Wörner hält die Landung von Europäern auf dem Mond noch in diesem Jahrzehnt für realistisch.

Foto: Esa

Das in Bau befindliche Raumschiff Orion soll künftig Menschen zu Mond und Mars befördern. Das Servicemodul wird von der Esa bereitgestellt.

Illustration: Nasa

Die Corona-Krise geht auch an der Raumfahrt nicht spurlos vorbei, insgesamt werden sich die Auswirkungen aber in Grenzen halten, erwartet Jan Wörner, Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation (Esa). Erst Ende November hatten sich die 22 Esa-Mitgliedsstaaten auf eine Haushaltserhöhung für die kommenden Jahre geeinigt. Für 2020 beläuft sich das Budget der Organisation auf 6,68 Milliarden Euro, Österreichs Beitrag, der vom Klimaschutzministerium finanziert wird, liegt in diesem Jahr bei 51,2 Millionen Euro, 2019 waren es 57 Millionen.

STANDARD: Wie geht es der europäischen Raumfahrt in Zeiten der Pandemie – haben die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus dramatische Folgen?

Wörner: Wir haben Grund zur Annahme, dass wir mit einem hellblauen Auge davonkommen werden. Wir haben in der Esa schon immer auch Homeoffice gehabt, das haben wir dann sehr früh – Anfang März – massiv gesteigert. Wir haben zeitweise nur drei Prozent der Belegschaft an kritischen Stellen im Einsatz gehabt, etwa für Satellitenoperationen, IT-Angelegenheiten und Tests, um Missionen sicherzustellen. Um die Konsequenzen aufseiten der Industrie möglichst gering zu halten, haben wir die Bezahlung für Aufträge beschleunigt. Natürlich werden sich aber einige Missionen durch die aktuelle Situation verschieben.

STANDARD: Welche Missionen sind davon betroffen?

Wörner: Einige Raketenstarts zum Beispiel. Wir hatten einen Start mit 50 Kleinsatelliten geplant, die sollten schon längst fliegen. Es gibt auch Auswirkungen auf die Fertigstellung der Ariane 6 und der Vega-C (neue europäische Trägerraketen, Anm.), die werden wohl beide ihren Jungfernflug deutlich später haben. Ariane 6 sicherlich nicht mehr in diesem Jahr.

STANDARD: Der ursprünglich für den Sommer geplante Start der Marsmission Exomars wurde bereits Anfang März auf 2022 verschoben. Spielte die Pandemie bei der Entscheidung eine Rolle?

Wörner: Exomars ist nicht wegen Corona verschoben worden, sondern weil aus technologischer Sicht einige Dinge nicht so waren, dass wir es wirklich wagen konnten, zu fliegen. Aber ohne diese technischen Probleme müssten wir die Mission wegen der Pandemie jetzt wohl auch verschieben.

STANDARD:: Befürchten Sie, dass die anrollende Wirtschaftskrise mittelfristig auch die Raumfahrtprogramme stärker treffen wird?

Wörner: Man kann das auf zweierlei Weise interpretieren. Man kann sagen, die Staaten werden so viel ausgeben müssen für verschiedene Hilfsmaßnahmen, dass sie nicht mehr genügend Geld für die Raumfahrt haben. Man kann das aber auch andersherum sehen und sagen: Da die Raumfahrt besonders zukunftsorientiert ist und mit Digitalisierung, Kommunikation, Navigation und Erdbeobachtung so wichtige Beiträge für das tägliche Leben liefert, müssen wir jetzt noch mehr Geld dafür in die Hand nehmen.

STANDARD: Nun bringt erstmals das private Unternehmen Space X Astronauten ins All. Ist das der Beginn einer neuen Ära?

