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Wo sich die USA zurückziehen, übernimmt China die Vormachtstellung.

Foto: AP Photo/Andy Wong, File

Die Kulturorganisation Unesco und der UN-Menschenrechtsrat haben es schon hinter sich. Der Weltgesundheitsorganisation WHO hat US-Präsident Donald Trump am Freitagabend ultimativ die Zusammenarbeit aufgekündigt. Und auch die Handelsorganisation WTO und die Nato sind nicht sicher.

Wer die Rage des damaligen Kandidaten Donald Trump gegen den "Globalismus" einst noch als Wahlkampfgetöse abgetan hat, muss nun, zum Ende seiner ersten Amtszeit, feststellen: Die Abneigung gegen internationale Zusammenarbeit ist Trump auch im Amt des US-Präsidenten nicht vergangen. Die USA haben tatsächlich eine Reihe wichtiger Organisationen verlassen. Vieles, was das internationale System seit 1945 ausmacht, ist nicht mehr sicher, wenn ihn die Wähler im Herbst für eine weitere Wirkungsperiode berufen.

Trump verkauft das als Wiederauferstehung der USA, als Lösen von Fesseln, die sich dumme Amtsvorgänger von Bürokraten hätten aufschwätzen lassen. Um Amerika wieder "great" zu machen, müsse man diese zerschlagen. Doch das Vakuum, das der US-Präsident zurückzulassen glaubt, währt nicht lang. Gefüllt wird es meist ausgerechnet von jenem Staat, den Trump zu seinem Antagonisten auserkoren hat. China hat sich zuletzt fast überall dort, wo die USA nun nicht mehr sind, wachsenden Einfluss verschafft. Staatschef Xi Jinping und seine Mitstreiter bekommen die Mitsprache zum Okkasionspreis.

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Teure Mitgliedschaft

Denn zumindest ein Punkt, den Trump und seine Mitstreiter so gerne ansprechen, ist schwer in Abrede zu stellen. Rein monetär betrachtet sind die internationalen Organisationen kein gutes Geschäft für Washington. In der Uno insgesamt wie auch – bisher – in der WHO sind die USA die mit Abstand größten Geldgeber. Im UN-Gesamtbudget 2019 kamen 670 Millionen US-Dollar (613 Millionen Euro) von den USA. Mit etwas mehr als der Hälfte davon (370 Millionen US-Dollar) liegt China zwar auf Platz zwei, aber weit abgeschlagen. Bei der WHO gab es ein ähnliches Bild: 2018/19 zahlten die USA knapp 15 Prozent in die WHO-Kassen, China 0,2.

Angesichts dieser Verteilung tut sich China leicht damit, die Sache anders zu sehen. Ziel ist der Ausbau der internationalen Verhandlungsmacht, nicht zuletzt durch die Platzierung von wohlgesinnten Bürokraten – und zwar nicht erst, seitdem der aktuelle Präsident Xi Jinping 2013 die Macht übernommen hat, und schon gar nicht, seitdem Trump Peking leichtes Spiel gewährt. Aber jetzt besonders: Wenn Trump verlautbart, keine Gelder mehr an die Uno-Organisation WHO zahlen zu wollen, kontert Xi mit dem Versprechen, 30 Millionen US-Dollar zusätzlich einzuzahlen. Das funktioniert, auch wenn es zunächst eher symbolisch ist, denn bisher handelte es sich vor allem um Versprechen.

China in Spitzenpositionen

In vier von 15 Uno-Agenturen steht aktuell ein Chinese an der Spitze. Kein anderes Land kann diese Menge an Uno-Topdiplomaten aufweisen, auch nicht die USA. Und das, obwohl diese durchaus weiterhin mit Spitzenkräften bei der Uno aktiv sind. Denn natürlich, so hört man auch im Umfeld der Uno, sind sie nicht plötzlich weg, jene Absolventinnen und Absolventen wohlsituierter US-Unis, die Washington unter den bisherigen Präsidenten in die Tiefen der Vereinten Nationen entsandt hat.

Allerdings verschärft sich derzeit, wie es heißt, ein schon bisher bekanntes Phänomen: Es gibt zwei Ebenen. Auf der einen Seite stehen Karrierediplomaten, denen die Abläufe der Uno und der Sinn der internationalen Zusammenarbeit bekannt sind – und die ihr Handeln derzeit nicht an die große Glocke hängen. Und es gibt eine Führungsriege politisch bestellten Personals aus der Trump-Regierung, die von alldem wenig Ahnung hat und auch nicht das Interesse, mehr darüber zu erfahren. So sei es schon unter UN-Botschafterin Nikki Haley gewesen. So ist es gewiss erst recht jetzt, unter der vormals republikanischen Großspenderin Kelly Craft, die das Amt 2019 übernahm.

