In Österreich ist die Influenza-Durchimpfungsrate im einstelligen Prozentbereich. Das ist ein Problem, das sich auch 2020/21 nicht ändern wird.

Imago

Die rigiden Maßnahmen gegen die weitere Ausbreitung von Covid-19 rund um den Globus hatten vielfache schwere Nebenwirkungen. Darunter waren aber auch – medizinisch betrachtet –einige positive Folgeerscheinungen: Die jährliche Grippewelle etwa war viel früher beendet als sonst üblich.

In Österreich war sie bereits Anfang April fast schlagartig gestoppt, wie die Daten der Ages (Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit) zeigen. "Normalerweise klingt sie erst Ende Mai langsam aus", sagt die Virologin Elisabeth Puchhammer-Stöckl von der Med-Uni Wien. Ähnliche Verlaufskurven veröffentlichte kürzlich die Weltgesundheitsorganisation WHO und das Wissenschaftsmagazin "Nature" für die gesamte nördliche Hemisphäre.

Verlaufskurven der jüngsten Grippesaisonen in der nördlichen Hemisphäre. 2020 brach die Grippeepidemie aufgrund der Maßnahmen gegen Covid-19 abrupt und vorzeitig ab.
Grafik: Nature

Weniger Grippetote 2020

Weltweit sterben laut Angaben der WHO schätzungsweise 290.000 bis 650.000 Menschen jährlich an saisonaler Grippe: Eine kürzere Grippesaison bedeutet also, dass zumindest die Influenza vermutlich um einiges weniger Opfer forderte als sonst. In Österreich liegt die Gesamtbilanz der diesjährigen Grippesaison noch nicht vor.

Von Hongkong etwa weiß man bereits, dass die Influenzaperiode 2019/20 um 63 Prozent kürzer war als in den fünf Jahren zuvor; die Zahl der Todesfälle reduzierte sich dadurch um nicht weniger 62 Prozent. Das ist gewiss ein Extremfall. Doch einen Rückgang bei grippebedingte Todesfällen wird es wohl auch in Österreich gegeben haben.

Lebensrettende Impfung

Anders als gegen Covid-19 gibt es gegen Grippe längst eine Impfung, die im Vergleich mit allen anderen Impfungen besonders viele Leben retten würde. Doch in Österreich ist sie nicht allzu beliebt, um es vorsichtig zu formulieren: "Wir zählen bei der Durchimpfungsrate gegen Grippe zu den Schlusslichtern in der westlichen Welt", sagt Puchhammer-Stöckl.

Genaue Daten liegen für 2019/20 noch nicht vor, aber die Rate dürfte bei fünf bis sieben Prozent liegen und könnte im Vergleich zum Vorjahr noch einmal gesunken sein. 2017/2018 lag die Quote bei 6,2 Prozent, 2018/19 bei 8,4 Prozent.

Diese im internationalen Vergleich bis jetzt sehr geringe Impfbereitschaft könnte im kommenden Herbst und Winter aber zum Problem werden – insbesondere dann, wenn es zu einer zweiten Covid-19-Welle kommt, wie von vielen Experten befürchtet wird. Es kann zwar gut sein, dass sich die weiterhin bestehenden Vorsichtsmaßnahmen auch auf die Grippesaison 2020/21 positiv auswirken. Die Virologin Puchhammer-Stöckl will sich diesbezüglich aber auf keine Spekulationen einlassen.

"Das Impfen ernster nehmen"

Für sie ist klar, dass alles getan werden sollte, um vermeidbare Erkrankungen noch besser als sonst zu verhindern – und dazu gehört vor allem die Impfung gegen Influenza. Dem pflichtet auch Kinderarzt Peter Voitl bei, Impfreferent der Ärztekammer Wien: "Man sollte in Österreich das Impfen viel ernster nehmen. Dazu gehört etwa auch, sich ab 50 gegen Pneumokokken impfen zu lassen."

Möglicherweise ändert sich die bisherige Impfbereitschaft der Österreicher gegen Influenza im Herbst aufgrund von Covid-19 ja doch. Puchhammer-Stöckl hat bei ihren Patienten jetzt schon eine leicht verstärkte Nachfrage für den Herbst registriert und auch Gesundheitsminister Rudolf Anschober hat bereits zu Beginn der Corona-Pandemie auf die verbesserbare Grippeimpfbereitschaft der Österreicher hingewiesen.

Zu spät für Kampagnen

Das Problem ist nur, dass es für etwaige Grippeimpfkampagnen auch für 2020/21 leider jetzt schon zu spät ist: Die Zuteilung der Impfstoffmenge für Österreich ist seitens der Produzenten nämlich längst erfolgt, erklärt Alexander Herzog, Generalsekretär der Pharmig, Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs. "Diese Zuteilung bemisst sich an den bisherigen Erfahrungswerten", so Herzog, "denn die Produktion ist aufwendig, und der Impfstoff ist nur eine Saison haltbar."

Für Österreich sind 600.000 bis 700.000 Dosen vorgesehen, und viel mehr können es nicht werden – auch wenn es womöglich noch Nachverhandlungen gibt. Der Sonderbeauftragte im Gesundheitsministerium, Clemens Auer, verweist auch auf bestimmte Versäumnisse in der industriellen Forschung, die dafür Ursache tragen, dass man beim Grippeimpfstoff so lange im Voraus plant: die Grippeimpfstoffe würden heute immer noch so hergestellt wie in den 1950er-Jahren.

Peter Voitl jedenfalls rät allen Impfwilligen, sich diesen Herbst möglichst früh impfen zu lassen. Das ist in Covid-19-Zeiten nicht nur aus gesundheitlicher Sicht sinnvoll – sondern womöglich dieses Jahr auch deshalb, weil der Impfstoff im Laufe des Winters ausgehen könnte. (Klaus Taschwer, 28.5.2020)