DNA hilft Forschern beim großen Qumran-Puzzle.
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1947 hat ein Beduinen-Hirte in einer Höhle nahe der Ruinenstätte Qumran im Westjordanland am Toten Meer durch Zufall antike Manuskripte in einem Tonkrug entdeckt. Nach dieser ersten sensationellen Entdeckung suchten Wissenschafter und private Schatzsucher gleichermaßen nach weiteren antiken jüdischen Schriftzeugnissen, und zwar sehr erfolgreich: Bis 1956 konnten insgesamt elf Felshöhlen ausfindig gemacht werden, in denen Forscher rund 15.000 Fragmente von etwa 850 Rollen aus dem antiken Judentum aufstöberten. Die Dokumente stammen von mindestens 500 verschiedenen Autoren und wurden zwischen 250 vor unserer Zeitrechnung und 40 unserer Zeitrechnung geschaffen.

2017 und 2018 haben Wissenschafter drei weitere Höhlen gefunden. Ihr Inhalt erwies sich allerdings leider weitgehend als Enttäuschung, sie dürften bereits vor langer Zeit geplündert worden sein. Nur wenige der bisher entdeckten Schriftrollen waren gut erhalten. Die meisten Schriftstücke lagen jahrhundertelang ungeschützt auf dem Boden und sind daher oft in nur winzigen Fragmenten erhalten. An diesem aufwendigen Puzzle arbeiten Experten bis heute.

Rekonstruktion per DNA

Nun konnten Wissenschafter beim Zusammensetzen einiger der Schriftrollen vom Toten Meer auf ungewöhnlichen Wegen einen Erfolg verbuchen. Wie ein Team um Oded Rechavi von der Universität von Tel Aviv im Fachmagazin "Cell" berichtet, griffen die Forscher bei den Qumran-Rollen auf Erbgutproben zurück. Dazu gewannen sie DNA aus den hauptsächlich aus Schafhäuten gefertigten Schriftstücken. Dies half in Kombination mit Textanalysen dabei, die ältesten handschriftlichen Bibeltexte in Reihenfolge zu bringen.

Eine große Herausforderung besteht nach Angaben der Forscher darin, dass die meisten Schriftrollen nicht direkt aus den Qumran-Höhlen stammen, sondern von Antiquitätenhändlern erworben wurden. Infolgedessen ist nicht klar, woher viele der Fragmente überhaupt stammten, was es sehr viel schwieriger macht, sie zusammenzusetzen und in ihren richtigen historischen Kontext zu stellen.

Hilfreiche Schafverwandtschaften

Die von Rechavi und seinen Kollegen geborgenen DNA-Sequenzen zeigten, dass die Pergamente hauptsächlich aus Schafen hergestellt wurden, was bisher nicht bekannt war. Die Forscher schlossen daraus, dass Stücke, die aus der Haut desselben Schafs hergestellt wurden, eng miteinander in Beziehung stehen. Das dürfte auch für Schriftrollen gelten, die von eng verwandten Schafen stammen.

Bei ihren Untersuchungen stießen die Forscher auf einen interessanten Fall, bei dem zwei Fragmente, von denen bisher angenommen worden war, dass sie zusammengehören, tatsächlich aus verschiedenen Tieren, einer Kuh und einem Schaf, hergestellt wurde. Das deutete darauf hin, dass sie gar nicht zusammengehören. Die Fragmente enthalten Texte des biblischen Buches Jeremia, die zugleich zu den ältesten bekannten Schriftrollen gehören.

"Die Analyse dieser Jeremia-Textes legt nahe, dass sie nicht nur zu verschiedenen Schriftrollen gehören, sondern auch verschiedene Versionen des prophetischen Buches darstellen", sagt Noam Mizrahi, ebenfalls von der Universität von Tel Aviv. "Die Tatsache, dass die Schriftrollen, die textlich sehr unterschiedlich sind, auch von verschiedenen Tierarten stammen, weist darauf hin, dass sie sich durch ihre Herkunft unterscheiden."

Genauer Wortlaut war weniger bedeutsam

Höchstwahrscheinlich, so der Wissenschafter, wurden die Texte auf Kuhhaut ganz woanders geschrieben, weil es damals nicht möglich war, Kühe in der judäischen Wüste zu halten. Die Entdeckung hat weitreichende Auswirkungen: Die Tatsache, dass verschiedene Versionen dieses Buches parallel verbreitet wurden, deutet darauf hin, dass "die Heiligkeit des biblischen Buches nicht auf einem genauen Wortlaut basiert". Dies steht im Gegensatz zu den sich gegenseitig ausschließenden Texten, die später vom Judentum und vom Christentum übernommen wurden. "Dies zeigt uns, wie dieser prophetische Text zur damaligen Zeit gelesen wurde. Unsere Resultate liefern auch Hinweise auf den Prozess der Entwicklung des Textes", sagt Rechavi.

Emanuel Tov, Bibelwissenschafter an der Hebräischen Universität in Jerusalem, spricht insgesamt von einem "extrem wichtigen Projekt". Die Arbeit bringe die Forschung in dem Bereich entscheidend voran und sei auch sehr vielversprechend in Hinblick auf künftige Untersuchungen. Die Analyse antiker DNA aus den Rollen sei "ein großer Schritt vorwärts". (tberg, red, 6.6.2020)