Intern bleibt intern

Freilich gab es derartiges oder zumindest Ähnliches schon vor Trump: Die Idee, im Zweifel lieber selbst und allein zu handeln, ist in weiten Kreisen des konservativen Amerika verbreitet. Präsident George Bush jr. machte 2005 den prononcierten UN-Kritiker John Bolton zum Uno-Botschafter, zuvor waren die USA ohne Zustimmung des Sicherheitsrats in den Irak-Krieg gezogen.

Was die Betonung der eigenen Souveränität betrifft, so steht China den USA nichts nach. Auch Peking lässt sich nicht gerne reinreden. Der Verweis, dass etwas rein "innerstaatliche Angelegenheit" sei, gehört zum Grundvokabular jedes chinesischen Diplomaten. Im strategischen Handeln kommt man aber zu völlig unterschiedlichen Schlüssen als Trump. China erkennt die Organisationen als wichtiges Vehikel an, seine Vision der globalen Zusammenarbeit zu etablieren und mitzuformen.

Kritik aber keine Blockade

Zwei Beispiele: Zhao Houlin, Chef der UN-Agentur International Telecommunication Union, zeigt bei neuen Technologien oft größere Toleranz gegenüber Intransparenz und Überwachung, als das im liberalen Westen Usus wäre. Und in zwei Resolutionen vor dem UN-Menschenrechtsrat attestierte China, dass die Menschenrechte nach wirtschaftlichen und kulturellen Kriterien gemessen werden müssten. Derartiges durchsetzen kann nur, wer dabei ist. Wer den Rat, so wie die USA 2018, verlassen hat, kann nur kritisieren, aber nicht mehr blockieren, wenn chinesische Diplomaten in wichtigen Ausschüssen für Menschenrechte zuständig sind – so wie zuletzt seit April etwa der Diplomat Jiang Duan.

China orientiert sich bei seinen Besetzungen an der Spezies der Uno-erfahrenen Beamten, die das System in ihrem Sinne zu nutzen vermögen. Dass der Einparteienstaat dabei oft im Gegensatz zu den demokratisch aufgebauten Strukturen der internationalen Organisationen steht, hindert sie daran nicht. Die Sozialisation der Beamten verändert aber das Klima: Autoritarismus kann ein über Jahrzehnte aufgebautes liberales Grundverständnis untergraben – vor allem wenn sich das Gegengewicht USA aus den Institutionen zurückzieht und selbst nicht mehr nur liberal agiert.

Offensive Rolle

Der Plan für Chinas Marsch durch die Institutionen ist schon alt, Eifer und Erfolg sind aber zuletzt gewachsen. Die Bemühungen, mitzureden, reichen mehrere Jahrzehnte zurück, spätestens ins Jahr 1971, als der UN-Sitz von Taiwan an die Volksrepublik übergeben wurde. Bis in die 1990er-Jahre verhielt sich das riesige Land zumeist als bescheidener, stiller Beobachter. Mit dem Wirtschaftsaufschwung begann das Riesenreich aber auch seine Rolle am internationalen Parkett offensiver zu gestalten.

Dazu kommt, dass China ein weiteres Spielfeld der internationalen Politik längst besetzt hat – und noch dazu eines, das viel Goodwill, aber auch viele Abhängigkeiten schafft, die sich in der Uno wiederum in Zustimmung ummünzen lassen: jenes der Entwicklungshilfe. Die USA sind zwar weiterhin der größte Geldgebern weltweit, verringern ihr Budget aber seit einigen Jahren. Ähnlich wie bei den internationalen Organisationen kann China hier mit wenig Geld viel Einfluss erlangen. Pekings Hilfsgelder und Infrastrukturprojekte kommen dabei oft nicht umsonst. Viele Länder finden sich in einer Schuldenfalle wieder.

Ein freies Spielfeld

Auch Deutschland, das zweitgrößte Geberland, hat jüngst angekündigt, die Entwicklungszusammenarbeit mit einem Drittel seiner bisherigen Partner zu beenden, darunter viele von Chinas Nachbarn. Die Formen der Hilfe zu überdenken ist ob wuchernden Korruption und ausufernder Bürokratie berechtigt. Diese Zuwendungen ersatzlos zu streichen bedeutet aber wieder, China das Spielfeld zu überlassen.

Die Rückzüge der USA sind aber letztlich nicht nur Chancen für China, die eigene Mitsprache auszubauen – sondern auch eine fundamentale Bedrohung für die internationalen Organisationen und das auf Regeln basierende System der Weltgemeinschaft insgesamt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Trump zumindest eines seiner Ziele erreicht: die Zerstörung dieser Ordnung. Wenn China und die USA wirklich am Beginn eines neuen Kalten Krieges stehen, vor dem Außenminister Wang Yi jüngst warnte, dann wäre das ein herber Verlust. Denn dann würden die Uno und ihre Organisationen noch dringend gebraucht werden. (Manuel Escher, Anna Sawerthal, 29.5.2020)