ist es auch nicht zu viel verlangt, sich nach ihnen zu richten. Wer das Geld hat, schafft an. So haben wir unsere Gesellschaft ausgerichtet. Ob das gut, fair oder cool ist, sei dahingestellt.

STANDARD: In einer Woche startet die Bundesliga. Zu früh? Zu spät? Genau richtig?

Janko: Es ist schwierig zu sagen, weil es so viele Meinungen und Experten gibt und man nicht mehr weiß, auf was man sich verlassen kann und wem man vertrauen kann.

STANDARD: Sie haben kürzlich auf Twitter geschrieben, dass "Wissenschafter sich doch in Vermutungsschafter umbenennen sollten". Wie ist das gemeint?

Janko: Das war mit einem Augenzwinkern gemeint und auf keinen Fall despektierlich. Jede Woche kam ein angesehener Epidemiologe und präsentierte eine Studie, dann kam ein paar Tage später der Nächste und sagte etwas anderes. Ich dachte, dass Wissenschaft immer schwarz oder weiß ist. Da lag ich wohl falsch. Mir ist sehr wichtig zu betonen, dass die Wissenschaft eine unfassbar wichtige und wertvolle Arbeit leistet.

STANDARD: Das ist in diesem Fall wohl wirklich nicht so leicht einzuteilen.

Janko: Das habe ich auch gelernt. Uns als Laien hilft das aber nicht, weil die Gesellschaft klare Antworten braucht. Am Ende des Tages wird eben viel vermutet, das sagen auch die Epidemiologen. Die Bevölkerung weiß dann aber nicht mehr, was stimmt und woran man sich orientieren kann. Vielleicht wäre es besser gewesen zu sagen: "Wir wissen es nicht, aber wir vermuten." Das gilt auch für Medien.

STANDARD: Augenzwinkern ist in einer Zeit der Ungewissheit und auch der Angst ein Spiel mit dem Feuer.

Janko: Ja, auch das habe ich bemerkt. Ich habe geglaubt, dass der eine oder andere das aushält. Aber das ist natürlich aufgrund der aktuellen Situation, in der es um Existenzen geht, sicherlich schwieriger. Es ist ein anderes Spannungsumfeld, das habe ich in dem Moment nicht einberechnet. Und sollte ich da jemandem zu nahe getreten sein, tut es mir leid.

STANDARD: Sie sind einer der wenigen Sportler, die keine Scheu haben, Ihre Meinung in die Öffentlichkeit zu stellen. Sollten andere folgen?

Janko: Niemand sollte sich wichtiger nehmen als er ist. Ich habe aber auch gelernt, dass sobald du etwas öffentlich sagst, es auch kritische Stimmen geben wird. Der Schlüssel zum Scheitern ist, wenn du es jedem recht machen willst. Das gilt für mich, für Wissenschafter, für Politiker, für alle, die sich öffentlich äußern. Ich finde es schon wichtig, dass sich Sportler nicht nur zu Themen äußern, die den Sport betreffen. Weil gerade sie durch ihre Vorbildwirkung auch meinungsbildend sind. Ein Diskurs ist immer wichtig. Niemand sollte meinungstot gemacht werden.

Janko in der Rolle, in der man ihn kennt: mit dem Fußball.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

STANDARD: Meinungstot ist vielleicht ein starkes Wort. Andererseits sind wir auch angehalten, dieses Interview zur Autorisierung zu schicken. Meinung ist damit nicht tot, wird aber stark gefiltert und vereinheitlicht. Ist das nicht eine befremdliche Entwicklung?

Janko: Man darf hier nicht alle über einen Kamm scheren. Es stimmt, es wird viel autorisiert, aber auch nicht überall. Das hat ja oftmals nur den Sinn, zu überprüfen, ob Sachen aus dem Kontext gerissen wurden. Das ist auch auch keine Seltenheit. Und wenn's einmal geschrieben steht, bleibt genau das bei den Leuten hängen. Bei vielen Spielern geschieht das zum eigenen Schutz, wenn man zu Themen befragt wird, bei denen man nicht so sicher ist. Bei einem jungen Spieler kann das nach hinten losgehen. Gerade in einer Zeit, in der auch durch die sozialen Medien eine große Aufgeregtheit herrscht.

STANDARD: Viele Interviews mit Sportlern lesen sich dadurch sehr ähnlich.

Janko: Das liegt aber nicht nur an den Autorisierungen. Ich bin ja jetzt auch auf die Seite des Journalismus gewechselt. Die eine oder andere Frage, und da schließe ich mich mit ein, könnte einfach ein bisschen origineller sein. Dann bekommt man auch keine 0815-Antwort. Zum Beispiel wenn man nach dem Match gefragt wird: "Wie geht's Ihnen?" Was erwartet man sich da? Dann wird die Schallplatte abgespielt.

STANDARD: Welche Fragen waren besonders blöd?

Janko: Zum Beispiel wenn ich einen neuen Trainer bekomme: "Wie ist er denn so?" Was soll ich darauf sagen? Soll ich sagen, dass er humorlos und mir unsympathisch ist? Ich bin abhängig davon, ob er mich aufstellt. Am Ende des Tages kommt viel Blabla heraus, weil die eine Seite nicht weiß, was sie sagen soll, und die andere Seite total unkreativ ist.

STANDARD: Die Realität im Fußball heißt Geisterspiele. Haben Sie selbst Geisterspiele miterlebt?

Janko: Ja, in der Türkei. Zwei oder drei Geisterspiele. Die türkische Liga hatte dann einen interessanten Ansatz, nämlich dass nur Kinder und Frauen ins Stadion gelassen wurden. Es war eine andere Stimmung, aber immer noch besser als gar keine Fans.

Bild nicht mehr verfügbar.

Janko in seiner Rolle als Goalgetter bei Trabzonspor.
Foto: AP

STANDARD: Kann Fußball ohne Fans funktionieren?

Janko: Der Fußball lebt von den Fans, von der Wechselwirkung zwischen Mannschaft und Anhang. Wenn das genommen wird, ist mehr als die Hälfte kaputt. Die Geisterspiele begrüße ich deshalb, weil es aktuell vor allem um das Weiterexistieren der Vereine geht. Sie sind auf das Fernsehgeld, auf die Sponsorengelder angewiesen. Wenn der eine oder andere einen Abbruch will, ist das zu kurz gedacht. Weil vielleicht gibt es den Verein dann in ein bis zwei Saisonen nicht mehr. Das wird jetzt durchgezogen, um die Vereine am Leben zu halten.

STANDARD: Eine Grundsäule der Präventionsmaßnahmen ist die Eigenverantwortung der Fußballer. Kann das funktionieren?

Janko: Ich hoffe es.

STANDARD: Als schlechtestes Beispiel kann man den LASK nennen. Was sagen Sie zum unerlaubten Teamtraining?

Janko: Es war ein grobes Foul, eine grobe Unsportlichkeit. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Präsident Gruber am Anfang gesagt hat, dass Fußball sich nicht so wichtig nehmen soll und eine gesellschaftliche Verantwortung hat. Die Vorbildwirkung ist desaströs. Es ist, wie wenn Autofahrer auf der Autobahn hinter dem Rettungsauto in der Rettungsgasse nachbrettern und nur an das eigene Vorankommen denken.

STANDARD: Soll es Konsequenzen geben?

Janko: Es muss und es wird Konsequenzen geben. Seien es Punkteabzüge oder Europacup-Ausschluss. Nachhaltig wurden aber vor allem sehr viele Sympathien verspielt, die sie über die vergangenen Jahre aufgebaut haben. (Andreas Hagenauer, 26.5.2020)