Deauvilles Kapital ist der Sand. Bei Ebbe ist der Strand des normannischen Küstenstädtchens so weit und so breit, dass man das Wellenbrechen von der Promenade aus nicht einmal hört. Jetzt ist das Bade- und Flanierparadies aber zu. "Schon schade", meint Julie, eine junge Frau aus der Nachbarschaft. "Bei diesem sommerlichen Wetter würde man gern barfuß durch den warmen Sand laufen. Wie früher."

Bloß ist nichts mehr wie früher. Sogar auf dem Holzsteg entlang der weiten Sandfläche ist das Promenieren reglementiert. Rot-weiße Einbahnschilder aus dem Straßenverkehr gelten hier für die Menschen: Spaziert wird dem Strand entlang einzig in Ost-West-Richtung, die Rückkehr geht über den Parkplatz.

Schöne Aussichten sehen anders aus. Hinter der Absperrung muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.
Stefan Brändle

Und eigentlich ist laut kommunaler Anweisung nur "dynamisches Spazieren" erlaubt, zwecks sportlicher Betätigung also. Zu Christi Himmelfahrt schlendern die Besucher in aller Ruhe. Da sie aber wenig zahlreich sind, ist das gebotene Distanzhalten kein Problem.

An einem langen Wochenende wie diesem wären die berühmten Holzplanken von Deauville so voll wie die Umkleidekabinen, die Namen von Hollywoodstars tragen. Im Frühherbst, während des "Festivals des amerikanischen Films", tummeln sich hier Kinostars, 2019 waren Kristen Stewart, Pierce Brosnan oder Johnny Depp hier.

"Ein Desaster"

Die nächste Ausgabe des Festivals im September bleibt programmiert. "Ich glaube allerdings nicht, dass uns viele Amerikaner die Aufwartung machen werden", seufzt Philippe Augier, der Vorsteher des Normandie-Bades. "Auch Besucher aus Japan, Südamerika und dem Mittleren Osten haben ihre Reservation schon annulliert. Es ist ein Desaster."

Einbahnstraße einmal anders.
Stefan Brändle

Wenn der seit bald zwanzig Jahren amtierende Bürgermeister in den letzten Wochen durch seine menschenleere, totenstille Stadt wanderte, fühlte er sich seinen eigenen Worten zufolge wie in einem schlechten Science-Fiction-Film. Jetzt gibt der Ort langsam wieder Lebenszeichen von sich. Die Läden wurden kürzlich wieder geöffnet, kleinere Hotels beherbergen wieder ein paar Gäste – unter Einhaltung strengster Hygienevorschriften. "Wir haben gerade Transporteure aus Deutschland, die ein Rennpferd zurückführen wollen", sagt Annie Budinsky vom Zweisternehotel La Côte Fleurie. Gleich hinter ihrem Bau ist die Pferderennbahn – jetzt natürlich verwaist. Ab und zu werden zwar Rennen organisiert, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit, nur für die nationale Pferdewette.

Die Restaurants sollen auch bald wieder öffnen. Einzelne Wirte wie Yann France vom eleganten Lokal La Flambée liefern derzeit Fertiggerichte in die Ferienwohnungen, "um wenigstens das Gefühl von Arbeit zu behalten", wie er sagt. "Das hebt ein wenig die Moral." Die Hauslieferung macht allerdings nur fünf Prozent des früheren Umsatzes aus, schätzt France, zugleich Vorsteher der regionalen Hotel- und Restaurantvereinigung UMIH. "Dreißig Prozent der Betriebe werden nicht mehr öffnen können", schätzt er. "Sie sind in den letzten zwei Monaten schlicht pleitegegangen. Das ist eine Katastrophe für unsere Branche."

Umsatteln

Bürgermeister Augier mobilisiert derzeit seine 3600 Einwohner, die zu 85 Prozent vom Tourismus mit 2500 Hotelbetten leben. Deauville soll umsatteln: Da Massenveranstaltungen wie Kongresse, Festivals oder das im Pferdesport bekannte Jährlingstreffen von Deauville noch längere Zeit unmöglich sein werden, will der exklusive Küstenort nun schlichtere Familien- und Badeferien anbieten. "Wir wollen auf das Wohlbefinden der Gäste setzen. Und auf ihre Sicherheit in jeder Beziehung."

Ob so dynamisch spazieren geht?
Stefan Brändle

Deshalb plant Augier in Absprache mit allen Beteiligten, das Strandleben neu aufzuziehen. Deauville soll ähnlich vorgehen wie die südlichen Großbadeorte Cannes oder La Grande-Motte: Die Strände werden in Abschnitte unterteilt. Wer ein Sonnenbad nehmen will, muss in Zukunft auf der Website des Tourismusbüros online einen zeitlich befristeten und abgeschotteten Platz reservieren. Für ein Paar gibt es neun Quadratmeter, für vier Personen 16 Quadratmeter. Andere Abschnitte sind für Familien mit Kindern reserviert, zum Spazieren oder für den Sport (Surfen, Paddeln, Fischen). Überall soll das Einbahnprinzip gelten: Ankommende gelangen auf einer Strandschneise zu ihrem "Viereck", Weggehende verlassen es auf einer anderen.

Und das Freiheitsgefühl am weiten Strand? Augier meint, solche Trennregeln gebe es seit langem, nicht nur an Privatstränden. Nicht in Deauville, wo die immense Sandfläche auch in der Hochsaison nie überfüllt wirkte. Dort ziehen nun neue Sitten ein.

Und vielleicht bald auch in allen Badeorten der über 5000 Kilometer langen Mittelmeer-, Atlantik- und Kanalküste Frankreichs. (Stefan Brändle, 26.5.2020)