Unfassbar alt, und doch schon eindeutig ein Tausendfüßer: Kampecaris obanensis.
Foto: British Geological Survey

Beeindruckende 425 Millionen Jahre hat ein Tausendfüßer auf dem Buckel, dessen fossile Überreste Ende des 19. Jahrhunderts auf der schottischen Insel Kerrera gefunden wurden. Damit sei er älter als alle anderen bisher bekannten Tausendfüßer, Spinnentiere oder Insekten, berichten texanische Forscher, die das Fossil nun noch einmal eingehend studiert haben. Sie sprechen vom "ältesten bekannten Krabbeltier der Welt".

Die Altersbestimmung des Fossils gelang dem Team um Michael Brookfield von der University of Texas und Stephanie Suarez von der University of Houston durch die Analyse winziger Zirkonkristalle. Zirkone eignen sich gut für eine radiometrische Altersbestimmung, da sie Spuren radioaktiver Nuklide enthalten. Deren Zerfallsreihen sind bekannt, man kann daher bestimmen, wann sich der Kristall gebildet hat, indem man die Isotopenverhältnisse misst. Suarez hat außerdem eine neue Methode entwickelt, mit der sich die Kristalle leichter aus dem umgebenden Sediment lösen lassen.

Die erste Welle schwappt an Land

Der Fund stammt aus dem späten Silur, dem Zeitalter, als sich die ersten Knochenfische entwickelten. Während die Wirbeltiere also noch ganz auf ein Leben im Wasser beschränkt waren, eroberten Gliederfüßer bereits das Land. Und das Tier mit der Bezeichnung Kampecaris obanensis dürfte einer der ersten Kolonistenwellen angehört haben.

In dieser Anfangszeit gaben sich die Tausendfüßer noch recht bescheiden. Mit zwei bis drei Zentimetern Länge maß Kampecaris nur ein Hundertstel des bis zu zweieinhalb Meter langen Riesentausendfüßers Arthropleura aus dem Karbon. Und auch mit den Ausmaßen einiger heutiger Exemplare konnte er nicht mithalten – etwa einigen Skolopenderarten oder dem dank seiner Antennen bis zu 15 Zentimeter langen Spinnenläufer, der aus dem Mittelmeerraum stammt, inzwischen vielleicht aber auch schon Ihren Keller besiedelt hat. Doch mit all diesen Tieren war der Pionier Kampecaris eng verwandt, wie sein Körperbau zeigt.

Als das Land grün wurde

Und 425 Millionen Jahre ist nicht nur der Tausendfüßer alt, sondern auch die älteste bekannte Landpflanze mit Stängel, Cooksonia. Brookfield glaubt, dass Kampecaris und Cooksonia am Beginn jener Ökosysteme standen, die sich im Silur und dem daran anschließenden Devon auf den Landmassen ausbreiteten. Uns wären sie vielleicht fremdartig erschienen, denn Pflanzen und Gliederfüßer blieben dort noch einige Dutzend Millionen Jahre unter sich. Als sich schließlich die Wirbeltiere dazugesellten, hatten baumhoch wachsende Pflanzen bereits üppige Wälder gebildet, in denen es vor Tausendfüßern und Spinnentieren nur so wimmelte.

Zwischen Pionieren wie Kampecaris und der Lebensfülle im Devon verstrichen nur 40 Millionen Jahre – nicht allzu lange für den fundamentalen Wandel, dem die Kontinente damals unterzogen wurden. Allerdings könnte sich die Entwicklung auch deutlich länger hingezogen haben, räumt Brookfield ein. Denn bislang sind zwar keine älteren Fossilien von Landbewohnern bekannt. Doch steht Paläontologen mit der sogenannten molekularen Uhr noch eine völlig andere Methode zur Verfügung, in der Geschichte des Lebens zurückzugehen. Und die kommt auf etwas andere Zeiträume.

Ist die Uhr genau?

Die molekulare Uhr dreht den evolutionären Prozess der Bildung neuer Arten gewissermaßen um. Durch DNA-Analysen versuchen Wissenschafter zu berechnen, wann sich zwei verwandte Arten aus einem gemeinsamen Vorfahren entwickelt haben – also wann dieser gelebt haben muss. Oft kommt diese Methode zu Ergebnissen, die deutlich weiter in der Vergangenheit liegen, als der Fossilienbefund hergibt.

Und das ist auch hier so: Sowohl die Tausendfüßer als auch Pflanzen wie Cooksonia sollten laut molekularer Uhr 75 Millionen Jahre älter als die ältesten jemals gefundenen Fossilien sein. Was bedeuten würde, dass die Kolonisierung des Landes nicht so rasant abgelaufen wäre, wie es Brookfield aus den Fossilienfunden ableitet. "Wer hat recht, wir oder sie?", fragt die ebenfalls an der Studie beteiligte Geologin Elizabeth Catlos. Denn ob nun aus diesem ganzen Zeitraum zufälligerweise keine Fossilien erhalten geblieben sind oder ob die molekulare Uhr ungenau kalibriert war, müssen die Forscher offenlassen. (jdo, 7. 6. 2020)