Das ist das Mikrofon, das die Prozessteilnehmer verwenden. Abseits dessen macht das Gericht Aufzeichnungen zur Unterstützung der Protokollführung – laut Grassers Anwalt wurden 170 Stunden "heimlich" aufgezeichnet.

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Mit einem Riesentusch der Verteidigung soll am Dienstag der Buwog-Prozess gegen Karl-Heinz Grasser, die Ex-Lobbyisten Peter Hochegger und Walter Meischberger und andere weitergehen. Der Verteidiger Grassers, Norbert Wess, hat Anträge auf Ausschließung des gesamten Richtersenats (inklusive Schöffen) vorbereitet und vor Gericht vorgetragen – und zwar wegen verbotener Bild- und Tonaufnahmen während der gesamten bisherigen Verhandlung, die am 12. Dezember 2017 begonnen hat. Das Gericht habe in dieser Zeit quasi ununterbrochen mitgefilmt und mitgeschnitten, sagte Wess in seinem Antrag – vor Verhandlungsbeginn in der Früh und vor allem auch in den Verhandlungspausen.

"Großer Lauschangriff"

Wess fuhr starke Geschütze gegen die Justiz auf: Die Anfertigung dieser Bild- und Tonaufnahmen stelle strafrechtlich relevanten Missbrauch von Tonaufnahmen- oder Abhörgeräten (Paragraf 120 Strafgesetzbuch), Missbrauch der Amtsgewalt (Paragraf 302 StGB) sowie einen Verstoß gegen das Datenschutzgesetz (Datenverarbeitung in Gewinn- oder Schädigungsabsicht, Paragraf 63 DSG) dar. Er sieht darin einen "großen Lauschangriff", jedenfalls auf objektiver Seite, wie er ausführte. Zur Erklärung: Auf subjektiver Seite ist für die genannten Delikte vorsätzliches Handeln des Täters Voraussetzung, davon geht aber eher niemand aus.

Tatsächlich nimmt das Gericht jeden Verhandlungstermin "durchgehend" in Bild und Ton auf, das hält die Richterin auch an jedem neuen Prozesstag fest, die Aufnahmen dienen der Unterstützung bei der Protokollführung. Das ist gemäß Strafprozessordnung für die Dauer der Hauptverhandlung erlaubt. Bei den Terminen selbst ist ja immer eine Schriftführerin dabei, die Protokolle werden den Verteidigern dann – mit viel zeitlicher Verzögerung – ausgefolgt, sie können diese dann kontrollieren und Berichtigungsanträge stellen, was auch regelmäßig geschieht.

Vor Beginn und in der Pause

Die Crux dabei: Wess ist laut seiner Darstellung vor Gericht bei Durchsicht der Aufnahmen draufgekommen, dass die Ton- und Bildaufnahmegeräte den ganzen Tag nicht abgeschaltet werden und daher auch in den Pausen weiter aufnehmen. Neben Aufnahmen, die (aus verschiedenen Perspektiven) ein "Viererbild" ergeben, wie es Wess beschrieb und in der Verhandlung beispielhaft auf die Videowand übertragen ließ, gebe es auch Aufnahmen per "Fischauge". Auf denen sehe man den gesamten Großen Schwurgerichtssaal inklusive Zuschauer- und Journalistenbereich.

Da sei der Ton besonders gut, weil auch Richtmikrofone mit einer Reichweite von zehn bis 15 Metern verwendet würden. Und so seien zahlreiche streng vertrauliche, lange und intensive Gespräche von Angeklagten mit ihren Verteidigern aufgezeichnet worden, vor allem über Strategien, die weitere Vorgehensweise und anstehende Befragungen – "hochvertrauliche Kommunikation" also. Und alles ohne Wissen der Angeklagten und Verteidiger. Zudem sind laut Wess auch Gespräche von Leuten zu hören, die sich relativ weit hinten im Saal aufhalten – das ist dort, wo die Journalisten sitzen.

170 Stunden

Insgesamt, so hat der Anwalt ausgerechnet, seien 169 Stunden, 30 Minuten und 20 Sekunden außerhalb der Hauptverhandlung unrechtmäßig aufgenommenen worden, "ein erschütterndes Bild". Gemessen an der durchschnittlichen Dauer eines Verhandlungstags entspreche das 34 weiteren Hauptverhandlungstagen.

