Die neue App soll helfen, die Pandemie einzudämmen, sagt die Regierung.

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Frankreichs Premierminister Edouard Philippe hat am Donnerstag bestätigt, dass die Tracing-App "Stop Covid" zu Pfingsten anlaufen soll; am kommenden Dienstag soll sie in ganz Frankreich in Betrieb sein. Die beiden Parlamentskammern hatten am Tag zuvor grünes Licht für die Operation "Stop Covid" gegeben.

Neben der Macron-Partei La République en Marche stimmten allerdings nur wenige Abgeordnete dafür; rund zwei Fünftel der Nationalversammlung und des Senats lehnten die Vorlage vor allem wegen Datenschutzbedenken ab. In der Nationalversammlung stimmten 338 Abgeordnete für den Einsatz der App, bei 215 Gegenstimmen und 21 Enthaltungen. Im Senat wurde die Anwendung mit 186 Stimmen gebilligt, es gab dort 127 Neinstimmen und 29 Enthaltungen.

Widerstand

Von deutschen und französischen Instituten entwickelt, war die Warn-App ursprünglich für den ganzen Kontinent gedacht. Ein gesamteuropäisches Vorgehen scheiterte allerdings bald an den unterschiedlichen Vorstellungen. Deutschland oder Österreich wählten zum Beispiel einen dezentralen Ansatz, bei dem die Daten nur auf dem jeweiligen Smartphone gespeichert werden. Frankreich bevorzugte nicht ganz überraschend ein System mit einem zentralen Server. Er kann durch die Epidemiologen fortlaufend weiterentwickelt werden und Daten speichern, "um den Warnalgorithmus zu trainieren", wie das deutsche Unternehmen t3n festhält.

Die zentrale Erfassung wirft allerdings ein grundrechtliches Problem auf: Wer garantiert, dass die Daten nicht in die Hände der Staatssicherheit gelangen, wie es in China höchstwahrscheinlich der Fall ist? Innenminister Christoph Castaner hatte noch Ende März erklärt, eine solche Warn-App entspreche "nicht unserer Kultur". Zwei Monate später hat sich der Diskurs komplett geändert, was die Datenschützer umso skeptischer macht.

Oppositionspolitiker wie der Linke Jean-Luc Mélenchon bezeichnen die "Stop Covid"-App als "freiheitsberaubend". Die Rechtspopulistin Marine Le Pen wirft der Regierung von Präsident Emmanuel Macron vor, er lanciere das "Gadget" "Stop Covid" nur, um davon abzulenken, dass er bei der Beschaffung von Covid-Tests und Schutzmasken kläglich versagt habe. Digitalminister Cédric O hält dagegen, diese App könne "Kranke und Tote retten".

Sicherheitsabstand

Praktisch funktioniert sie so: Eine Covid-infizierte Person, die von einem Arzt als solche erkannt und bestätigt worden ist, lädt die App "Stop Covid" auf ihr Handy. Wer die gleiche App hat und sich eine Viertelstunde lang näher als einen Meter bei dieser Person aufhält, wird durch ein Bluetooth-Signal auf seinem eigenen Smartphone gewarnt. Das geschieht völlig anonym, das heißt ohne zu wissen, von wem der Alarm ausgeht.

Voraussetzung ist, dass beide Personen die App heruntergeladen und ihr Smartphone angestellt haben und dazu auch über Bluetooth verbunden sind. Die Beteiligung ist auch für Infizierte freiwillig; eine Geolokalisierung findet nicht statt. Ein typischer Anwendungsfall ist eine Zugfahrt oder ein Flug. Kritische Virologen haben allerdings ausgerechnet, dass in der aktuellen Auslaufphase selbst in einem dichtbesetzten Vorortszug im Schnitt nur eine Person Virusträger wäre. Eine Ortung pro Zugfahrt genüge, wenden die Befürworter der App ein.

23 Prozent der Franzosen haben allerdings gar kein Smartphone. Und gerade in einem Land, wo es schon Aggressionen gegen Covid-19-Angesteckte gab, gilt es als unsicher, ob letztere bereits sind, ein App-Signal auszusenden. Falls sie nicht längst in Quarantäne sind und überhaupt noch den Zug nehmen. Auch müssen sie dem Datenschutz des Zentralstaats trauen, was in Frankreich keineswegs gegeben ist.

Bedenken

Auch Handykonzerne wie Apple stehen nicht über allem Verdacht, zumal sie die Kooperation mit den französischen App-Entwicklern scheuten. In Paris denken viele an das abschreckende Beispiel des Beraterunternehmens Cambridge Analytica, das persönliche Facebook-Daten für die Brexit-Debatte missbraucht hatte.

Frankreichs koreastämmiger Digitalminister O verweist hingegen auf eine Meinungsumfrage, laut der 62 Prozent der Franzosen bereit sein wollen, die "Stop Covid"-App herunterzuladen. Bei einer Beteiligung von mehr als 60 Prozent kann die App laut Experten Sinn machen. Vorgesehen ist, dass auch Reisende von außerhalb Frankreichs und Grenzgänger die App herunterladen können. (Stefan Brändle aus Paris, 29.5.2020)