Budapest – Die wochenlange Debatte über das umstrittene ungarische Corona-Notstandsgesetz soll nun ein Ende finden. Denn der rechtsnationale Ministerpräsident Viktor Orbán hat für Dienstag die Einleitung der Rücknahme der Sonderbefugnisse durch das Parlament verkündet. Damit soll das Regieren per Dekret auslaufen, wie der STANDARD berichtete.

Für die Ankündigung der Rückgabe der Sonderbefugnis hat sich Orbán ein breites internationales Medieninteresse gesichert: Verkündete er diese Botschaft doch unmittelbar vor der Videokonferenz der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Regierungschefs der Visegrad-Länder, zu denen auch Ungarn gehört.

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Der Rechtspopulist Viktor Orbán steht seit Jahren wegen der Einschränkung von Bürgerrechten, der Unabhängigkeit der Justiz sowie der Medien- und Meinungsfreiheit in der Kritik.
Foto: Reuters/Marko Djurica

Lange Schatten der Krise

Doch die langen Schatten der Corona-Krise reichen weit. Mit dem am 30. März ohne Ablaufdatum verabschiedeten Notstandsgesetz hatte sich das von Orbáns rechtsnationaler Regierungspartei Fidesz kontrollierte ungarische Parlament vorübergehend selbst entmachtet. Das Notstandsgesetz ermöglichte es der Regierung, zeitlich unbegrenzt auf dem Verordnungsweg zu regieren, die Meinungs- und Pressefreiheit einzuschränken und auch Wahlen und Volksabstimmungen auszusetzen.

Laut Opposition hat Orbán mit seiner umfassenden Vollmacht in mehr als 100 Dekreten etwa den Datenschutz, die Informationspflichten von Behörden und die Arbeitnehmerrechte ausgehebelt, die Tätigkeit der Justiz sowie Meinungs- und Pressefreiheit massiv eingeschränkt. Daran erinnert Mate Szabo von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (TASZ).

Im Justizbereich können Strafprozesse unbefristet verschoben werden, Entschädigungsklagen sind während des Notstandes untersagt, erinnerte der Fachdirektor der Bürgerrechtsorganisation. Die Kompetenzen der Sicherheitskräfte wurden dafür massiv erweitert. Äußerungen etwa im Internet, die ein Missfallen bezüglich der Maßnahmen der Regierung zum Ausdruck bringen, können als "Verbreitung von Falschnachrichten" mit Strafen geahndet werden.

Schwierige Situation für Presse

Die Presse könne ihre tatsächliche Kontrollfunktion immer weniger wahrnehmen, warnt Szabo. Diese Situation habe sich laut einer Befragung in den letzten Monaten weiter verschlechtert. Auch Kreko verweist darauf, dass sich nach Angaben von Journalisten zum Beispiel Krankenhausmitarbeiter immer weniger trauten, den Medien von Missständen bei der Corona-Bekämpfung zu berichten, um nicht in das Visier der Polizei zu geraten.

Kritik gibt es auch am Demonstrationsverbot. Strandbäder dürften besucht, Sport dürfte getrieben werden, doch Demonstrationen seien verboten. Dabei handle es sich um ein politisches Freiheitsrecht, das eher garantiert werden müsse als Unterhaltung und Sport.

"Krise zum Aufbau eines autoritären Regimes"

Geldstrafen gab es auch für Menschen, die auf der Straße mit Hupkonzerten gegen die Regierung protestierten. Am Sonntag kündigten die Organisatoren solcher Protestaktionen an, angesichts der von der Polizei verhängten hohen Geldstrafen die Aktionen zunächst einzustellen. Da wurde allein einem Pensionisten eine Strafe von umgerechnet mehr als 2.000 Euro auferlegt.

Kritiker beschuldigten Orbán, die Coronakrise zur Etablierung eines autoritären Regimes zu missbrauchen. Laut Zoltan Fleck, Jusprofessor an der Budapester Eötvös-Lorant-Universität, geht es um die Instrumentalisierung der Coronakrise mit dem Ziel des weiteren Machtausbaus durch Orbán.

Der Rechtssoziologe betont gleichzeitig im Gespräch mit der APA: Da Orbáns Fidesz-Partei über eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament verfügt, hätte er seine Pläne auch ohne Sonderbefugnis und Notstandsgesetz umsetzen können, nur hätte das etwas länger gedauert.

Rechtsstaatlichkeit in anderen Ländern

Es gebe auch in anderen Ländern Europas während der Corona-Pandemie außerordentliche Rechtsregelungen, erinnert der Professor, "doch diese funktionieren vor einem rechtsstaatlichen Hintergrund, sind außerordentlich und befristet". Zu diesem Hintergrund gehörten Institutionen, die Einhalt gebieten können, etwa ein unabhängiges Verfassungsgericht. "Doch in Ungarn gibt es kein wirklich funktionierendes Verfassungsgericht, sondern ein von der Regierung dominiertes Gremium."

Auch Analyst Peter Kreko, Direktor des Budapester Instituts Political Capital unterstreicht: "Das Problem ist nicht die Notstandsgesetzgebung per se. Sondern dass in Ungarn seit zehn Jahren ein systematischer Abbau der rechtsstaatlichen Garantien stattfindet." Voraussichtlich werden nun zahlreiche Elemente der bisherigen Notstandsgesetzgebung Eingang in das "normale" Rechtssystem finden, erwartet er.