Millionen Lichter erhellen Wien. Das gestreute Licht ist über hundert Kilometer weit wahrnehmbar. Von Lichtverschmutzung unbeeinflusste Natur ist rar geworden.

Foto: Robert Newald

Die natürliche Nacht ist auf der Erde zur Rarität geworden – jene Nacht also, die völlig unbeeinflusst von künstlicher, von Menschen geschaffener Lichtstrahlung ist. Selbst wenn man sich hunderte Kilometer abseits großer Infrastrukturen, Industrieanlagen, urbaner Metropolen befindet, sind deren Lichtemissionen auch hier noch wirksam.

Die Lichtglocken, die Städte abstrahlen, sind mit freiem Auge leicht aus dutzenden Kilometer Entfernung wahrnehmbar. Dem Menschen verwehrt die Lichtverschmutzung den Blick auf die Sterne, die einst so dominant waren, dass sie ganze Mythologien prägten. Im Tierreich kann die Lichtverschmutzung aber noch mehr Unheil anrichten. Künstliches Licht führt Tiere in die Irre, dezimiert ganze Spezies.

Die Corona-Krise hat der Lichtverschmutzung – ähnlich wie anderen Themen rund um die Beeinflussung der Natur durch den Menschen – zu neuer Aktualität verholfen. Denn die geringere Aktivität, das Zuhausebleiben sowie die verminderte Geschäftstätigkeit haben auch hier Spuren hinterlassen. Die Lichtemissionen Wiens haben sich während der Krise messbar verringert, meldet der Verein Kuffner-Sternwarte.

"Die Messdaten zwischen 15. März und 14. April zeigen Werte, wie sie zuletzt im Jahr 2015 typisch waren", wird Sternwartenleiter Günther Wuchterl zitiert. Die einschlägigen Messreihen, die etwa 20 Jahre zurückreichen, zeigen dagegen, dass die Lichtverschmutzung Wiens jährlich durchschnittlich um sechs Prozent steigt. Ähnlich wie bei anderen krisenbedingt zurückgefahrenen Systemen ist der Einbruch der Lichtemission eine Erinnerung daran, dass die Verschmutzung kein Naturgesetz ist. Die Menschen haben es in der Hand. Und die Krise könnte den Anlass zur Besserung geben.

Verblasster Sternenhimmel

Die Kuffner-Sternwarte mit ihrem Lichtmess-Netzwerk arbeitet in dem Projekt Lebensraum Naturnacht mit dem Naturhistorischen Museum Wien (NHM) zusammen. Dabei sollen in Kooperation mit dem Umweltministerium und mit Förderungen der Europäischen Union und des Landwirtschaftsministeriums Maßnahmen gegen die Lichtverschmutzung entwickelt und Aufklärung und Bewusstseinsbildung rund um die Problematik betrieben werden.

Die Kuffner-Sternwarte ruft zudem auf, sich über ihr Citizen-Science-Projekt www.sternhell.at an der Vermessung der Lichtverschmutzung zu beteiligen. Teilnehmer sollen die an ihren Wohnorten sichtbaren Sterne im Bild des Kleinen Wagen zählen und für internationale Vergleiche auf der Homepage melden.

Die Lichtabstrahlung wächst in erster Linie mit der Größe einer Stadt. Christoph Goldmann, Leiter des Projekts Lebensraum Naturnacht im NHM Wien, sieht bei der Herkunft der Emissionen eine grobe Dreiteilung: "Ein Drittel rührt von der Straßenbeleuchtung, ein Drittel kommt aus Gewerbe, Industrie und Touristik und ein Drittel aus privaten Beleuchtungen, aus Siedlungen, Höfen, Gärten." Über die konkrete Verteilung der Emissionen erhoffen sich Goldmann und Kollegen durch die Analyse der Daten aus der Corona-Zeit weitere Erkenntnisse.

Nachdem die Straßenbeleuchtung von der Krise unbeeinflusst blieb, kann die Verteilung der Emissionsquellen dank der Messwerte besser beschrieben werden. Was konkret zu den Einsparungen während der Krise beitrug, ist nicht systematisch erfasst, liegt zum Teil aber auf der Hand: Dass der Prater nicht aufgesperrt hat, dass Sportplätze samt ihren Flutlichtanlagen geschlossen blieben, dass manche Bürogebäude ihre Fassendenbeleuchtung zurückgefahren haben, hat bestimmt dazu beigetragen.

Atmosphärische Gegebenheiten

Neben der Bevölkerungsdichte als wichtigstem Faktor für das Entstehen der Emissionen gibt es eine Reihe von Aspekten, die auf die konkreten Messwerte Einfluss haben. Beispielsweise sind die atmosphärischen Gegebenheiten – Luftfeuchtigkeit, Aerosolverteilung und Luftqualität, auch die aus dem Luftverkehr resultierenden, in der Corona-Zeit rar gewordenen Kondensstreifen – relevant für die Streuung des Lichts.