Wörner: Auch Raumschiffe früherer amerikanischer Programme wurden natürlich von privaten Firmen gebaut, im Auftrag der Nasa. Der Flug von Crew Dragon ist kein Privatflug, sondern der einer Firma, die dafür Geld von der Nasa bekommt – dasselbe gilt auch für Boeings Starliner oder für Blue Origin. Aber ja: Es ist seit geraumer Zeit ein Wandel in der Raumfahrt festzustellen hin zu mehr Kommerzialisierung. In der Esa setzen wir schon seit vielen Jahren auf Public-Private-Partnership, 70 Prozent der Mittel kommen aus der Industrie, 30 von staatlicher Seite, um spezielle Technologien auf den Markt zu bringen. Sehr erfolgreich ist das bei geostationären Satelliten, aber etwa auch die Ariane 6 wird nicht allein mit staatlichem Geld gebaut. Ich glaube, es wird künftig mehr Kommerzialisierung und auch ein Stück Privatisierung der Raumfahrt geben. Tourismus im Weltall wird sicher kommen.

STANDARD: Welche Chancen und Gefahren birgt die Kommerzialisierung im All?

Wörner: Ich sehe das prinzipiell als große Chance, aber kommerzielle oder private Betreiber müssen sich auch an Regeln halten. Damit meine ich vor allem: Vermeidung von Weltraumschrott. Wir haben derzeit etwa 4.500 Satelliten im Orbit, davon sind aber nur 1.500 aktiv – 3.000 sind tot. Wir haben jetzt schon immer wieder Situationen, wo wir Kollisionen vermeiden müssen. Wenn die Vorstellungen wahr werden von Megakonstellationen zigtausender Satelliten, wird das Problem noch drängender.

STANDARD: Mit wem werden Esa-Astronauten künftig ins All fliegen?

Wörner: Leider nicht mit einer europäischen Trägerrakete, das ist mal klar. Wir werden in absehbarer Zeit keine eigene Transportfähigkeit haben. Wir werden zum Beispiel mit der Schwerlastrakete der Amerikaner fliegen, wir diskutieren mit der Nasa auch, ob wir mit Crew Dragon oder dem Starliner fliegen. Wir haben auch schon Verhandlungen mit China gehabt, und auch Russland ist für uns weiterhin ein wichtiger Partner. Die Esa ist in der astronautischen Raumfahrt sehr aktiv, und ich glaube, dass das eine große Zukunft hat.

STANDARD: Wann wird die erste Europäerin oder der erste Europäer den Mond betreten?

Wörner: Wahrscheinlich wird's ein Mondtag sein. (lacht) Ich weiß es nicht genau, ich sage jetzt einfach ein Jahr: 2026. Noch dieses Jahrzehnt halte ich für sehr realistisch.

STANDARD: Wie hoch müsste Österreichs Esa-Beitrag sein, um Astronauten mitschicken zu können?

Wörner: Solange ich Generaldirektor der Esa bin, wird es nie eine Auswahl nach Nationen geben. Aber ich bin nicht mehr sehr lange Generaldirektor, das ist leider der Nachsatz. Ich verstehe natürlich, wenn ein Land, das viele Kosten trägt, auch entsprechend Astronauten haben will. Aber wir haben keine deutschen, französischen oder britischen Astronauten, sondern europäische Astronauten mit unterschiedlichen Führerscheinen. Für die Auswahl zählt allein die persönliche Qualifikation.

STANDARD: Ihr Vertrag läuft 2021 aus. Stehen Sie danach weiterhin für die Funktion des Esa-Generaldirektors zur Verfügung?

Wörner: Wenn ich wirklich gefragt würde, dann stünde ich zur Verfügung. Ich hatte bis jetzt fünf tolle Jahre, und die Arbeit hat mir sehr viel gegeben und Spaß gemacht. Meine Funktion hat ja auch eine politische Dimension, und wenn es jetzt einen Wechsel geben soll – das ist halt so in der Politik. Aber wenn man wirklich sagen würde, den Alten kann man noch ein Jahr behalten oder zwei, dann stünde ich zur Verfügung. (David Rennert, 27.5.2020)