Vizepräsident Pablo Iglesias bei der Pressekonferenz, nachdem das Kabinett das "Ingreso minimal vital", die neue Mindestsicherung beschlossen hatte.

Foto: EP

Angetrieben von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie verabschiedete die spanische Zentralregierung von Ministerpräsidenten Pedro Sánchez am Freitag ein sogenanntes "minimales Grundeinkommen". Es handelt sich um eine Art Mindestabsicherung, um die Armutsbekämpfung auszubauen.

Mit diesem Grundeinkommen, das ab Juni ausgezahlt wird und für das der Staat jährlich ein Budget von drei Milliarden Euro zur Verfügung stellt, sollen rund 850.000 hilfsbedürftige Haushalte in Spanien unterstützt werden, die keine Sozialhilfe bekommen.

462 bis 1.015 Euro

Alleinstehende erhalten eine Hilfe von mindestens 462 Euro im Monat, Familien mit Kindern bis zu 1.015 Euro. Spaniens linker Sozialminister Pablo Iglesias kündigte am Freitag an, die Maßnahme könne bis zu 1,6 Millionen Menschen aus der extremen Armut holen.

"Eine solche Maßnahme wurde auch höchste Zeit. Die Menschen sind verzweifelt und wir sind bald am Ende unserer Kräfte", versichert Pfarrer Gonzalo Ruiperez. Die Schlange vor seiner Madrider Pfarrkirche San Juan de Dios ist lang. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie und den wirtschaftlichen Folgen der Ausgangssperre und des Notzustands habe sich die Zahl notleidender Menschen, die in seiner Kirche um Essen bitten, nahezu verdoppelt.

Mehr als eine Million Haushalte ohne Einkommen

Die Corona-Pandemie treibt immer mehr Menschen in Spanien in die Armut. Im Zuge der Krise und des Alarmzustands verloren bereits über eine Million Menschen ihren Job. Mit knapp 238.000 Infektionsfällen und mehr als 27.000 Toten ist Spanien eines der von der Pandemie am schwersten betroffenen Länder der Welt. In über 1,1 Millionen Haushalten hat kein einziges Familienmitglied mehr ein Einkommen. In Spanien leiden mittlerweile fast vier Millionen Menschen unter Armut, die Hälfte davon sind Kinder. Das bekommen vor allem Suppenküchen und Armenspeisungen zu spüren

"Versorgten wir vor der Pandemie rund 450 Familien, sind es heute 700", sagt der Geistliche. Mit seinen zehn freiwilligen Helfern verteilt er mittlerweile jeden Monat 70 Tonnen Nahrungsmittel. Milch, Reis, Pasta, Konserven, Brot, Eier, Zucker, Olivenöl. Aber auch Toilettenpapier, Zahncreme oder Seife. "Die Not der Menschen ist groß. Viele haben sich noch nicht einmal von der schweren Finanzkrise von vor zehn Jahren erholt" versichert Pfarrer Ruiperez.

Probleme mit Kurzarbeitsunterstützung

Die meisten hätten keinerlei Ersparnisse und die staatlichen Soforthilfen für das riesige Heer von Menschen in Kurzzeitarbeiten würden einfach nicht kommen. Neuste Umfragen gehen davon aus, dass über 300.000 Personen aufgrund bürokratischer Hürden und Probleme immer noch nicht ihre Kurzarbeits-Unterstützung erhalten haben.

Szenen wie die vor der Kirche San Juan de Dios spielen sich auch in den anderen 450 Pfarrkirchen der spanischen Hauptstadt ab. Ob in Barcelona, Valencia oder Sevilla – überall wachsen die Schlangen vor den Tafeln und Suppenküchen. Vor allem in Madrid, dem Corona-Epizentrum Spaniens. Über 100.000 Menschen stellen sich hier täglich vor Kirchen und sozialen Einrichtungen für Lebensmittelspenden an. Caritas verzeichnet in einigen Diözesen sogar bis zu 70 Prozent mehr Hilfsbedürftige.

Hungerschlangen

Pedro Cabrera, Soziologe und Armutsforscher an der Madrider Comillas Universität, gibt dem Staat eine Teilschuld an den sogenannten "Hungerschlangen": "Sämtliche Regierungen haben es in den vergangenen zehn Jahren verpasst, den Arbeitsmarkt grundlegend umzustrukturieren und haben eine kurzsichtige Politik mit Blick auf die nächsten Wahlen verfolgt. Es gibt viel zu viele Kurzzeitverträge, saisonabhängige Jobs und prekäre Anstellungen". Vor allem hätten die Regierungen es seit der schweren Finanzkrise 2008 verschlafen, das Netz der sozialen Absicherung vernünftig auszubauen.

"Der Staat hat die Betreuung der Ärmsten viel zu lange auf die Kirche und andere Hilfsorganisationen abgewälzt", meint auch Guillermo Fernández Maíllo, Soziologe bei der spanischen Caritas. Das neue "minimale Grundeinkommen" sei ein guter und vor allem dringend notwendiger Schritt in die richtige Richtung. "Es kann aber nur ein Anfang sein", so der Caritas-Vertreter. Zumal er das geplante Jahresbudget von drei Milliarden Euro für zu gering hält. (APA, 29.5.2020)