Eine Gruppe von Flüchtlingen in Tunesien.

Foto: YANNIS BEHRAKIS

Auch inmitten der Corona-Krise reißen die Beschwerden gegen das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Tunesien und dessen lokale Partnerorganisation nicht ab. Zielscheibe heftiger Kritik ist derzeit vor allem der Tunesische Flüchtlingsrat (CTR), der seit 2018 sukzessive den Roten Halbmond als zentrale Durchführungs- und Partnerorganisation der UN-Behörde im Land ersetzt hat. Flüchtlinge und Asylbewerber klagen jedoch trotz des Partnertauschs weiterhin ununterbrochen über unregelmäßig oder unpünktlich verteilte Lebensmittelmarken, lange Wartezeiten, unzureichende medizinische Versorgung, hygienische Mängel in Flüchtlingsunterkünften und sogar Einschüchterungsversuche und Drohungen. "Übst du zu laute Kritik am CTR, drohen sie, Anträge abzulehnen oder die Unterstützung einzustellen", erzählten schon im Dezember mehrere Betroffene sinngemäß dem STANDARD.

Die neuesten Vorwürfe sind jedoch anderer Natur, wird der CTR-Leitung doch Freunderlwirtschaft vorgeworfen. Das tunesische Internetmedium Innsane hatte vor zwei Wochen erstmals über den Fall berichtet. Demnach hätten zwei Führungskräfte der Organisation Verwandte und Freunde eingestellt und ihnen Posten zugeschanzt. Die beiden besagten CTR-Gründer würden zudem je zwei Stellen in der Organisation besetzen, was gegen das tunesische Vereinsrecht verstoße, heißt es. Ein ehemaliger CTR-Mitarbeiter hatte bereits im Juli 2019 bei der tunesischen Anti-Korruptions-Behörde (INLCC) Beschwerde eingereicht, die das Dossier zunächst aber offenbar als nicht vorrangig einstufte. Man habe die Akte inzwischen geöffnet, bestätigte die INLCC auf Anfrage. Details über die gerade erst eingeleitete Untersuchung könne man aber noch nicht mitteilen.

Interessenskonflikte

Der Generaldirektor des CTR, Abderazek Krimi, weist die Vorwürfe derweil entschieden zurück. In beiden zur Disposition stehenden Fällen seien Posten auf Grundlage nachgewiesener Kompetenzen und Qualifikationen vergeben worden, so Krimi. Seine heutige Ehefrau, die als Psychologin und Expertin für Gewaltopfer für den CTR gearbeitet hatte, habe kurz vor der gemeinsamen Heirat im Sommer 2019 gekündigt. Der Neffe von CTR-Präsident Mustapha Djemali sei ebenfalls aufgrund seiner Kompetenzen eingestellt worden, versichert Krimi.

Das Tunesien-Büro des UNHCR stellt sich unterdessen klar hinter seinen Partner. Man sei über die familiären Beziehungen zwischen einigen CTR-Mitarbeitern informiert, erkenne aber keinen Interessenskonflikt. Nichts hindere Familienmitglieder daran, sich für einen Posten zu bewerben, solange die Kandidaten die Kriterien für diesen erfüllen und die erforderlichen Kompetenzen haben, so das UNHCR in einer E-Mail.

Formell unabhängig

Ob die Beschwerde vor der INLCC Aussichten auf Erfolg hat, ist unklar. Durch den Fall wird aber abermals ein Schlaglicht auf den CTR, dessen Arbeit im Land und die Umstände seiner Entstehung geworfen. Die 2016 vom ehemaligen UNHCR-Offiziellen Djemali sowie Krimi gegründete Organisation ist formell als unabhängiger Verein in Tunesien registriert, de facto aber ein zu 100 Prozent vom UNHCR finanzierter Satellit. Nach der Durchführung eines ersten Kooperationsprojektes mit dem UNHCR 2018 übernahm der CTR 2019 das Fallmanagement, das die Betreuung und Versorgung von Flüchtlingen und Asylbewerbern umfasst, sowie den Betrieb von drei UNHCR-Unterkünften in Südtunesien.

Die Kooperation der UN-Behörde mit dem Roten Halbmond, der zuvor mit diesen Aufgaben betraut war, endete damit. Grund für diese operationelle Neuaufstellung waren lang anhaltende Probleme mit dem Roten Halbmond, die jedoch trotz des 2019 vollständig vollzogenen Partnertauschs teils bis heute Bestand haben und auch während der Coronakrise erneut für Frustration bei Flüchtlingen und Asylwerbern sorgten. (Sofian Philip Naceur, 25.5.2020)