Ein verlassenes Freiluftkino: Spielplatz für Wüstenspitzmäuse nach dem Geschmack des Schöpfers von "Farm Fatale".

Foto: Kaupo Kikkas / Philippe Quesne

Als Künstler leuchtet Quesne die irdische Existenz aus.

Foto: Obadra Wills

So dringend sie seit Jahrtausenden herbeigefürchtet wird, die ganz große Apokalypse hält sich zurück. Wahrscheinlich aus Milde, weil Weltuntergangssehnsüchte seit der biblischen Johannes-Offenbarung mit anrührenden Erlösungsfantasien einhergehen. Stattdessen kommt das "Ende der Welt" mit dem individuellen Tod als Einzeltherapie daher.

Das drückt aufs Gemüt: "Dunkel ist das Leben", heißt es im "Trinklied vom Jammer der Erde" aus Gustav Mahlers Lieder zyklus "Das Lied von der Erde". Diesem sollte der französische Regisseur Philippe Quesne bei den diesjährigen Festwochen eine neue Inszenierung widmen – weil er die irdische Existenz ohnehin gerne ausleuchtet und ihr mit ironischen Tönen gekonnt jegliches Pathos nimmt.

Trunkene im Frühling

Oft sind seine Figuren "Einsame im Herbst", die von der Jugend träumen und "von der Schönheit" bedeutender Dinge. Nicht selten wirken sie wie "Trunkene im Frühling" – sogar bei Schneefall. Und wenn diese Gestalten durch die Bühnen-Terrarien irren, in die Quesne sie verbannt, stellen sich ihnen immer wieder Phantome des "Abschieds" (hier unter Anführungszeichen: die Titel der sechs Lieder bei Mahler) in den Weg. Im Bau dieser Terrarien ist der heute 50-Jährige ein Meister.

Vor seiner Theaterkarriere hat er in Paris begeistert Szenografie, Architektur, Museografie und Bühnenbild studiert.

International bekannt wurde Quesne in den Nullerjahren, durch Stücke wie etwa "Der Serge-Effekt", den die Festwochen 2009 zeigten, "La mélancholie des dragons", "Big Bang" oder später "Caspar Western Friedrich" und "Crash Park".

"Farm Fatale" hätte uns bei den diesjährigen Festwochen mit arbeitslos gewordenen Vogelscheuchen konfrontiert. Premiere war voriges Jahr im Theater von Nanterre-Amandiers, das Quesne seit 2014 leitet. Vor mittlerweile 17 Jahren hat er in Paris seine Performancegruppe Vivarium Studio gegründet und sich seitdem zu einem Spe zialisten für die Darstellung "makrokosmischer Mikrokosmen" entwickelt. Dazu gehören große Desaster, geschrumpft auf die Maße von Kleingruppen.

Höhle des Daseins

Diese können aus Tieren bestehen wie in "Die Nacht der Maulwürfe" (2016) oder aus Fluggästen, die nach ihrem Absturz auf einem einsamen Eiland zu überleben versuchen.

Theater ist für Quesne eine "Kellerkunst": Sie führt in die Höhlen des Daseins, wo wir uns durch die Umstände wühlen.

Wenn eine fliegende Höhle eine Bruchlandung hinlegt und die Passagiere aus ihr in den Regen neuer Verhältnisse flüchten, bietet sich ihnen eine neue Chance. Aus solchen Momenten heraus spekuliert Philippe Quesne mit Möglichkeiten von Neuanfängen. (Helmut Ploebst, 16. 5. 2020)