Vom dunkelblauen Meer her weht eine leichte, milde Brise, über der Piazza Flavio Gioia am Hafen von Amalfi wölbt sich ein strahlender Himmel. Doch auf dem großen Platz, wo in dieser Jahreszeit normalerweise im Viertelstundentakt Touristenbusse ankommen, herrscht nur wenig Betrieb. Die Ticketschalter für die Ausflugsboote nach Ischia, Capri, Positano, Sorrento, Salerno und zur Grotta dello Smeraldo sind verwaist.

Aber immerhin: Auf den Bänken der Hafenmole und des "Lungomare", der Meerpromenade, sonnen sich ein paar Einheimische. Und auf der kleinen Piazza dei Dogi bieten die Händler an ihren Ständen frisches Gemüse und Früchte an. Auf den ersten Blick wirkt alles beinahe normal – nur Touristen sind weit und breit keine zu sehen.

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Der Hafen von Amalfi. Wo sich in anderen Jahren spätestens im Mai schon tausende ausländische Touristen tummeln, herrscht im Jahr 2020 noch Ruhe.
Foto: Reuters / Ciro de Luca

Amalfi und die danach benannte Küste nahe Neapel, die sich von Salerno im Süden über rund 50 Kilometer nach Sorrento im Norden erstreckt, ist eines der bekanntesten und beliebtesten Reiseziele Italiens überhaupt. Seit 1997 zählt die einstige "Repubblica Marinara di Amalfi" mit ihren steil aufragenden Felsen, den pastellfarbenen kleinen Fischerstädtchen, der kurvenreichen Küstenstraße, den zahllosen türkisfarbenen Buchten und den Zitronenhainen auf schwindelerregenden Felsterrassen zum Unesco-Weltkulturerbe.

Künstler, Dichter und Adelige

Schon zu Zeiten einer "Grand Tour" im 18. und 19. Jahrhundert, als Künstler, Dichter und Adlige aus dem Norden das Belpaese bereisten, war die Küste in der heutigen Region Kampanien der Inbegriff der mittel- und nordeuropäischen Italien-Sehnsucht gewesen. Nirgendwo sonst ist Italien so sehr das "Land, wo die Zitronen blühen" wie an der Costiera Amalfitana.

Amalfis Bürgermeister Daniele Milano auf dem Balkon des Municipio, des Gemeinde-Palazzo: Umsatzeinbußen liegen zurzeit oft bei 100 Prozent.
Foto: Dominik Straub

Das Paradies am Tyrrhenischen Meer ist von der Corona-Krise mit voller Wucht getroffen worden: "Bei uns leben fast alle Familien in irgendeiner Form vom Tourismus", sagt der Bürgermeister von Amalfi, Daniele Milano: "Hoteliers, Besitzer von Restaurants, Trattorien und Bars, Bootsverleiher, Transportunternehmen, Zulieferer, Tour-Anbieter: Alle sehen sich mit massiven Umsatzeinbußen konfrontiert, oft zu 100 Prozent."

Die Verluste gehen jetzt schon in die zig Millionen Euro; bis Ende des Jahres befürchtet der Tourismusverband der Region Kampanien Ausfälle in zweistelliger Milliardenhöhe. Doch das Schlimmste an der Situation sei die Ungewissheit, betont der Bürgermeister: Zwar konnten die Hotels schon wieder öffnen, jedoch nur unter sehr strengen Auflagen.

Unbekannt ist aber vor allem, ob heuer überhaupt noch Gäste kommen werden: 90 Prozent der Touristen an der exklusiven Amalfi-Küste stammen aus dem Ausland – und das ist ein großes Problem: Im Unterschied zu Destinationen wie Rimini, Venedig, Florenz oder Rom, wo die italienischen Gäste einen deutlich höheren Anteil am Umsatz ausmachen, ist die Amalfi-Küste schon seit Jahrzehnten fast ausschließlich auf die Ausländer angewiesen.