Ein Aspekt ist technischer Natur: "Eine Reduzierung der Lichtverschmutzung durch die Umstellung der Straßenbeleuchtung von Quecksilberdampflampen auf LED-Beleuchtung ist auch an den Messwerten ablesbar", sagt Goldmann. Ein wichtiger Faktor dabei: "Das Licht wird dorthin gestrahlt, wo es gebraucht wird: nach unten. Bei einer seitlichen Abstrahlung – besonders schlimm etwa bei Kugellampen – wird das Licht besonders gut gestreut", erklärt der Experte. Und damit wächst die Lichtverschmutzung.

Doch die Verfügbarkeit langlebiger, verbrauchsarmer und günstiger LED-Leuchten hat nicht nur positive Auswirkungen. "Negativ ist, dass jetzt einfach viel mehr beleuchtet wird", sagt Goldmann. "Gerade im Gewerbe entstehen richtige Wettrennen – nach dem Motto: Wer am hellsten strahlt, wird am meisten gesehen." Die wichtigsten Maßnahmen wären hier gesetzliche Regelungen, etwa Obergrenzen, die dieses Wettrüsten unterbinden – und die auch exekutiert werden.

Generell sollte man, so sagt Goldmann, "Licht wie Wasser nutzen" – also nur an Orten und in Mengen, die wirklich notwendig sind. Qualität statt Quantität soll auch hier die Devise sein. Jeder Hausbesitzer müsse sich fragen, ob die opulente Fassaden- oder Gartenbeleuchtung tatsächlich notwendig sei.

Die Licht-Umweltschützer wollen dabei auch mit ökonomischen Argumenten Gehör finden: Immerhin bis zu 500 Gigawattstunden pro Jahr würde der ungenutzte, nach oben abgestrahlte Lichtschein über Wien entsprechen, der auch noch gut von St. Pölten oder vom über 100 Kilometer entfernten Ötscher wahrnehmbar ist. Eine Energieverschwendung, die man mit 100 Millionen Euro beziffern kann.

Orientierungsverlust der Tiere

Unter den Tieren profitieren manche Spezies von den künstlichen Lichtquellen – etwa Fledermäuse, die sich bei der Jagd nach nachtaktiven Insekten nicht mehr besonders mühen müssen, sondern nahe der Lampen ein reichliches Angebot finden. Viele Insekten, die sich beispielsweise am Mond orientieren und diesen mit einer Lampe verwechseln, die sie umkreisen, sterben aber einfach an Erschöpfung. Aus Linz kam etwa schon vor Jahrzehnten eine Studie, die damals neu installierte Kugellampen an einem Donauweg mit einem markanten Nachtfaltersterben in Verbindung brachte.

Es gibt Beispiele von Zugvögeln, die sich von beleuchteten Hochhäusern ablenken lassen, oder frisch geschlüpften Meeresschildkröten, die das Licht der Strandbars mit der Mondspiegelung am Wasser verwechseln und landeinwärts statt Richtung Wasser liefen. Aus Wien kommt eine Studie über Blaumeisen-Männchen, die die Helligkeit der nächtlichen Stadt als Dämmerung, also als Zeit der Werbung um Weibchen, interpretieren und die ganze Nacht bis zur Erschöpfung "durchwerben".

Wildnisgebiet Dürrenstein

Trotz aller Bemühungen ist es wohl utopisch, im Umfeld größerer Städte eine tatsächliche von künstlichem Licht unbeeinflusste "Naturnacht" herzustellen. Doch in abgelegeneren Gebieten lohnt es sich, darum zu kämpfen. Goldmann und Kollegen warten etwa gespannt auf die Messwerte der Station im Wildnisgebiet Dürrenstein während der Corona-Zeit. Der Urwald im südlichen Niederösterreich in alpiner Kessellage ist noch wenig beeinflusst von den Lichtemissionen des Menschen.

Gefahr droht diesbezüglich neben lokalen Einflussgebern – vielleicht einer nahen Tankstelle oder einer Berghütte mit waagrecht abstrahlendem Licht – von den urbanen Räumen rund um Amstetten oder Linz. "Die Daten sollen helfen, den Einfluss dieser Lichtemissionen auf das Wildnisgebiet besser abschätzen zu können", erklärt Goldmann. "Die Frage ist: Um wie viel müssten die Lichtemissionen zurückgefahren werden, um wieder durchgehend Naturnächte zu haben?" (Alois Pumhösel, 2.6.2020)