Es war vielleicht die schnellste Weisung in der Geschichte der Republik. Knapp einen Tag nachdem "Süddeutsche Zeitung" und "Spiegel" Ausschnitte des Ibiza-Videos präsentiert hatten, war der Auftrag der Oberstaatsanwaltschaft Wien an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) klar: Das ganze Material muss "beigeschafft" werden. Keine einfache Aufgabe, wie die WKStA, die später zuständige Staatsanwaltschaft Wien (StA Wien) und die ermittelnden Beamten der Soko Tape (landläufig als Soko Ibiza bekannt) feststellen mussten.

Trotz mehrerer Hausdurchsuchungen bei mutmaßlich Beteiligten und deren Bekannten war das Video nicht aufzutreiben – bis jetzt. Denn knapp ein Jahr nach Gründung der Sonderkommission konnte diese Ende April den Jackpot knacken. Sie fand das gesamte Videomaterial, das mit zwölf Stunden und 32 Minuten sogar länger als gedacht ist, sowie das Equipment, das zur Aufnahme benutzt wurde. Außerdem wurden weitere Videos entdeckt, die Vorbereitungshandlungen und Aktionen nach der Aufnahme in Ibiza dokumentieren.

Das Bundeskriminalamt veröffentlichte Fotos der vermeintlichen Oligarchennichte.
Foto: Standbild BK/unbekannt

Das Material ermöglicht es den heimischen Behörden, nun per Foto nach der "falschen Oligarchennichte" zu fahnden, die auf Ibiza die Korruptionsfantasien von Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus angeregt hatte. Warum die großflächige Fahndung nötig sei? Soko-Insidern bezeichnen sie als "wichtiges Puzzlestück", das als eine der wenigen Akteure Auskunft über die Motive der Hintermänner bieten kann – und diese ja im Zweifel auch entlasten könne. Die Fahndung sei quasi die letzte Chance, sie zu finden, zuvor habe man bereits international nach ihr gesucht.

Neue Verdachtsmomente lassen sich laut Insidern aus dem Material nicht ableiten. Die Suche nach dem Ibiza-Video sowie nach strafbarem Verhalten, das darin angedeutet wird, wurde für die Soko zur Mammutaufgabe. In ihrem einjährigen Bestehen arbeitete sie im Auftrag von WKStA und StA Wien mehr als 40 Ermittlungsverfahren durch. Es gab 55 Hausdurchsuchungen, zehn freiwillige Nachschauen, 259 Vernehmungen, fünf Festnahmeanordnungen sowie 13 Rechtshilfeersuchen wegen insgesamt 31 unterschiedlicher Delikte.

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Kritik an "Strache-Fan" bei Ermittlern

Am Vorgehen der Soko wurde jedoch auch Kritik laut: Johannes Eisenberg, Anwalt des mutmaßlichen Video-Urhebers J. H., warf ihr vor, Delikte gegen seinen Mandanten "konstruiert" zu haben, unter kräftiger Mithilfe eines "Strache-Fans" in der Soko. SMS zwischen Strache und diesem Polizisten finden sich im Ermittlungsakt, sie deuten auf eine sehr freundschaftliche Beziehung hin. Mittlerweile hat Eisenberg Anzeige gegen Soko-Chef Andreas Holzer, Staatsanwälte, Richter und andere Polizisten eingebracht – es gilt die Unschuldsvermutung. Mit dem Fund des gesamten Ibiza-Videos kann Holzer nun einen großen Erfolg für sich verbuchen. Zu den Vorwürfen sagt er, dass der Polizist den ersten SMS-Kontakt mit Strache offengelegt habe. Außerdem sei der Polizist für die Soko ausgewählt worden, er hat sich also nicht angetragen. Ende August verließ er die Soko freiwillig. Er sei ein "exzellenter Ermittler" gewesen.

Am Mittwoch meldeten jedenfalls gleich mehrere Parlamentsfraktionen ihr Interesse am Video an. Das Material müsse rasch dem U-Ausschuss vorgelegt werden, forderten SPÖ, Neos und FPÖ, deren Fraktionsführer Christian Hafenecker das ganze Video am ersten Ausschusstag abspielen lassen will. Auch ÖVP-Fraktionsführer Wolfgang Gerstl will die "schnellstmögliche Lieferung". So rasch dürfte die Übergabe aber nicht passieren – das Thema soll jedenfalls bei einem Treffen zwischen Parlamentariern und Justizministerin Alma Zadić (Grüne) angeschnitten werden. Allerdings ist das Material laut Staatsanwaltschaft Wien noch nicht bei der Justiz angelangt, sondern noch in Händen der Polizei.

Zeugen für U-Ausschuss sagen ab

Weniger gute Nachrichten gab es für den U-Ausschuss an anderer Stelle: Die auf Ibiza von Strache als Geldgeber genannten Milliardäre Johann Graf, Heidi Horten und Gaston Glock sagten für ihre Befragung im U-Ausschuss wegen gesundheitlicher Gründe ab. Sie hatten Spenden an die FPÖ oder Strache stets dementiert.

Die mutmaßlich an der Entstehung des Ibiza-Videos beteiligten Personen sind mittlerweile polizeilich ausgeforscht worden. "Inspiration" hatte offenbar Straches ehemaliger Bodyguard R. geliefert, der belastendes Material über seinen Chef gesammelt hatte. Sein Anwalt M. soll dann gemeinsam mit J. H. das Video geplant haben, das im Juni 2017 heimlich gefilmt wurde. Dazu griffen sie offenbar auf diverse Handlanger aus der Sicherheitsbranche zurück, die immer wieder auch der Polizei Tipps über Vorgänge in kriminellen Milieus gaben. Aus diesem Personenkreis sollen auch Hinweise auf den aktuellen Fundort des Ibiza-Video-Materials gekommen sein.

Vor einem Jahr führte das Ibiza-Video zum Rücktritt Heinz-Christian Straches. Nun wurde das gesamte Videomaterial sichergestellt.
Foto: APA/SPIEGEL/SÜDDEUTSCHE ZEITUNG/HARALD SCHNEIDER

Unklar ist nach wie vor, ob die Videoproduzenten von unbekannten Dritten Geld für die Überlassung des Materials an Medien erhalten oder das Video vorab verkauft haben – aus ihrem Umkreis heißt es, sie hätten versucht, Geld zu sammeln, um Straches Bodyguard den Ausstieg aus dem Umfeld des damaligen FPÖ-Chefs zu ermöglichen. Anwalt M. soll sich schon 2015 an das Bundeskriminalamt gewandt haben, um Hinweise auf Korruption an der FPÖ-Spitze anzubieten. Allerdings ermöglichte er laut Bundeskriminalamt keinen Kontakt zum Bodyguard, sodass die Ermittlungen im Sand verliefen.

Der ehemalige Vizekanzler Strache hatte derartige Vorwürfe stets von sich gewiesen. Seine Aussagen im Ibiza-Video ergeben laut WKStA zwar keine Straftat, dafür ist er aber Beschuldigter in der Casinos- und der Spesenaffäre – es gilt die Unschuldsvermutung. Auf Facebook zeigte sich Strache am Mittwoch erfreut über den Fund des Videos. Das Material wird weiter von der Soko gesichtet, die Tonqualität sei "sehr schlecht", hieß es: "Ein riesiger Aufwand." (Fabian Schmid, 27.5.2020)