Die rechtliche Folge, die Grassers Anwalt daraus ableitet: Verletzung des Rechts auf Verteidigung gemäß Strafprozessordnung, Verletzung des Grundrechts auf ein faires Verfahren gemäß Europäischer Menschenrechtskonvention und Waffengleichheit (er geht davon aus, dass die Staatsanwälte von den Rund-um-die-Uhr-Aufnahmen wussten), Verletzung der Verteidigerrechte eben bis hin zu Missbrauch der Amtsgewalt. Er hat die Vernichtung der Aufnahmen beantragt, will wissen, wer aller Einsicht hatte – und lehnt den gesamten Richtersenat als befangen ab und beantragt dessen Ausschluss. Grund: Zweifel an der Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit. Der gesamte Schöffensenat sei befangen.

Staatsanwalt sieht Effekthascherei

Wess legte zu all diesen Fragen auch ein Privatgutachten des Strafrechtsprofessors Alois Birklbauer von der Universität Linz vor. Er kommt zu dem Schluss, dass die Aufnahmen vor Beginn der Verhandlung und in den Pausen nicht erlaubt seien, dass das Gericht damit auf objektiver Seite (sic) gegen das Straf- und Datenschutzgesetz verstoße und damit der Anschein der Befangenheit der Richter bestehe.

Der Staatsanwalt sieht in alldem einen "kleinen Sturm im Wasserglas", es sei alles rechtens, und es werde auch kommuniziert, dass aufgenommen werde. Grassers Verteidiger wolle nur vom Inhalt des Verfahrens ablenken, es gehe um "Effekthascherei". Nach dem Antrag von Wess hat sich der Senat zur Beratung zurückgezogen, am Nachmittag wurde die Verhandlung fortgesetzt.

Gerichtspräsident weist Vorwurf zurück

Der Präsident des Straflandesgerichts Wien, Friedrich Forsthuber, weist den Vorwurf, dass da ein Lauschangriff erfolgt sei oder gegen Gesetze verstoßen wurde, als absurd zurück. Es sei nicht beabsichtigt gewesen mitzuhören, sagt er auf Anfrage. Usus am Straflandesgericht sei grundsätzlich, dass die Tonaufnahmen nur die Protokollführer und niemand anderer bekomme. In kurzen Verhandlungspausen würden die Geräte oft aus technischen Gründen nicht abgedreht werden, damit nicht vergessen werde, sie auch wieder aufzudrehen.

Forsthuber meint, die Richter sollen die Verfahrensbeteiligten auf diese Tatsache in jedem Verhandlungstermin hinweisen und sie auffordern, etwaige Gespräche in den Verhandlungspausen nicht im Saal, sondern draußen zu führen.

"Nur Gemurmel"

Christina Salzborn, Sprecherin des Straflandesgerichts und auch für den Buwog-Prozess zuständig, betont, dass die Aufnahmen in den Mittagspausen gestoppt würden und die Richterin von Anfang an offengelegt habe, dass die Verhandlung durchgehend aufgenommen werde. Dies sei auch schriftlich festgehalten und an den Türen zum Saal angeschlagen. Mikrofone seien nur vorne im Saal (im Bereich des Richtertischs), nirgendwo sonst im Schwurgerichtssaal und auch nicht in den Nebenräumen wie etwa den Verteidigerzimmern.

Dass die Verteidiger in der Buwog-Causa die Ton- und Bildaufnahmen seit Anfang 2018 überhaupt bekämen, sei ein Entgegenkommen des Gerichts und ansonsten unüblich. Sie selbst habe sich am Dienstag, nach Aufkommen der Vorwürfe, eines der Bänder angehört, darauf sei nur Gemurmel zu hören. Die Vorwürfe der Verteidiger weist sie zurück.

Rechtsanwältin Windhager: "Mangelndes Grundrechtsverständnis"

Die Rechtsanwältin Maria Windhager, die auch den STANDARD medienrechtlich regelmäßig vertritt und von selbigem dazu befragt wurde, hält es jedenfalls für "sehr peinlich, wenn so etwas passiert, das zeugt von mangelndem Grundrechtsverständnis beim Umgang mit Ton- und Bildaufzeichnung". Heimliche Tonaufnahmen seien ein sehr schwerwiegender Eingriff in die durch die Artikel 6 und 8 EMRK geschützten Grundrechte und das Anwaltsgeheimnis. Zudem müsse man prüfen, ob personenbezogene Daten verletzt wurden. Strafrechtlich relevant wäre das Vorgehen des Gerichts nur, wenn es vorsätzlich gehandelt hätte.

Jedenfalls müsse das Gericht nun schnell handeln und Sorge tragen, dass die Aufnahmen sofort vernichtet werden und nicht verbreitet werden können. Grundsätzlich müsse man prüfen, wie die Gerichte generell mit Ton- und Bildaufnahmen umgehen, "da mangelt es offenbar an Sensibilität". (Renate Graber, 2.6.2020)