Österreich und Deutschland sind im internationalen Vergleich bis jetzt gut durch die Pandemie gekommen. Mitverantwortlich dafür waren Experten, die meist im Hintergrund wichtige Arbeit leisteten. In Deutschland etwa entwickelte der international renommierte Virologe und Corona-Experte Christian Drosten bereits im Jänner den ersten Diagnosetest für Sars-CoV-2. Und das wiederum trug maßgeblich dazu bei, dass in Deutschland rechtzeitig Maßnahmen ergriffen wurden.

Wären sie hier wie dort schwächer ausgefallen oder nur eine Woche später gekommen, so zeigen kürzlich veröffentlichte Simulationen, wären auch unsere Gesundheitssysteme wie in anderen Ländern an ihre Belastungsgrenzen gestoßen. Im Nachhinein sieht es deshalb für viele so aus, als ob die Maßnahmen überzogen gewesen seien. In der Wissenschaft nennt man dies das Präventionsparadox: Da die Vorsichtsmaßnahmen erfolgreich waren, blieb uns Schlimmeres erspart, weshalb die Bedrohung im Nachhinein als weniger groß erscheint und die Akzeptanz der Maßnahmen sinkt.

Kritik oder Diffamierung? Die "Bild" hat sich auf Christian Drosten eingeschossen.
Foto: imago/Reiner Zensen

Gewiss wäre in Österreich seitens der Politik eine weniger angstbesetzte Kommunikation möglich gewesen, und die eine oder andere Modellrechnung der Experten hat übertriebene Opferzahlen ergeben. Es sollte dabei aber nicht vergessen werden, dass wir zum einen im März noch weniger über das Virus wussten als heute und sich zum anderen auch unser jetziges Wissen durch neue, noch bessere Erkenntnisse ändern kann, wie das etwa in Fragen des Mund-Nasen-Schutzes oder der Schulschließungen passiert ist. Denn so funktioniert nun einmal Wissenschaft.

Streit zwischen ungleichen Gegnern

Um die Schulschließungen ist nun ein heftiger Streit zwischen ungleichen Gegnern entbrannt: Der Chefredakteur der deutschen "Bild" attackiert seit Tagen Christian Drosten, dessen Studie über die Virenlast von infizierten Kindern "grob falsch" sei, so das Boulevardblatt. Die Vorwürfe, für die man kritische Anmerkungen zur Studie von vier Statistikexperten aus dem Zusammenhang riss, wurden von diesen zwar selbst zwar in der von der "Bild" zugespitzten Form dementiert.

Dennoch titelte die Zeitung irreführend "Schulen und Kitas wegen falscher Corona-Studie dicht". Das legt für unbedarfte Leser nahe, dass Drostens Untersuchung, die behauptet, dass mit Sars-CoV-2 infizierte Kinder ähnlich viele Viren in Nase und Rachen haben wie Erwachsene, der eigentliche Grund für die Schließung war. Nur: Drostens Erstversion der Untersuchung wurde am 29. April online gestellt, und die Schließungen waren bereits sechs Wochen zuvor erfolgt. Gemeint war wohl, dass die Schulen wegen Drosten noch nicht offen sind. Doch auch das ist irreführend, da sich dieser in den Medien mehrfach für Öffnungen ausgesprochen hat.

Umstrittene Preprints

Bleibt die Frage, ob die Kernaussage der Studie stimmt, die als Preprint – also noch ohne Fachbegutachtung durch Kollegen – online ging. Das ist eine in der Covid-19-Krise übliche Praxis geworden, die aber nicht unumstritten ist. Denn einerseits kann man so Kollegen und Entscheidungsträger zwar möglichst frühzeitig über die neuen Erkenntnisse informieren, was mitten in einer Pandemie lebensrettend sein kann – und was Drosten im konkreten Fall auch noch via Twitter und in Interviews getan hat.

Andererseits kann die Studie auch eines so renommierten Experten wie Drosten noch Fehler enthalten, die durch die Fachbegutachtung ausgemerzt werden. Deshalb ist es im wissenschaftlichen Normalfall üblich, mit den Ergebnissen einer Studie erst nach derem Erscheinen in einem Fachjournal (und nicht nur als Preprint) an die Öffentlichkeit zu gehen. Ob das Ergebnis von Drosten und seinem Team in allen Details hält, wird sich also erst noch weisen.

Wissenschaftlich unbestritten unter Experten ist, dass auch unsymptomatisch infizierte Kinder eine hohe Virenlast aufweisen können. Nicht so ganz klar ist das mit der Generalisierung – also dass infizierte Kinder gleich infektiös wie infizierte Erwachsene sind. Drosten hat die Studie mit seinem Team jedenfalls auch schon vor der "Bild"-Kampagne aufgrund der Fachkritik von Kollegen leicht überarbeitet und will sie demnächst bei einer Fachzeitschrift einreichen.

Kritik als Grundprinzip

Da werden dann – so wie das bei jeder anderen eingereichten Studie üblich ist, egal ob sie von Drosten oder jemandem anderen kommt – mehrere anonyme Gutachter Methoden und Ergebnisse kritisch überprüfen und womöglich Nachbesserungen einfordern. So läuft es nun einmal in der Wissenschaft, und genau das macht ihre Stärke aus.

Zur Stärke unserer westlichen Demokratien wiederum gehört es, dass öffentliche Kritik an den Regierenden – etwa wegen der Einschränkungen des öffentlichen Lebens – nicht nur möglich, sondern auch erwünscht sein muss. Und wenn diese Kritik auch öffentliche Wissenschafter wie Drosten zu spüren bekommen, gehört das wohl auch mit zum demokratischen Diskurs in unserer Wissensgesellschaft.

Morddrohungen hingegen zählen ebenso wenig dazu wie Plakate, die Drosten mit dem KZ-Arzt Josef Mengele zeigen. Oder eben unsachliche mediale Diffamierungskampagnen, die solche Hassattacken weiter befeuern können. (Klaus Taschwer, 29.5.2020)