Jetzt wird über das Aussehen einer Nebenfigur geredet. Worum es im Ibiza-Video ging, gerät ins Hintertreffen, kritisiert der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici im Gastkommentar.

Kurz vor dem Start des Ibiza-Untersuchungsausschusses ist der Fokus verrutscht: Der Lockvogel steht im Zentrum.
Foto: Süddeutsche Zeitung / Der Spiegel

Ein ganzes Land ist scharf aufs Weibsbild. Wenige Tage vor Beginn des Untersuchungsausschusses wird die vermeintliche Oligarchin zur Fahndung ausgeschrieben. Ehe die Polizei das Foto freigibt, erscheint das Phantombild bereits in der Krone. Österreichs Exekutive arbeitet gern im Kleinformat. Aber nicht nur die Boulevardmedien geilen sich an der Frau auf, sondern auch die sogenannten Qualitätszeitungen, darunter DER STANDARD. Fast die gesamte Presse im SubStandard.

Enthüllt wird die Fremde, doch die beteiligten Männer, ob Anwalt oder Detektiv, werden geschützt, wobei so getan wird, als wäre die eigentliche Untat nicht das Werben um illegale Parteifinanzierung, nicht die Verabredung zur Korruption, nicht das Zuschanzen von Staatsaufträgen, nicht Postenschacher und Gesetzeskauf, nicht der geplante Ausverkauf der Öffentlichkeit, nicht die Preisgabe der Republik, sondern das Aufdecken dieser Machenschaften.

Im Morast

Im Zentrum steht nicht, zu welchen künftigen Verbrechen sich Heinz-Christian Strache damals bereit zeigte. Noch war er nicht in der Position, um diese Rechtsbrüche zu begehen, da gab er sich schon käuflich. Unverständlich bleibt mir, wieso ein Abgeordneter in diesem Land wegen dieser Schändlichkeiten nicht belangt werden kann. Der Morast, den Strache hier anbot, passt unter keinen Zehennagel.

Während zur Hetzjagd auf die junge Frau geblasen wird, hofieren die österreichischen Medien jenem Mann, dem immerhin zugutegehalten werden kann, uns bewiesen zu haben, wie schwer es hierzulande ist, dümmer zu sein als die Polizei erlaubt. Die Krone, die er verscherbeln wollte, setzt ihn mit seiner Pippa aufs Cover. Bei Im Zentrum des ORF wird er treuherzig gefragt, ob er Ibiza bereut, worauf er hämisch erklärt, ohnehin sogleich zurückgetreten zu sein, weil er so unschuldig sei. Diskutiert wurde Im Zentrum "Was bleibt vom Sündenfall Ibiza?", als wäre die FPÖ nicht ein einziger Sündenpfuhl, deren Moral lautet: "Unser Geld für unsere Leute". Über die Versuchungen der Politik wurde in der Sendung philosophiert, als ginge es darum, ob Strache ein Gestrauchelter ist und nicht ein rechter Strauchdieb. Wussten wir nicht schon vor Ibiza, dass Strache die Medienpolitik Viktor Orbáns anstrebt? War nicht Vetternwirtschaft seit jeher die Grundlage von Straches Rassismus?

Wem nützt es?

Strache wird im Fernsehen höflich Gelegenheit gegeben, wahrheitswidrig zu leugnen, was jeder im Video sehen kann. Er ist wieder Spitzenkandidat im Wiener Wahlkampf. Aber gegen jene junge Frau wird eine Großfahndung eingeläutet, als wäre sie eine Schwerverbrecherin. Dabei ist das heimliche Aufnehmen des Videos in Spanien nicht illegal. Der vage Verdacht auf Erpressung richtet sich, falls er überhaupt zutrifft, eher gegen die Herren, die in Ibiza Regie führten, als gegen den eingesetzten Lockvogel. Am wackeligsten der Vorwurf möglicher Urkundenfälschung, als wäre das Vorweisen einer falschen Passkopie schon Dokumentenmanipulation. Seit wann reicht ein Bagatelldelikt aus, um zur medialen Hetzjagd zu blasen?

Veröffentlicht wird das Fahndungsfoto. Das Ende April aufgetauchte Video bleibt hingegen unter Verschluss! Wem nützt es eigentlich, wenn eine Woche vor dem Untersuchungsausschuss nur noch über das Aussehen einer Nebendarstellerin, doch kaum mehr über das geredet wird, worum es im Video ging? Strache sprach auf der Finca 2015 just jene Namen aus, die seit Sommer 2019 im Zusammenhang mit Parteispenden oder Korruption genannt werden. Manche, um die es in Ibiza ging – ob Johann Graf von Novomatic, Heidi Horten, Gaston Glock, René Benko, ob türkise oder blaue Politiker –, könnten ein Interesse daran haben, von solchen Machenschaften abzulenken. Ist es Zufall, wenn Graf, Horten und Glock nicht der Vorladung zum Untersuchungsausschuss nachkommen wollen? Aus angeblich gesundheitlichen Gründen … Alles wohl Opfer vom Ibiza-Virus.

Autoritäre Visionen

Die Soko Tape, die eigentlich dafür eingesetzt worden war, um aufzuklären, ob Strache in der Finca gegen Gesetze verstieß, geriet auch in Misskredit. Bekanntlich wurde einer der Ermittler als besonderer Fan Straches entlarvt. Selbst dem Soko-Chef, Andreas Holzer, haftet der Geruch der Befangenheit an, denn der Strache-Bodyguard R. und dessen Anwalt M. geben an, sie hätten Holzer schon 2015 Indizien für Straches Korruption vorgelegt, doch Holzer, der nun Chefermittler gegen die beiden ist, überging deren Hinweise.

Welch ein Glück, dass uns ein Vizekanzler Strache, ein Innenminister Herbert Kickl, eine Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein jetzt während der Pandemie erspart geblieben sind. Wie gut, dass die Freiheitlichen die Seuche nicht für ihre autoritären Visionen nutzen können.

Ins Zeugenschutzprogramm

Was aber, wenn wirklich Geheimdienste oder Kriminelle das Video drehen ließen und die junge Frau bloß ein Werkzeug war? Wer weiß das schon so genau? Vielleicht ging sie das Risiko auch aus politischer Überzeugung ein. Unter Umständen verdient die Frau, nach der nun gefahndet wird, sogar einen Orden. Wie auch immer: Wer Licht ins Dunkel bringen möchte, hätte sie als Kronzeugin behandeln und ihr ein Zeugenschutzprogramm anbieten müssen. Stattdessen droht ihr nun Gefahr.

Viele, um die es in Ibiza ging, könnten Interesse daran haben, die vermeintliche Oligarchin mundtot zu machen. Jeder Politthriller weiß, wie so eine Frau zum Schweigen gebracht werden kann. Es genügt eine öffentliche Hetzjagd. Ein Fahndungsfoto als Blattschuss.

Auf jeden Fall aber dient die Veröffentlichung ihres Bildes nur wenige Tage vor dem Untersuchungsausschuss vor allem der Ablenkung vom eigentlichen Thema des Videos. Diese Enthüllung der Woche trug zur Aufklärung nicht bei. Im Gegenteil. (Doron Rabinovici, 31.5.2020)