Die Tat sorgte nicht nur in Österreich für Entsetzen. Im Mai des vergangenen Jahres sind Teile der Ausstellung "Gegen das Vergessen" zur Erinnerung an die Opfer der NS-Gräuel gleich mehrmals beschädigt worden. Die Porträtfotos von Überlebenden der NS-Verfolgung wurden mit Hakenkreuzen und antisemitischen Sprüchen beschmiert sowie mit einem Messer beschädigt. Für die noch lebenden Abgebildeten war die Beschädigung nicht nur ein Schock, es war ein starkes Lebenszeichen des Antisemitismus in Österreich.

Am Mittwoch wurde der österreichische Antisemitismusbericht veröffentlicht.
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Und das war kein Einzelfall, wie aus dem am Mittwoch veröffentlichten Antisemitismusbericht der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) und des "Forum gegen Antisemitismus" hervorgeht. Demnach wurden im Jahr 2019 550 antisemitische Vorfälle gezählt, 47 mehr als zwei Jahre zuvor. Im Bericht finden sich sechs tätliche Angriffe auf Juden und Jüdinnen, darunter Attacken auf Kinder in Wiener Öffis. Zwar ging die Zahl der gemeldeten Bedrohungen auf insgesamt 18 Meldungen zurück, die Anzahl der Sachbeschädigungen hingegen stieg um mehr als die Hälfte an. Insgesamt wurden 78 derartige Vorfälle gemeldet, darunter Hakenkreuz-Schmierereien und die Beschädigung des ehemaligen Friedhofswärterhauses des jüdischen Friedhofs im niederösterreichischen Göttsbach.

"Gesamtgesellschaftliche Strategie" gefordert

"Wir sind mit Antisemitismus auf hohem Niveau konfrontiert", betont Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde. Er fordert eine "gesamtgesellschaftliche Strategie gegen Judenfeindlichkeit". "Der "Antisemitismus muss in allen Teilen der Bevölkerung geächtet werden", sagt er zum STANDARD. Deutsch hält fest, dass "Antisemitismus nicht nur ein Problem der Juden ist, es ist ein Problem von allen Österreicherinnen und Österreichern".

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Erstmals ordnen die Verfasser und Verfasserinnen des Berichts die Vorfälle ideologisch zu. Demnach haben die meisten Vorfälle (268) einen rechtsextremen Hintergrund, gefolgt von muslimischen (31) und linken (25) antisemitischen Motiven. Bei 226 Vorfällen war keine Zuordnung möglich. Um eine internationale Vergleichbarkeit zu ermöglichen, orientiert sich die Kategorisierung der Vorfälle an jener in Deutschland und dem Vereinigten Königreich.

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Der Großteil der Vorfälle betrifft antisemitische verbale Beschimpfungen, dazu kommen noch judenfeindliche E-Mails, Briefe, Anrufe und Postings sowie Beiträge in Social Media. Was man sich darunter vorstellen muss: Ein palästinensisches Kulturforum aus Wien postete etwa ein Foto des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu, das ihn mit roten Augen, Blut in den Mundwinkeln und einem Davidstern auf der Stirn zeigt, wie er sich daran macht, ein heulendes, blutüberströmtes und schwer verletztes Kleinkind zu verspeisen.

Antisemitische Verschwörungsmythen blühen

In Zeiten der Corona-Pandemie feiern nicht nur antisemitische Verschwörungsmythen im Netz fröhliche Urständ. Beliebt ist die Erzählung, dass Juden und Jüdinnen hinter dem Virus stecken würden, um mit Impfungen Geld zu machen. Dass es keinen Impfstoff gibt, spielt dabei keine Rolle. Auf sogenannten Corona-Demonstrationen werden Gesichtsmasken mit nachgebildetem Judensternen getragen.

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Für den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, ist das Tragen von Judensternen auf Coronademos "widerlich".
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Für Deutsch ist "die konstruierte Gleichsetzung von Maßnahmen zum Schutz von Menschenleben während einer Pandemie mit dem NS-Massenmord widerlich. Diese Menschen relativieren die Gräueltaten und Einzigartigkeit der Shoah und verhöhnen die Opfer", so der IKG-Vorsitzende. Zu der besonders in Wien umtriebigen BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) findet Deutsch klare Worte. Diese als "links" bezeichnete Bewegung, sei "antisemitisch". Die Gruppe stehe unter anderem für "Kauft nicht bei Juden". Es sei daher "wichtig und konsequent, dass der Nationalrat und die Stadt Wien und Graz diese Boykottbewegung gegen den jüdischen Staat verurteilt haben". (Markus Sulzbacher, 27.5.2020)