Immerhin öffnet Italien seine Grenzen bereits am 3. Juni für alle Touristen, aber die problemlose Rückreise – etwa nach Österreich – ist damit noch keineswegs sichergestellt.

Hoffen auf Buchungen

"Werden die Amerikaner, Deutschen, Österreicher, Schweizer, Australier, auch die Japaner und die Skandinavier überhaupt anreisen wollen?", fragt sich Giovanni Di Martino, der im malerischen Positano einen kleines Hotel und eine Weinboutique besitzt. Diese geöffnet halten zu dürfen, das sei ja schön und gut – aber es müsse sich auch rechnen.

Die Ungewissheit bedrückt fast alle Menschen an der Amalfi-Küste. "Ich weiß nicht, ob wir in diesem Jahr überhaupt noch öffnen werden", sagt Rita Buonacore mit Tränen in den Augen. Sie betreibt zusammen mit ihrem Mann unweit des Hauptorts Amalfi ein Viersternehotel mit eigenem kleinem Strand. Normalerweise sei das Hotel im Mai völlig ausgebucht – doch Anfang März, als die Corona-Epidemie in Norditalien ausbrach und die Regierung von Giuseppe Conte den Lockdown verfügte, wurden sämtliche Buchungen storniert. "Die Rechnungen, die Zinsen, die Steuern und die staatliche Konzessionsgebühr für den Strand laufen aber weiter. Wenn die ausländischen Gäste auch im Sommer und Herbst ausbleiben, sind wir verloren", betont Buonacore.

Die Touristenorte der Amalfi-Küste sind insgesamt wohlhabend; die meisten Familienbetriebe haben Reserven und können ein paar Monate auch einen Totalausfall wegstecken. Aber eben nur ein paar Monate: "Vielleicht werden wir für immer schließen müssen", betont der Lido-Besitzer Sebastiano. Er führt zusammen mit seinen Brüdern und den Söhnen in einer sandigen Bucht zwischen Amalfi und Positano, die nur per Boot erreichbar ist, eine kleine Strandanlage mit Bar. Das Meer vor seinen Augen ist wegen der fehlenden Touristenboote und Yachten derart ruhig und kristallklar, dass Sebastiano vom Strand aus wieder Delfine beobachten kann. Normalerweise fliehen die Meeressäuger vor dem Motorenlärm.

Lebensader Tourismus

Mehr als zehntausend Familien leben an der Amalfi-Küste direkt vom Tourismus – unter ihnen auch zigtausende Saisonangestellte, die von Anfang April bis Ende Dezember als Kellner, Dienstboten, Chauffeure oder Zimmermädchen arbeiten. Für sie kam der Lockdown zum ungünstigsten Zeitpunkt: Anfang März, also genau in dem Moment, als die dreimonatige staatliche Kurzarbeiter-Entschädigung auslief und die Hauptsaison und damit die Arbeit wieder beginnen sollte. Und dann kam der von der Regierung versprochene "Bonus" von 600 Euro für Härtefälle wochenlang nicht an. Die Folgen: Selbst im reichen Amalfi musste die Gemeinde jede zehnte der 2000 Familien zeitweise mit Nahrungsmittelpaketen versorgen, wie Bürgermeister Milano betont.

Die beiden Pizzaioli Salvatore und Francesco Gambardella in Amalfi: Das Brüderpaar hat zur Unterstützung finanziell in Bedrängnis geratener Mitbürger die "Pizza sospesa" eingeführt.
Foto: Dominik Straub

"Wir Saisonangestellten sind seit Monaten ohne jedes Einkommen, und die Regierung lässt uns im Stich", betont Paolo vom Bar-Ristorante Terminal am Hafen von Amalfi, der nun auf der Piazza vor der millionenfach fotografierten Kathedrale mit zwei ebenfalls arbeitslosen Kollegen plaudert. Der 28-Jährige versucht es mit schwarzem Humor: "Jetzt gehen wir eben öfter in unserem traumhaften Meer schwimmen – sonst ist das ja nicht möglich, da haben wir keine Zeit dazu."

