Peter Kember veröffentlicht als Sonic Boom am Freitag das Album "All Things Being Equal" – ein Trip zwischen Psychedelic, Elektronik und Weltraum-Pop.

Foto: Ian Witchell

Stur und stoisch wohnen in derselben Nachbarschaft. Während das eine Wort oft negativ konnotiert ist, verströmt das andere Erhabenheit. In der Musik von Peter Kember vermählen sich die beiden. Kembers Grundsatz lautet: "Nicht Komplexität verleiht Musik Überzeugungskraft, Konsequenz tut es." Damit kennt sich der Brite aus.

Als er 1982 im englischen Rugby mit Jason Pierce die Band Spacemen 3 gründete, reichten den beiden ein, zwei Akkorde, um daraus Songs zu kreieren. Diese wurden in langen Minuten gnadenlos wiederholt, mit Effektpedalen dröhnend und hypnotisch gesteigert, narkotisch befeuert vom gemeinsamen Drogenmissbrauch. Konsequenz ging damals bereits vor Komplexität – selbst wenn sie bloß der eingeschränkten Fähigkeit am Gerät geschuldet war.

Gut 35 Jahre später ist sich Peter Kember da immer noch treu. Am Freitag erscheint sein Album All Things Being Equal. Es ist sein erstes unter dem Alias Sonic Boom seit gut 30 Jahren. Untätig war der 54-Jährige in der Zeit nicht. Das Spiel mit verschiedenen Namen durchzieht seine Karriere.

Gefragter Produzent

Doch ob er als Sonic Boom, Spectrum oder EAR (Experimental Audio Research) veröffentlicht: Fast immer besitzen seine Arbeiten einen psychedelischen Touch. Dafür wird er als Produzent gebucht – von Bands wie MGMT, Panda Bear, Beach House –, als solcher dient er als Konsulent befreundeter Bands wie Stereolab oder als Überwachungsorgan für die Neuaufbereitung verschollen geglaubter psychedelischer Platten, die nach Jahrzehnten im Keller entdeckt wurden. Sogar in Wien war er 1996: beim Festival Hyperstrings.

Spacemen 3 waren für ihre Drogenvorlieben berüchtigt. Sie führten sich alles zu, was versprach, sie ins Paralleluniversum zu katapultieren: von Kaffee mit Schuss bis zu Heroin. Ihre Musik stand in der Tradition der Stooges, von Suicide, The Velvet Underground oder MC5. Mit deren Erbe drangen sie auf programmatisch benannten Platten wie Sound of Confusion, The Perfect Prescription oder Playing With Fire in neue Galaxien vor. Dabei fielen sogar eine Handvoll Indie-Hits ab, und diese Shoegazer aus der (Drogen-)Hölle waren selbst in den USA ziemlich populär. Dann zerstritten sich Kember und Pierce.

Carpark Records

Bis heute weigert sich Pierce, mit Kember zu reden. Selbst millionenschwere Angebote hat der mit der Band Spiritualized aktive Pierce ausgeschlagen, während Kember bereit wäre, wieder als Spaceman aufzutreten. Mehr als einmal soll er das Gespräch gesucht haben, ohne Erfolg.

Ein See aus Tränen

Doch selbst ohne Pierce war und ist Kember ein umtriebiger Typ, der heute mit seiner Frau in Portugal lebt und bei einem Auftritt beim Primavera Festival in Barcelona vor ein paar Jahren topfit wirkte. Vor allem EAR und Spectrum haben den Mann mit der Sonnenbrille gut beschäftigt.

Diese Musik ist stark Synthesizer-lastig. Analoge Welten, in denen kein Nachttisch ohne Lavalampe auskommt, die Weltraumästhetik der 1970er und die Instrumente von damals dominieren. Aus dieser Neigung entstand auch eine Kooperation mit den Silver Apples. Mit den US-amerikanischen Pionieren der elektronischen Musik produzierte Kember 1999 das Album A Lake Of Teardrops.

Kette rauchen statt Kettenrad

Auf seinem neuen Werk ist nun der Einfluss anderer Pioniere der elektronischen Musik hörbar: Kraftwerk. Deren Konsequenz ist jener von Kember wesensverwandt, wenngleich man sich den immer noch Kette rauchenden Briten nicht wirklich auf einem Rennrad vorstellen kann.

Carpark Records

Dennoch bedingt die Kraftwerk-Affinität neben der formalen Strenge einen romantischen Unterton, den kleine verspielte Synthie-Melodien verdeutlichen. Dazu trägt Kember seine knappen, sloganhaften Texte vor. Die sind oft ebenso repetitiv verfasst wie die Musik.

Bedingungsloses Vertrauen

Im Song Just Imagine beginnen 23 von 28 Textzeilen mit den Wörtern des Songtitels, in My Echo, My Shadows and Me beginnen 25 von 26 Zeilen mit den Wörtern "I am". Konsequenz ergibt Erhabenheit. Kember vertraut diesem Rezept bedingungslos, und die Resultate geben ihm recht.

Carpark Records

Dazu gönnt er sich leichte Variationen. Ein Lied wie Things Like This (A Little Bit Deeper) versetzt er mit einer eiernden Orgel in Schwingung, so wie es der Kölner Künstler und Technoproduzent Wolfgang Voigt einst mit seinem Projekt Love Inc getan hat.

Mit traumwandlerischer Sicherheit durchmisst Kember so ein Terrain zwischen Elektronik, Psychedelic und Raumschiff-Pop. Dabei gönnt er sich bei aller auferlegten Ökonomie stellenweise etwas Opulenz, was in einem Lied wie The Way That You Live gar an die Glanzleistungen des singenden Brian Eno erinnert. Nicht dass Peter Kember den Vergleich notwendig hätte, aber er zeigt, in welcher Liga er spielt. (Karl Fluch, 4.6.2020)