Seit über einem Jahr beschäftigt sich die Juristin Elisabeth Paar mit der Frage, wieweit sich das österreichische Justizwesen auf die Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) verlassen kann.

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Dem Bild vom Richter als "Paragrafen-Automaten", wie es Max Weber einst formulierte, kann Elisabeth Paar erwartungsgemäß nicht viel abgewinnen. Zwar spielen in der Rechtsprechung Logik und Systematik eine zentrale Rolle, "aber letztlich hat jede richterliche Entscheidung auch einen gewissen Spielraum der Auslegung", verweist die Juristin auf den unverzichtbaren menschlichen Faktor bei der Anwendung von Gesetzen. "In diese Auslegung sind auch Wertungen einbezogen, die sich etwa aus gesellschaftlichen Entwicklungen ergeben."

Seit über einem Jahr beschäftigt sich die Juristin im Rahmen ihrer Dissertation am Institut für Öffentliches Recht und Politikwissenschaft der Uni Graz mit der Frage, wieweit sich das österreichische Justizwesen auf die Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) verlassen kann.

Immerhin verzeichnet dieser Bereich der Informatik enorme Entwicklungsschübe, während den Juristen in der steigenden Arbeitsflut kaum Luft zum Atmen bleibt. Was liegt also näher, als KI in den Dienst der Jurisprudenz zu stellen?

Kritische Analyse

In ihrer Arbeit unterzieht die 24-Jährige die Einsatzmöglichkeiten von KI bei der richterlichen Entscheidungsfindung in Gerichtsverfahren einer kritischen Analyse. "In Österreich wird künstliche Intelligenz etwa bei der Rechtsrecherche bereits genutzt", erklärt die Juristin. "Damit ist eine enorme Arbeitsersparnis verbunden."

Auch bei der Nachbereitung von gerichtlichen Entscheidungen werde KI schon erprobt. "Problematisch wird es allerdings dort, wo der Richter nicht nur recherchieren, sondern seinen Willen bilden und das Recht direkt auf einen Sachverhalt anwenden muss", erläutert Elisabeth Paar. "Schlägt die KI eine rechtliche Beurteilung vor, könnte sie den Richter beeinflussen."

Menschenkenntnis

Grundsätzlich sei der Einsatz von KI im Bereich der Beweiswürdigung und in der Sachverhaltsfeststellung kritisch zu sehen. "Bevor der Richter einen Sachverhalt feststellt, muss er sich durch Befragungen und Beweisaufnahme eine Meinung bilden", sagt die Wissenschafterin. "Dabei sind seine Qualitäten als Mensch ebenso gefragt wie jene als Rechtsexperte." Diesen Bereich der KI zu überlassen, wäre nicht ungefährlich, denn "bei der Beweiswürdigung spielen Menschenkenntnis und Plausibilitätsüberlegungen – also menschliche Kernkompetenzen – eine wichtige Rolle."

Da KI nur Korrelationen erkennt, aber keinen Sinn für Kausalitäten hat, könne sie diskriminierende bis völlig sinnlose Ergebnisse liefern – man denke an das kuriose Beispiel, in dem KI einen Zusammenhang zwischen Margarinekonsum und Scheidungswahrscheinlichkeit ermittelte. "KI ist ein rechnerischer Prozess, in dem Muster erkannt werden – was sie nicht kann, ist Daten auf ihre Rationalität zu überprüfen."

In spätestens anderthalb Jahren will Elisabeth Paar ihre Arbeit über die Möglichkeiten und Gefahren von KI im österreichischen Justizsystem abschließen. Ob sie sich danach für eine Karriere als Wissenschafterin oder als Richterin entscheidet, ist noch offen. Um all die Ernsthaftigkeit mit aufzulockern, verbringt die Juristin ihre Freizeit zwischen Dissertation und Teilzeitjob in einem Anwaltsbüro mit Singen, Klavierspielen und Hip-Hop-Tanzen. (Doris Griesser, 5.6.2020)