2019 war von Corona noch keine Spur – und auf dem Roten Platz in Moskau wurde des Sieges über Hitler-Deutschland gedacht.

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161 Tote, aber auch "nur" 8.338 Neuinfektionen meldete die russische Verbraucherschutzbehörde am Mittwoch. Das sind die niedrigsten Fallzahlen seit dem 1. Mai. Der Anteil Moskaus an der Gesamtzahl der Infektionen sinkt, so steckten sich in der russischen Hauptstadt 2.140 Personen neu mit Covid-19 an, so wenige wie zuletzt am 23. April.

Moskau sei daher bereit zur Lockerung der Quarantänemaßnahmen, verkündete die oberste Amtsärztin der Stadt, Jelena Andrejewa. "Wenn wir uns die drei Parameter anschauen, sind wir bereit für die erste Phase und im Prinzip sogar für die zweite", sagte sie auf einer Sitzung der Moskauer Stadt-Duma. Die Infektionsrate in Russland liege unter eins (jeder Kranke steckt weniger als eine neue Person an, Anm.), es gebe ausreichend freie Betten in den Moskauer Krankenhäusern, und es werde auch genügend getestet, teilte Andrejewa mit.

Sollte sich diese Tendenz fortsetzen, könnten in Moskau Dienstleistungsunternehmen wieder öffnen und die Behörden Spaziergänge an der frischen Luft für Kinder und Ältere erlauben, wenn bei denen die Notwendigkeit dazu besteht. Das alles aber nur unter strenger Aufsicht der Verbraucherschutzbehörde, fügte Andrejewa hinzu.

Nach wie vor große Gefahr

Über eine Aufhebung des Passierscheinsystems, mit dem die Behörden den Ausgang der Moskauer kontrollieren, sagte sie nichts. Insgesamt ist die Pandemiegefahr nach wie vor groß: Von den insgesamt offiziell 371.000 Covid-19-Fällen gelten 225.000 als aktiv.

Trotzdem sieht Präsident Wladimir Putin das Land nun offenbar nun schon für Großveranstaltungen gerüstet. Am Dienstag beauftragte er Verteidigungsminister Sergej Schoigu mit der Vorbereitung der Siegesparade. Die traditionelle und eigentlich zum 75. Jahrestag des Weltkriegsendes am 9. Mai geplante Militärparade musste wegen Corona abgesagt werden.

Putin hatte aber schon damals versprochen, sie nachzuholen. "Wir zwingen die Gefahr, mit der wir heute konfrontiert wurden, zum Rückzug, und dann werden wir alle für den 9. Mai geplanten Veranstaltungen durchführen", sagte er. Damit bekommt die Siegesparade in diesem Sommer nicht nur eine historische, sondern auch eine aktuelle Bedeutung – als Symbol des Sieges über die Corona-Krise.

Armee sieht kein Problem

Nun hat Putin den 24. Juni als Termin festgelegt. An dem Tag fand 1945 auch die erste Siegesparade nach Weltkriegsende in Moskau statt. Das heißt, dass in weniger als einem Monat 15.000 Soldaten über den Roten Platz marschieren, die vorher noch mehrfach üben müssen. Laut Schoigu ist das kein Problem. Der Höhepunkt der Ansteckungswelle sei in den Streitkräften überschritten. Von den 5.500 Fällen seien inzwischen 3.500 auskuriert, meldete er dem Kremlchef.

Zur Stärkung des patriotischen Geistes soll auch eine weitere Großveranstaltung noch in diesem Sommer steigen. Der Umzug "Unsterbliches Regiment", bei dem Millionen Russen mit den Porträts ihrer gefallenen Vorfahren durch die Straßen ziehen, ist am 26. Juli geplant, dem Tag der russischen Flotte. Putin begründete die Entzerrung der seit einigen Jahren am gleichen Tag stattfindenden Ereignisse mit Gesundheitsvorsorge. Leider könnten bei Zivilisten nicht die gleichen Sicherheitsmaßnahmen wie bei den Streitkräften gewährleistet werden, bedauerte Putin in dem Zusammenhang.

Neue Verfassung

Zugleich haben die Behörden auch den Countdown für ein weiteres politisches Großprojekt des Kreml neu gestartet: Die Wahlkommission hat die Vorbereitungen für das Referendum zu Putins neuer Verfassung wiederaufgenommen. Auch diese Abstimmung musste wegen Corona verschoben werden. Nun könnte sie zwischen den beiden patriotischen Feiertagen platziert werden.

Einen Termin hat Putin selbst dafür noch nicht genannt. Doch es halten sich hartnäckig Gerüchte, dass der 24. Juni Wunschtermin für die Verfassungsreform ist, die es dem russischen Präsidenten ermöglicht, seine bisherigen Amtszeiten zu annullieren und damit bis 2036 weiterzuregieren.

Aus Kremlsicht wäre dieser Tag optimal, da er wohl ohnehin zum Feiertag erklärt wird und sich durch die Militärparade gerade auch die konservativ-patriotischen Bevölkerungsschichten leichter aktivieren lassen. Der bekannte Soziologe Andrej Kolesnikow hat jedenfalls trotz der jüngst auf ein Rekordtief gefallenen Umfragewerte Putins keinen Zweifel daran, dass das Abstimmungsergebnis dem Wunsch des Kreml gemäß ausfallen wird. Wenn nur nicht eine neue Ansteckungswelle der politischen Führung den Feiertag vermiest. (André Ballin aus Moskau, 27.5.2020)