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Andrew Cuomo, der Gouverneur von New York, läutete die Glocke zur Wiedereröffnung des traditionsreichen Handelsparketts der New York Stock Exchange.

Foto: Reuters / Don Pollard

Gemeinsam sind wir stark." Mit dieser Botschaft kehrten am vergangenen Dienstag die Trader auf das Parkett der New York Stock Exchange (NYSE) zurück. Der Parketthandel wurde am 23. März geschlossen – als Folge der Anordnung, Abstand zu halten und Menschenansammlungen in geschlossenen Räumen zu vermeiden, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen.

Hektisch herumlaufende Händler, die wild gestikulieren und damit auch ein Stimmungsbild des Handels widerspiegeln – so kannte man das Geschehen am Trading Floor. Doch in den vergangenen rund zehn Wochen herrschten dort Stille und Leere. Durchbrochen wurde diese Stille von New Yorks Gouverneur Andrew Cuomo, der mit dem Ringen der Glocke das Parkett wiedereröffnete. So voll wie früher wird es auf dem Handelsparkett aber noch länger nicht werden. Auch für die NYSE-Halle gelten neuen Regeln. "Nur 25 Prozent der bisherigen Mannschaft darf vorerst auf das Handelsparkett zurück. Ihnen wird beim Betreten des Gebäudes kontaktlos Fieber gemessen, sie müssen Masken tragen, Abstand halten, die Händler dürfen nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen und müssen eine Schad- und Klaglosvereinbarung unterschreiben", beschreibt Monika Rosen-Philipp, Chefanalystin im Private Banking der Bank Austria, die neue Situation. Vor allem der letzte Punkt habe in der Branche für Aufregung gesorgt.

"Haben gelernt, uns zu schützen"

"Als wir die vergangenen zwei Monate pausiert haben, haben wir viel über das Virus gelernt und darüber, wie wir uns selbst schützen", erklärte Stacey Cunningham, Präsidentin der NYSE, in einem Interview mit CNBC die neuen Spielregeln. Sie sollen einen Virusausbruch in der Börse verhindern. "Mit der Wiedereröffnung des Handels auf dieser ikonischen Etage zeigt New York der Nation, dass wir die Führung übernehmen werden", sagte Cuomo recht staatsmännisch.

Doch wofür braucht es auf dem Parkett Broker, wo doch rund 90 Prozent der Handelsumsätze elektronisch abgewickelt werden? "Der Boden hier repräsentiert so viel mehr als die Quadratmeter, die er einnimmt", beschreibt John Tuttle, Chief Commercial Officer der NYSE, das Parkett. "Es ist ein Symbol Amerikas, und es ist ein Symbol der Kapitalmärkte. Es ist ein Symbol der Wirtschaft, und nach den Monaten, in denen die USA und die Welt im Wesentlichen offline waren, wollen wir wieder führend vorne stehen", fasst Tuttle seine Vision zusammen.

"Es ist vor allem für kleine, lokale und auf das Brokergeschäft spezialisierte Häuser wichtig, am Präsenzhandel teilzunehmen", erklärt Rosen-Philipp. Diese Unternehmen könnten nicht wie große Handelshäuser auf eine andere Infrastruktur ausweichen. Letztlich habe ein Börsenparkett auch "eine hohe Symbolkraft", sagt Rosen-Philipp – bei Börsengängen und auch in einer Krise.

Inszenierung auf dem Parkett

Aus Letzterer will Amerika auferstehen, wie Gouverneur Cuomo und NYSE-COO Tuttle betont haben – und zwar nicht irgendwie, sondern führend. Die US-Politik weiß das Börsenparkett gut zu inszenieren. Als der Handel nach den Anschlägen vom 11. September wiederaufgenommen wurde, hatten Vertreter von Polizei, Feuerwehr und Rettung das Parkett am 17. September eröffnet. Jene Helden, die nach den Terroranschlägen im World Trade Center Stunde um Stunde nach Überlebenden gesucht hatten. Die Trader applaudierten. Richard Grasso, damaliger NYSE-Chef, sagte: "Heute nimmt Amerika seine Geschäfte wieder auf." Die 39-jährige US-Marine Rose-Ann Sgrignoli sang die US-Hymne.

Auch bei Börsengängen wird die Halle gerne in Szene gesetzt. Schauspieler, Politiker, Comicfiguren oder Maskottchen tanzen dann auf dem Parkett.

Der Präsenzhandel per se ist aber vom Aussterben bedroht. Weltweit gibt es kaum noch Börsen, die darauf zählen. An der NYSE wird diese Tradition seit 1792 gepflegt. Für Aktien ist das Haus in der Wall Street Nr. 11 der letzte physische Handelsplatz in Amerika. Ein Platz mit umstrittener Bedeutung. Anhänger des elektronischen Handels verweisen darauf, dass die Computersysteme in den vergangenen Wochen reibungslos gelaufen und auch mit Rekordvolumina und hoher Volatilität zurechtgekommen sind. Sie brauchen den Parketthandel nicht. Die NYSE selbst verweist auf jüngste Daten, die zeigen, dass es weniger Volatilität und engere Bid-Ask-Spreads für an der NYSE notierte Aktien gab, wenn die Parketthändler anwesend waren. Das habe Anlegern Millionen Dollar gespart. Zudem wird mit den Menschen auf dem Parkett das Börsengeschehen sichtbar.

Dass das Parkett nun vorübergehend leergefegt wurde, zeigt die Macht der Corona-Pandemie. Denn es war dies das erste Mal, dass der Präsenzhandel in der knapp 228-jährigen Geschichte eingestellt wurde. (Bettina Pfluger, 28.5.2020)