Hilfe für die Erwerbslosen kommt in Amalfi nicht nur von der Gemeinde, sondern auch von privater Seite. Zum Beispiel von den Brüdern Francesco und Salvatore Gambardella: Sie führen unweit der Piazza Duomo in Amalfi eine Take-away-Pizzeria, die am 4. Mai nach 45 Tagen wieder öffnen durfte. Die beiden Pizzaioli haben die "Pizza sospesa" eingeführt: Man kann bei ihnen eine Pizza kaufen, die man dann nicht selber isst, sondern Bedürftigen überlässt.

"Wir haben sehr viele Anfragen für die 'Pizza sospesa'", sagt Francesco. Verdienen tun die beiden Brüder nichts an ihrer Aktion. "Und auch sonst machen wir wegen der fehlenden ausländischen Gäste praktisch keinen Umsatz – aber wir sind froh, dass wir wenigstens wieder arbeiten können", betont Francesco. Die ganze Situation sei schon "eigenartig und surreal".

Der Optimismus stirbt zuletzt

Trotz der ungewissen Aussichten und der Sorgen bleiben die meisten Küstenbewohner verhalten optimistisch. Fast überall werden Fassaden getüncht und Restaurantterrassen hergerichtet; in Amalfi werden die Mosaike der Kathedrale restauriert, und in Positano lärmen Presslufthämmer, weil gerade das Kopfsteinpflaster in der von Boutiquen und Souvenirläden gesäumten Fußgängerzone erneuert wird. "Wir wissen zwar nicht, wann die Gäste wieder kommen – aber wir wollen bereit sein", betont Hotelier Giovanni Di Martino in Positano.

Und in der Tat: Nach der von der Regierung angekündigten Öffnung der Grenzen am 3. Juni konnten einige Hotels wieder die ersten Buchungen entgegennehmen – wenn auch erst für die Monate Juli und August. Einige wenige Bed-&-Breakfast-Betriebe sind inzwischen wieder geöffnet; die Luxushotels planen die Wiederaufnahme des Gästebetriebs Ende Juni.

Der kommunale Desinfektionstrupp im Einsatz in Amalfi: Die Gassen des Ortes sind oft derart steil und eng, dass auf die Transportdienste von Maultieren zurückgegriffen werden muss.
Foto: Comune di Amalfi

Auch Amalfis Bürgermeister Daniele Milano bereitet seine Gemeinde vor: Er ließ schon längst alle Plätze und Gassen desinfizieren. Weil sich Amalfi an die Berghänge schmiegt und viele Gässchen zu eng und zu steil sind, um befahren werden zu können, waren die Reinigungstrupps mit Maultieren unterwegs: Den "ciucciarielli", wie die traditionellen Transporttiere im lokalen Dialekt genannt werden, wurden die schweren Kanister mit den Desinfektionsmitteln auf den Rücken gebunden. Bürgermeister Milano garantiert den Gästen, dass sie sich an der Amalfi-Küste nicht mit dem Coronavirus anstecken werden – auch deshalb nicht, weil das Virus ohnehin kaum vorhanden war und es hier schon seit Wochen keine Neuansteckungen mehr gab.

Auch das gehört zum grotesken Drama dieser süditalienischen Traumgegend: Obwohl die Amalfi-Küste von der Corona-Epidemie so gut wie verschont geblieben ist, kam der Tourismus auch hier völlig zum Erliegen. Null Viren – und trotzdem null Touristen: "Für lange Zeit konnten nicht einmal wir Einheimischen in einer Bar einen Kaffee trinken oder abends einen Teller Spaghetti essen gehen", sagt der arbeitslose Kellner Paolo. Es war eben alles zu an der Amalfi-Küste. (Dominik Straub, 1.6.2020)