Dramatiker Felix Mitterer hat seinen ersten und durchwachsenen Roman geschrieben.

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Die Einrichtung des "Hofmohren" erlebte in Wien mit Angelo Soliman Ende des 18. Jahrhunderts einen späten Höhepunkt. Der als Kind von Sklavenhändlern nach Europa verschleppte Afrikaner war am Schlachtfeld ebenso geschickt wie in den Fremdsprachen und in der Technik ebenso beschlagen wie der Naturwissenschaft kundig. Vom fürstlichen Kammerdiener stieg er auf zum stadtbekannten und geschätzten Freimaurer.

Dennoch blieb er ein Exot, dem nach dem Tod 1796 die Haut abgezogen wurde: Ausgestopft ging er in die kaiserliche Naturalienkammer ein. Es wundert ob dieser Lebensgeschichte nicht, dass Felix Mitterer als Advokat von Außenseitern an seinem Fall Feuer gefangen hat. Die außergewöhnliche Geschichte reicht ihm in seinem späten ersten Roman Keiner von euch allerdings noch nicht. Er webt die historische Figur ein in ein Netz aus so schillernder wie abenteuerlicher Fiktion.

Aufklärung und Hurerei

Sie beginnt schon damit, dass Mitterer Angelo 30 Jahre später auf die Welt kommen lässt, damit sich die weiteren Verstrickungen ausgehen. Acht Jahre ist Angelo alt, als er 1759 als Geburtstagsgeschenk für die kleine Clara aus einem Leinensack auf eine fürstliche Terrasse in Messina gekippt wird. Sie gewinnt das Vertrauen des Buben, hat aber Konkurrenz: den aus Wien angereisten Fürsten Thunstein. Der Pädophile gibt keine Ruhe, bis er Angelo mit sich nehmen darf. Jahre vergehen, ehe Clara und er sich wiedersehen: als sie ahnungslos nach Wien kommt, um den Fürsten zu heiraten.

Nun nimmt die Geschichte richtig Fahrt auf. Denn nicht nur findet Clara die aufgemascherlte Gesellschaft hier lächerlich, Mitterer zieht die Schrauben an, um ein kurioses Sittenbild Österreichs unter dem Reformkaiser Joseph II. zu zeichnen. Den aufklärerischen Geist des mit seiner Mutter darob rangelnden Monarchen konterkariert Mitterer mit dessen Vorliebe für jodelnde Dirnen im Sennerinnenkostüm. Er wird schwach, wenn seine Wally im Sommer den Hang hinterm Schloss Schönbrunn mit der Sense mäht. "Da ist der Sitz der Musikalität!", kräht wiederum der stets frivole W. A. Mozart und greift sich in den Schritt.

Kostümschinken

Dagegen ist Angelo ein besonnenes Ideal, das Mitterer noch übersteigert. Angelo besiegt Kempelens "Türken" im Schachspiel und deckt nebenbei noch den Betrug mit dem Automaten auf, erfindet die Wiener Hochquellwasserleitung, und natürlich verliebt sich Clara bald in ihn. Angelos Wohlergehen steht aber der kaiserliche Leibarzt im Weg, der einer kruden Rassentheorie anhängt. Bei Sektionen plattfüßiger Hofbeamten habe er erkannt, dass die verzärtelte "weiße Rasse" dem "herrlichen" Afrikaner unterlegen sei. Angelo soll ihm tot dafür Beweis sein. Wie den Schützling des Kaisers aber erledigen? Er schiebt ihm einen Ritualmord mit Hühnern unter.

Aufklärung und Kitsch ringen auf den 344 Seiten miteinander. Keiner von euch ist ein humanistisches Buch, doch im Gewand eines auf Liebe, Action und deftige Pointen bauenden Kostümschinkens. Eindruck macht allenfalls, wie Mitterer Versatzstücke und Erfindung zum süffigen Plot arrangiert. Wenig überzeugt auch die Sprache. Die Sätze der kapitelweise abwechselnd erzählenden Figuren sind allzu schlicht. Vielleicht ein halbgarer Kniff des Dramatikers, sich der ungewohnten Prosa zu nähern. (Michael Wurmitzer, 29.5.2020)