Über 80 Millionen User lesen Trumps umstrittenen Meldungen.

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Trump und Twitter: Das ist, um es in der Sprache der Diplomatie zu sagen, eine Beziehung zum gegenseitigen Vorteil. Der US-Präsident kann morgens, oft noch vor dem Frühstück, unter dem Namen @realDonaldTrump ein paar burschikos formulierte Zeilen in die Welt setzen und damit die Agenda des Tages bestimmen – was ihm allein schon seines Amtes wegen ziemlich oft gelingt.

Mithilfe von Twitter hat er sich so etwas wie ein Paralleluniversum erschaffen. Eine Welt, in der die virtuelle Realität die tatsächliche, komplexere, in einer Weise ersetzt, dass sich der harte Kern seiner Anhänger stets in seinen Ansichten bestätigt findet. Eine Welt, in der er zuspitzt, vernebelt, beleidigt, Halb- und Unwahrheiten verbreitet, ohne es begründen zu müssen, weil der Platz dafür sowieso nicht reichen würde.

"Jemand hat gesagt, ich sei der Ernest Hemingway der 140 Zeichen", brüstete er sich zu Zeiten, als das Limit pro Eintrag noch bei dieser maximalen Textlänge lag. Bei Twitter wiederum hatte man nichts dagegen, dass sich der Mann im noch immer wichtigsten Staatsamt der Welt des Kurznachrichtendiensts als Sprachrohr bediente. Es bedeutete Aufmerksamkeit und Wachstum für das Unternehmen des einstigen Informatikstudenten Jack Dorsey.

Zäsur auf Twitter

Ob der 26. Mai 2020 als das Datum in die Annalen eingehen wird, an dem die beiderseitig vorteilhafte Beziehung in die Brüche ging, wird sich noch zeigen. Jedenfalls ist es der Tag, an dem Twitter eine Wortmeldung Trumps zum ersten Mal mit einer Warnung versah: Man möge sich über die Fakten zum Thema Briefwahl informieren, war neben einem Rufzeichen zu lesen. Der Verweis führte zu Berichten seriöser Medien, von CNN, der "Washington Post" und der Washingtoner Parlamentszeitung "The Hill", die faktenreich widerlegen, was Trump über die Abstimmung per Post behauptet hatte.

Das Briefwählen könne ja nur auf massiven Betrug hinauslaufen, hatte er getwittert. Kisten würden gestohlen, Wahlzettel gefälscht und illegal gedruckt. Der Gouverneur Kaliforniens lasse Zettel an jeden versenden, der in seinem Staat lebe, egal wie die Leute ins Land gekommen seien.

Der Hintergrund: Angesichts der Pandemie stellt sich Gavin Newsom, der Demokrat im Gouverneurspalast in Sacramento, schon jetzt darauf ein, dass die Bürger seines Staates am 3. November, dem Tag des Präsidentschaftsvotums, vielleicht noch kein Wahllokal aufsuchen können, jedenfalls nicht in großer Zahl. Ergo hat er bereits Anfang Mai angewiesen, jedem Berechtigten die nötigen Unterlagen zuzuschicken. "Das wird eine manipulierte Wahl", kommentierte Trump.

Es ist nicht das erste Mal, dass er Kalifornien anführt, um vor angeblichen Gaunereien zu warnen. Trump konstruiert, ohne auch nur den geringsten Beweis zu erbringen, einen Generalverdacht: Der politische Gegner lasse massenhaft illegal Eingewanderte wählen.

Trump wäre nicht Trump, würde er nach dem Versuch, ihn zu korrigieren, nicht nachkarten. Nunmehr beschuldigt er Twitter, sich in den Wahlkampf einzumischen und sich dabei auf "Fake-News-CNN" und die "Amazon-Washington Post" zu stützen. Nötigenfalls werde er alle sozialen Medien schließen. Dass CNN angeblich Falschmeldungen verbreitet, gehört zu seinem Standardrepertoire. Und seit der Amazon-Gründer Jeff Bezos die Hauptstadtzeitung kaufte, hat sich Trump auf die unsinnige These versteift, das Blatte diene dem Multimilliardär nur als Knüppel, um auf ihn, den Präsidenten, einzuprügeln.

Sensibler Präsident

Bezos, kann man sagen, ist einer seiner Lieblingsfeinde. Gleiches gilt für Joe Scarborough, einen TV-Kommentator, der einst einen Wahlkreis Floridas im Repräsentantenhaus vertrat. Der Politiker Scarborough war Republikaner. Der Fernsehmann Scarborough führt bei MSNBC, einem linksliberalen Sender, durch eine Frühstücksshow und ist bekannt für seine scharfe, häufig sarkastische Kritik am Präsidenten. Was diesen umso mehr nervt, weil der Mann bis vor drei Jahren Parteifreund war.

Jedenfalls schürte Trump in hässlichen Tweets den Verdacht, Scarborough könnte eine Frau auf dem Gewissen haben, die einst in seinem Abgeordnetenbüro arbeitete. Der Witwer der 2001 an Herzversagen Verstorbenen bat Dorsey, die Einträge zu löschen, da es sich um "schreckliche Lügen" handle. Es war, zu Beginn der Woche, das Vorspiel zu der Entscheidung, die Briefwahl-Tweets einem Check zu unterziehen. (Frank Herrmann, 27.5.2020)