Im Gastkommentar legt der Volkswirt Nikolaus Kowall dar, dass Österreich wirtschaftlich gesehen ein Bestandteil des europäischen Binnenmarktes ist. Unsolidarisches Handeln den südeuropäischen Staaten gegenüber könnte der Beginn des Zerfalls der EU sein. In einem weiteren Gastkommentar argumentiert Ökonom Philipp Heimberger für einen starken Wiederaufbaufonds nach deutsch-französischem Plan. Und Paul Schmidt, Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik, fordert von den EU-Abgeordneten, deutlich Position zu beziehen.

In Deutschland gab es in den letzten Wochen eine intensive Diskussion über ein europäisches Vorgehen gegen die Corona-Krise. Dabei hat sich der Mainstream in der öffentlichen Meinung im Vergleich zur Finanz- und Eurokrise, als man den südeuropäischen Ländern pauschal einen haushaltspolitischen Schlendrian unterstellte, verschoben. Die höhere Betroffenheit durch Covid-19 von Italien oder Spanien wird als unverschuldeter Zufall anerkannt. Deshalb wird auch in Kreisen, die bisher eine finanzielle Haftung des Nordens für den Süden ablehnten, einem europäischen Vorgehen mehr Bedeutung eingeräumt.

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Die "Sparsamen Vier" vor der Corona-Krise: Mette Frederiksen (li.), Sebastian Kurz (Mitte), Stefan Löfven im Gespräch mit Mark Rutte (re.).
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Politische Dimension

Sind die Deutschen selbstlos geworden? Nein, sie wissen nur, dass die Hälfte ihrer Exporte in die EU gehen. Sie verstehen, dass das Wachstum der Weltwirtschaft sich verlangsamt und wir möglicherweise bald Tendenzen zur Deglobalisierung beobachten werden. Sie halten es für möglich, dass in den nächsten Jahren im europäischen Binnenmarkt mehr wirtschaftliche Zukunft liegt als im EU-Außenhandel.

Die wacheren Köpfe sehen auch die politische Dimension. Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft der EU und hatte noch vor 20 Jahren ein höheres Pro-Kopf-Einkommen als Frankreich oder Großbritannien. Doch seit der Einführung des Euro hat Italien praktisch kein Wachstum mehr verzeichnet. Die zuchtmeisterliche Handhabung der Eurokrise durch Deutschland vor zehn Jahren hatte daran gehörigen Anteil.

"Feindliches Land"

Die geringe Solidarität mit Italien bei Ausbruch der Covid-19-Pandemie war auch nicht gerade hilfreich. Laut einer Umfrage vom April sieht fast die Hälfte der Italienerinnen und Italiener Deutschland als "feindliches Land", gefolgt von Frankreich (38 Prozent). "Befreundete Länder" sind in den Augen der Mehrheit China (52 Prozent) und Russland (32 Prozent). In den USA und Russland gibt es Trollfabriken, die aus geopolitischen Motiven derlei innereuropäische Spannungen verschärfen.

Wird diesem Unmut nicht begegnet, dann gedeiht weiterhin der Nährboden für nationalistische und antidemokratische Tendenzen. Würde Italien nach einem eventuellen rechtspopulistischen Wahlsieg den Ausstieg aus der EU und Eurozone suchen, wären die Folgen fatal. Politisch wäre es das Ende des jahrzehntelangen europäischen Einigungsprozesses.

Teurere Exporte

Wirtschaftlich würde ein Ende des Euros zu einer dramatischen Abwertung der Währung südeuropäischer Staaten führen. Dies würde nordeuropäische Exporte stark verteuern und dürfte nach wenigen Monaten Massenarbeitslosigkeit in den Schlüsselbranchen der Wirtschaft von Ländern wie Deutschland oder Österreich zur Folge haben. Deutschland erkennt endlich, dass man hier eine Schicksalsgemeinschaft bildet. Darum werden kurzfristige Kosten in Kauf genommen und überkommene Haltungen abgelegt.

Nun hat aber Sebastian Kurz gemeinsam mit den Regierungschefs der Niederlande, Schwedens und Dänemarks einen Gegenentwurf zum Merkel-Macron-Papier vorgelegt. Die wesentlichen Unterschiede sind erstens, dass statt der Zuschüsse Kredite vergeben werden. Damit ist das Element der Umverteilung eliminiert. Überdies führt es zu einer Erhöhung der Gesamtverschuldung jener Staaten, die Hilfe in Anspruch nehmen. Zweitens ist der Plan an "Reformen" und "Finanzrahmen" gekoppelt. Damit sollen, ähnlich wie bei der "Rettung" Griechenlands während der Eurokrise, Kredite an politische Vorgaben im traditionellen marktliberalen Sinne gekoppelt werden.

Demütigung Italiens

Italien, das mittlerweile eine Allergie gegen schulmeisterliche Ratschläge entwickelt hat, lehnt den Gegenentwurf aus offensichtlichen Gründen ab. Selbst wenn von den Vorschlägen der vier Länder in Verhandlungen nur wenig übrig bliebe, so wird alleine die Prolongierung der Diskussion in Italien als Demütigung empfunden. Dies nährt die ohnedies schon weitverbreitete Aversion gegen die europäischen Partner.

Vielleicht kann die Industriellenvereinigung Kurz freundlich erläutern, dass rund 50 Prozent der österreichischen Wertschöpfung in den Export gehen und Italien der drittwichtigste Absatzmarkt für österreichische Exporte ist. Österreich ist wirtschaftlich gesehen ein Bestandteil des europäischen Binnenmarktes, so etwas wie eine österreichische Volkswirtschaft gibt es streng genommen nicht mehr. Wenn wir uns zur Belebung des europäischen Binnenmarktes solidarisch zeigen, sind wir solidarisch zu uns selbst!

Das alles wiegt für Kurz weniger schwer als die Bindung von ein paar Prozentpunkten freiheitlicher Wählerinnen und Wähler, die er 2019 zur türkisen ÖVP holen konnte. Kurz ist zweifellos ein Profi des politischen Handwerks im Sinne des Erkennens von Stimmungslagen von Message-Control und parteitaktischen Manövern. Und doch, oder vielleicht sogar deshalb, ist seine Welt so klein. (Nikolaus Kowall, 26.5.2020)