Einblicke in die bäuerliche Welt von gestern: Eine Lederhose....

Foto: Volkskundemuseum Wien/Christa Knott

......eine Nabelschnur-Klemme....

Foto: Volkskundemuseum Wien/Christa Knott

....und ein Setzkasten.

Foto: Volkskundemuseum Wien/Christa Knott

Wie man sich gegen Krankheiten schützt und wovon man sich Heilung verspricht, ist letztlich eine Frage des Glaubens: an wissenschaftliche Erkenntnisse, Expertenempfehlungen, höhere Mächte oder magische Gegenstände. In der zutiefst christlich geprägten bäuerlichen Welt Zentraleuropas vertrauten viele Menschen bis ins 20. Jahrhundert hinein ihren "geistlichen Hausapotheken" oft mehr als der (kostspieligen) Schulmedizin.

Ein verbreiteter Bestandteil dieser volkstümlichen Alternativmedizin waren sogenannte Schluckbildchen. Kleine, mit Heiligenbildern bedruckte und in einer Kirche geweihte Zettel, die man im Bedarfsfall unter das Essen bzw. das Tierfutter mischte, um Krankheiten abzuwehren oder zu kurieren. Gegen epileptische und sonstige Krampfanfälle kamen häufig "Fraisenketten" zum Einsatz. Die auf einer Schnur aufgefädelten Amulette wurden vor allem kleinen Kindern zum Schutz umgehängt.

Schattendasein in den Depots

Es ist eine fremde, faszinierende und räumlich und zeitlich gar nicht so ferne Welt, die mit solchen Gegenständen schlaglichtartig erhellt wird. Um sie aus ihrem Schattendasein in den Depots diverser Museen ans Licht der Öffentlichkeit zu holen, haben sich das Volkskundemuseum Wien, die Stadtgemeinde Marchegg und das Slowakische Nationalmuseum mit seinem Verbund aus 18 Museen zusammengetan und das bilaterale Ausstellungsprojekt "Treasures. Schätze aus Zentraleuropa. Kultur, Natur, Musik" auf die Beine gestellt.

Mehr als fünf Millionen Euro hat die EU über das Förderprogramm Interreg V-A Slowakei–Österreich des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung dafür bereitgestellt. "Mit einem Teil dieses Geldes wurde eine gemeinsame Wanderausstellung konzipiert, die vergangenes Jahr im niederösterreichischen Barockschloss Marchegg zu sehen war und 2021 im Schloss Dolná Krupá in der Slowakei präsentiert wird", berichtet Claudia Peschel-Wacha, die mit der Projektleitung im Volkskundemuseum Wien betraut ist. "Der Großteil der Fördermittel fließt in die Teilrenovierung der beiden Schlösser."

Mehr als 200 Objekte

Über 200 volkskundliche Objekte aus der Slowakei und Österreich wurden in die Wanderausstellung aufgenommen, um vom Alltag, den Ängsten, Hoffnungen und Träumen der einfachen Landbevölkerung dieser Region zu erzählen. Sieben Themenfelder haben die österreichischen und slowakischen Museumskuratoren und -kuratorinnen gemeinsam mit der Museumsagentur Section.a entwickelt.

So findet man unter der Kapitelüberschrift "Das Bewertende" eine kunstvoll bestickte Lederhose, in deren Begleittext auch über ihren politischen Missbrauch geklagt wird: "Wir haben als Symbole die Funktion, Euch Halt, Zugehörigkeit und Geborgenheit zu vermitteln", heißt es da. Aber: "Wir sind auch Instrumente Eurer Ideologie, wenn Ihr unsere Sprachlosigkeit ausnützt."

Ein eigenes Kapitel ist der eigenen Vergänglichkeit gewidmet, die damals noch nicht so ambitioniert verdrängt wurde wie heute. Eines der vielen Objekt gewordenen Memento mori kommt etwa in Gestalt eines Uhrständers mit einem kunstvoll geschnitzten Skelett daher. Kostbare Taschenuhren wurden darauf über Nacht abgelegt. Durch das Treasures-Projekt ist dieser vor fast 300 Jahren im Salzburger Land gefertigte Uhrständer erstmals öffentlich zu bestaunen.

Begrenztheit des irdischen Daseins

Auch kleine, geschnitzte "Betrachtungssärglein" sollten die Menschen an die Begrenztheit ihrer irdischen Existenz erinnern. Wenn man sie öffnete, sah man darin einen ebenfalls aus Holz geschnitzten Leichnam mit deutlich erkennbaren Verwesungszeichen.

Beispielhaft für ein heute kaum noch bekanntes Handwerk findet man in der Ausstellung zum Thema "Das Geschaffene" etwa eine aus Draht gefertigte Mausefalle. Hergestellt wurde sie von einem gewissen Štefan Hrtánek aus dem Dorf Kotešová im Nordwesten der Slowakei.

Lange war es das Dorf der Drahtbinder, die man in Österreich "Rastelbinder" nannte. "Diese Handwerker waren Wanderarbeiter, die nicht nur diverse Gebrauchsgegenstände aus Draht herstellten und verkauften, sondern auch kaputte Gefäße aus Keramik reparierten", berichtet Claudia Peschel-Wacha.

Objekte der Freude

Neben dem Notwendigen und den aus Angst, Hoffnung und Glaube entstandenen Gegenständen gab es für die Menschen dieser verschwundenen Welt natürlich auch Objekte, deren Funktion ausschließlich der Freude und Unterhaltung dienten. Als Beispiel dafür zeigt die Schau etwa einen aus einer Schweinsblase gefertigten (Fuß-)Ball.

"Bis heute sind Tierblasen das Ausgangsmaterial für Garfolien, Lampen- und Trommelbezüge", so die Projektleiterin. "Noch in den 1950er-Jahren spielten Kinder mit Bällen aus aufgeblasenen Schweinsblasen, und auch Profifußbälle bestanden lange aus diesem Material."

Für ästhetischen Genuss sorgten damals unter anderem Gefäße aus Uranglas, die im Sonnenlicht gelb oder grün erstrahlen. Da man die Radioaktivität erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte und von der Schädlichkeit des Urans lange Zeit nichts wusste, fand man sie in etlichen Haushalten der Region. "Ihre Strahlung ist allerdings nicht höher als die natürliche Umgebungsstrahlung", beruhigt Claudia Peschel-Wacha.

Prächtige Kopfbedeckung

Im Dienst der Augenfreude stand auch das "Parta", ein mit Bändern geschmücktes Stirnband, das aus dem Slowakischen Nationalmuseum stammt. "Diese prächtige Kopfbedeckung verwendeten Frauen bis zum frühen 20. Jahrhundert in festlichen Zeremonien", weiß die Volkskundlerin. "Am längsten blieben sie in der Brautkleidung in Verbindung mit einem grünen Brautkranz erhalten."

Wer sich diese "Schätze aus Zentraleuropa" mit ihren mitunter unglaublichen Geschichten nicht auf Schloss Marchegg anschauen konnte, hat nächstes Jahr auf Schloss Dolná Krupá in der Westslowakei noch einmal Gelegenheit dazu. Die Exponate aus dem Volkskundemuseum Wien kann man auch online auf der Homepage des Museums bestaunen.

"Die gesamte Ausstellung mit allen Gegenständen aus der Slowakei und aus Österreich soll zudem im Rahmen des noch bis 2022 laufenden Treasures-Projekts in die europäische digitale Bibliothek Europeana eingespeist werden, wo zahlreiche digitale Sammlungen verlinkt sind", berichtet Claudia Peschel-Wacha. (Doris Griesser, 6.6.2020)