"Get off my lawn" ("Weg von meinem Rasen"): Clint Eastwood als nörgelnder, schlecht gelaunter Nachbar in "Gran Torino", der Eigenverantwortung beweist.

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Wären Sie gerne der Nachbar von Clint Eastwood? Eine Antwort auf diese ein wenig unsinnige Frage sagt viel darüber aus, wie man sich zur Starpersona eines Schauspielers verhält. Nicht wenige werden an Gran Torino (2009) denken, an diesen vorurteilsvollen Grantscherben namens Walt Kowalski, der nur auf seiner Veranda an seinem Dosenbier nuckeln will, dann aber in seiner Ruhe gestört wird. In seinem mittlerweile von vielen Minderheiten bewohnten Stadtteil fühlt er sich fremd, dennoch rafft er sich missmutig zu einer sozialen Intervention auf. Trotz aller Durchsetzungskraft will man mit so jemandem wohl nicht unbedingt Tür an Tür leben.

In Wirklichkeit ist Clint Eastwood natürlich ganz anders. Er ist ein Mann, der Eichkätzchen mit Nüssen in sein Büro lockt – und zwar nicht, wie man vermuten könnte, um sie zu vergiften. "Sie bleiben, bis ihnen fad wird", erzählte er vergangenen Dezember in der Talkshow von Ellen DeGeneres. Die Komikerin ist Eastwoods Nachbarin. Deshalb durfte sie ihn auch nach seinem Alter fragen, über das er nicht so gerne spricht. Diesen Sonntag wird Clint Eastwood 90 Jahre alt. Aus dem Fremden ohne Namen, wie sein Westernregiedebüt High Plains Drifter aus dem Jahr 1973 mit deutschem Titel heißt, ist längst eine lebende Legende geworden.

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Clint Eastwoods Ausnahmestatus im gegenwärtigen Hollywood hat viel damit zu tun, dass er auf die "good old days" zurückverweist. Als störrischer, aber auch unberechenbarer Konservativer ist er ein Sonderfall im "liberalen" Tinseltown, als Filmemacher ein Klassizist, der so effizient und schnörkellos inszeniert wie früher die großen Studioregisseure.

Unbequeme Perspektiven

Für manche wie die berühmte Kritikerin vom New Yorker, Pauline Kael, blieb er ein rotes Tuch, sein wachsender Ruhm bei den Intellektuellen war für sie nur ein Trostpreis, nachdem er seine "spaghetti sexiness" verloren hatte. Die Mehrheit erkannte in ihm jedoch im Lauf der Jahrzehnte einen großen "auteur" des US-Kinos, der sich Film für Film an den Mythen seines Landes abarbeite. Der Unterschied zwischen Gesetz und Gerechtigkeit, das Individuum im Clinch mit einer missliebigen Umwelt oder einer fragwürdigen Macht, das sind die Themen, denen er sich immer wieder aus neuen, unbequemen Perspektiven zu stellen versteht.

Zuletzt in Der Fall Richard Jewell, dessen Start nach einer Corona-bedingten Verschiebung im Juli nachgeholt wird. Eastwood legt sich darin für einen wahren Antihelden ins Zeug, den von Paul Walter Hauser mit Verve verkörperten Security-Beamten mit realem Vorbild, der 1996 bei den Olympischen Spielen in Atlanta verhindert hat, dass eine Rohrbombe nicht noch größeren Schaden anrichtete. Jewell, ein Waffennarr und Muttersöhnchen, geriet dann selbst ins Visier des FBI. Das liefert Eastwood die Gelegenheit für eine Polemik gegen das Klischee des rechtsradikalen Täters aus den eigenen Reihen.

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Eastwood ist immer für Eigensinn gut, das fällt in einem Land, in dem sich ein gewisser moralischer Rigorismus breitgemacht hat, besonders auf. Man vergisst dabei gern, dass seine Starpersona, die man zu Recht ikonisch nennen darf – niemand grummelt wie er so giftig durch die zusammengebissenen Zähne –, eine fabrizierte ist, mithin nicht vom Himmel fiel. Es hätte nicht viel gefehlt, und seine Karriere hätte der von Ty Hardin geglichen, jenem Schauspieler, der Quentin Tarantino zu Leonardo DiCaprios Figur in Once Upon a Time ... in Hollywood mitinspiriert hat.

Namenlose Präsenz

"Ich war der Typ, der in die Palisaden gerannt kam und rief: ,Es brennt!‘", vertraute Eastwood einmal einem Filmjournalisten über seine Rollen in den Fließbandproduktionen seiner Anfangsjahre an. Von solchen Kleinstauftritten ging es weiter zur damals schon nostalgischen TV-Westernserie Rawhide, in der Eastwood als nicht besonders markanter Angehöriger eines Viehtriebs mitwirkte – das hätte auch schon wieder fast das Ende sein können.

Doch Eastwood erkannte seine Gelegenheit, als er das Skript des noch unbekannten Sergio Leone in Händen hielt – eine Charakterrolle jenseits von Gut und Böse. Seine Leinwandpersona ist mit dem "magnifico straniero" im Spaghetti-Western Für eine Handvoll Dollar (1964) und in weiteren zwei Klassikern des Italieners endlich geboren. Als schweigsamer Einzelgänger, der in der Endzeit des Genres nur von Profitgier gelenkt wird, manifestiert sich nicht nur Eastwoods stoisches, reduziertes Spiel in ganzer Pracht. Dies war zugleich der Nullpunkt einer Heldenfigur, die Eastwood dann hinterher, in den eigenen Arbeiten, wieder mit neuen Bedeutungen versah.

N.B.

Eastwood interessiere sich zentral dafür, in einer Welt ein Held zu bleiben, die den Heroismus entwertet und gegen Zynismus eingetauscht hat, schreibt der Filmpublizist Stéphane Bouquet in seinem Essay über ihn. Das lässt ihn bei aller Klassizität auch so aktuell, ja notwendig erscheinen. Nicht nur in den Western von der biblischen Rachefantasie High Plains Drifter bis zum Oscar-gekrönten Unforgiven (1992), auch in umstritteneren Filmen wie American Sniper (2014) oder in The Mule (2018) verteidigt er einen Individualismus mit Maß, der für die Integration Andersdenkender, aber auch für jene von Minderheiten offen ist. Dies ist eine Idee von Amerika, die gerade wieder sehr bedroht erscheint. (Dominik Kamalzadeh, 31.5.2020)