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Drei Wochen nach dem Mord an seinem Vater nimmt Salah Khashoggi (links) die Beileidswünsche des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman entgegen. Für viele gilt der jedoch als der Auftraggeber.

Foto: Saudi Press Agency via AP

In der Laylat al-Qadr, der "Nacht der Bestimmung", einer der letzten Nächte des Ramadan, soll das Vergeben besonders segensreich sein: Selten jedoch macht ein Pardon internationale Schlagzeilen wie jenes des Sohns des saudischen Publizisten Jamal Khashoggi. Salah Khashoggi verkündete vergangene Woche in seinem und seiner drei Brüder Namen, dass sie den Mördern ihres Vaters verzeihen. Jamal Khashoggi war am 2. Oktober 2018 im saudi-arabischen Generalkonsulat in Istanbul bestialisch ermordet worden.

Während in sozialen Medien von Saudi-Apologeten die Schönheit und Frömmigkeit der Geste hinauf- und hinuntergeorgelt wurde, fielen andere Reaktionen nicht so freundlich aus. Hatice Cengiz, die an dem Tag vergeblich darauf gewartet hatte, dass ihr Verlobter Jamal die saudische diplomatische Vertretung nach Erledigung seiner Amtsgeschäfte wieder verlässt, sprach in einem Statement den Söhnen das Recht ab, auf Gerechtigkeit zu verzichten. Agnès Callamard, Uno-Sonderberichterstatterin für außergerichtliche Hinrichtungen, warf Saudi-Arabien Justiz-"Verhöhnung" vor: Das sei der erste Schritt, die Mörder Khashoggis völlig straflos in die Freiheit zu entlassen.

Eigentlich war es mindestens der zweite. Im Dezember vergangenen Jahres wurden acht Angeklagte für den Mord an Khashoggi verurteilt, fünf davon zum Tod. Festgehalten wurde allerdings, dass die Tötung spontan geschehen sei. Die geplante Entführung des Autors, der in seiner Kolumne in der "Washington Post" den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman wiederholt kritisiert hatte, sei aus dem Ruder gelaufen.

Qualifizierung als Totschlag

Wie Abdullah Alaoudh am Montag in einem Gastkommentar für die "Washington Post" schreibt, wäre nach herrschendem saudischem Recht eine Pardonierung für Mörder, die ihr Opfer in einen Hinterhalt gelockt haben, unmöglich, und zwar weder vonseiten der Familie noch durch eine Amnestie des Königs. Als die Tat durch das Gericht im Dezember als Totschlag qualifiziert wurde, wusste man demnach bereits, wohin die Reise geht. Würde Mohammed bin Salman seine Gefolgsleute hängenlassen, wäre ein massiver Vertrauensverlust gegenüber ihm und seiner Herrschaft die Folge.

Der Version eines "Unfalls" widersprechen allerdings alle geheimdienstlichen Erkenntnisse zum Fall. Das Mordkommando war mit allem ausgestattet, was es brauchte, um Khashoggis Leiche zu zerstückeln. Im Team befand sich ein Gerichtsmediziner. Auf Tonbandaufnahmen des türkischen Geheimdienstes ist einer der Täter zu hören, der vor der Tat vom "Opfertier" spricht. Sowohl Uno als auch CIA – und in der Folge der US-Senat – kamen zum Schluss, dass die Ermordung Khashoggis minutiös geplant und von oben befohlen war.

Der Prozess im Dezember in Riad fand unter großer Geheimhaltung statt, nicht einmal die Namen der Angeklagten wurden bekanntgegeben. In die Öffentlichkeit gelangten sie erst vor kurzem durch eine türkische Anklageschrift, die die Berichte des türkischen Botschafters in Riad verarbeitete, der den Prozess verfolgt hatte. Demnach seien fünf Personen an der Tat direkt beteiligt gewesen – die Todesurteile – und drei indirekt, die Haftstrafen von zehn beziehungsweise zwei Mal sieben Jahren erhielten. Von zwei hohen Beamten, die international als Bindeglied zwischen dem Mordkommando und dem Kronprinzen gelten, wurde einer nicht angeklagt, der andere exkulpiert.

Berichte über Gegenleistungen

Über die Beweggründe der vier Söhne Khashoggis wird spekuliert: In Medienberichten ist von viel Geld – "Blutgeld"? – und Immobilien die Rede, die sie seit dem Tod ihres Vaters bekommen hätten. Dafür, dass sie eingeschüchtert oder bedroht worden wären, gibt es keine Beweise. Das meinen jedoch manche Saudis im Ausland, vor allem solche, deren Familien zu Hause Repressalien erleiden. Zuletzt traf es die erwachsenen Kinder eines früheren hohen Innenministeriumsbeamten, Saad al-Jabri, der seit 2018 in Kanada lebt. Die beiden sind verschwunden. Jabri war enger Mitarbeiter des früheren Kronprinzen Mohammed bin Nayef, der im März verhaftet wurde.

Salah Khashoggi hatte nach dem Mord an seinem Vater Vertrauen in die saudische Justiz ausgedrückt und auch die Kondolenz Mohammed bin Salmans entgegengenommen. Khashoggi hat aus einer anderen Ehe noch einen Sohn und zwei Töchter, die sich jedoch nicht äußern.

Der Mordfall Khashoggi hat Saudi-Arabien mehr geschadet, als es der lebende Journalist durch seine Artikel je gekonnt hätte. So ist auch, bei allen Freundschaftbezeugungen von US-Präsident Donald Trump für den MbS genannten Kronprinzen, das Verhältnis zwischen Riad und Washington belastet, denn im Kongress verstummt die Forderung nach Konsequenzen nicht. (Gudrun Harrer, 26.5.2020)