Alle, die viel unterwegs sind, sollten eine Zeckenzange im Arzneimittelschrank parat haben.

Foto: Imago

Selten zuvor war der Drang ins Freie so groß wie dieser Tage. Nach drei Monaten Lockdown drängen die Menschen ins Grüne. In der frischen Luft ist die Gefahr, sich mit dem Coronavirus anzustecken, wesentlich geringer als in geschlossenen Räumen, und die Natur tut vor allem der Psyche gut. Blöd, aber Tatsache: Im Gras, zwischen den Sträuchern und auf Büschen lauern Zecken.

"Die Saison hat dieses Jahr sehr früh begonnen", sagt Georg Duscher, Parasitologe bei der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit. Seit März sammelt er Berichte von Tierbesitzern, denen ein starker Zeckenbefall auffällt. Die Erklärung: Durch den Klimawandel verlaufen die Winter wärmer, was für die Zeckenpopulation vorteilhaft ist. Der Gemeine Holzbock, wie die am weitesten verbreitete Zeckenart in Österreich genannt wird, tritt in allen Bundesländern auf, "neuerdings in immer höheren Lagen in den Alpen", warnt Duscher.

Erreger im Magen

In ihrem Darm oder der Speicheldrüse können diese kleinen Parasiten Viren und Bakterien tragen, die während der Blutmahlzeit durch ihren Saugrüssel in einen anderen Organismus gelangen. Menschen können schwer erkranken: am FSME-Virus, einem Erreger, den abhängig vom Gebiet zwischen 0,1 und fünf Prozent aller Zecken in sich tragen, und an Borrelien, von denen zwischen fünf und 35 Prozent der Zecken befallen sind. "Die Virusrate in den Zecken ist äußerst gering, sie schaffen es aber trotzdem, einen Menschen zu infizieren", sagt Anja Joachim, Leiterin des Instituts für Parasitologie an der Veterinärmedizinischen Universität in Wien.

Normalerweise befallen Zecken vor allem kleine Nagetiere und Rehe, denen diese Keime nichts ausmachen, Menschen hingegen können stark an diesen Infektionen leiden. Wenn Zecken in die Haut stechen und Blut saugen, können Krankheitserreger in den Organismus gelangen. Ein FSME-Virus würde dann eine Frühsommer-Meningo-Enzephalitis auslösen können. 2019 ist das bei 108 Menschen in Österreich passiert, 2018 gab es sogar 154 FSME-Erkrankte. Gegen die durch das Virus ausgelöste Entzündung des Gehirns und des Rückenmarks gibt es kein Medikament, bei schweren Verlaufsformen kann das FSME-Virus langfristige Schäden im Nerven- und Immunsystem auslösen. Immer wieder sind Menschen auch in Österreich an der Erkrankung auch gestorben. "Es ist also besser, so eine Gefahr durch die Impfung einfach zu bannen", rät Joachim.

Unspezifische Beschwerden

Die Impfung schützt allerdings nicht vor der Borreliose, der von den Borrelien ausgelösten Krankheit mit sehr unspezifischen Symptomen wie Kopfschmerzen, Fieber, Schwäche oder geschwollenen Lymphknoten, auch ein Hautausschlag kann auftreten. Die Erkrankung manifestiert sich manchmal erst Wochen nach einem Zeckenstich, kann aber, wenn sie von einem Mediziner entdeckt wird, mit Antibiotika sehr effektiv behandelt werden.

Für Parasitologen wie Duscher und Joachim ist allerdings eine neue Form von Zecke aus forschungstechnischer Perspektive wesentlich interessanter als der Gemeine Holzbock. "Hyalomma, die tropische Riesenzecke, scheint tatsächlich auf dem Weg zu sein, sich in unseren Breiten behaupten zu können", sagt Duscher und sieht die durch den Klimawandel steigenden Temperaturen als entscheidend dafür an.

"Im Grunde genommen fallen Zecken eigentlich vom Himmel, zumindest ihre Nymphen", sagt Duscher und erklärt, dass die tropische Riesenzecke von den Zugvögeln aus der südlichen Hemisphäre der Erde zu uns eingeschleppt wird. Die Zecken saugen sich in Afrika oder im Mittelmeergebiet an den Vögeln fest und fallen, wenn sie sich vollgesaugt haben, von ihnen ab, erklärt er. Oder sie fallen ab, wenn die Vögel auf ihrem Weg rasten. Wenn die Nymphen dann hier überleben, sieht man sie verstärkt im Herbst als erwachsene Tiere, und durch den Klimawandel haben sie eine Chance, auch in den nördlichen Breitengraden zu überleben, "genau das könnte in den vergangenen Jahren passiert sein".

Hyalomma, die tropische Riesenzecke, sieht eher wie eine Spinne aus und befällt eher große Lebewesen, bevorzugt Pferde und Rinder.
Foto: Duscher/Ages

Hyalomma ist Biologen und Veterinärmedizinern 2018 erstmals in Mitteleuropa aufgefallen. Sie ist viel größer als der hierzulande verbreitete Holzbock, hat einen schwarzen Körper und lange gestreifte Beinchen, "sieht eher wie ein Spinnentier aus", beschreibt Joachim. "Es klingt beängstigend, aber Hyalomma kann seinen Wirtstieren tatsächlich bis zu 100 Meter nachlaufen, weil sie auch sehen können", berichtet Duscher. Die tropische Zecke befällt zwar in erster Linie Pferde und Rinder, aber "in Ermangelung kann sie wahrscheinlich auch einmal einen Menschen erwischen", vermutet er. Das scheint vergangenes Jahr erstmals in Deutschland passiert zu sein, als eine Hyalomma-Zecke an einem erkrankten Pferdehalter entdeckt wurde.

Neue Krankheitskeime

Dass sich Biologen intensiv mit diesem neuen Parasiten beschäftigt, hat allerdings einen anderen Grund. Hyalomma überträgt andere Krankheitserreger als der Gemeine Holzbock, trägt also auch andere Keime in seinem Körper, von denen man einstweilen noch sehr wenig weiß, gegen die man aber gerüstet sein will. Denn die neuen tropischen Zecken können das Krim-Kongo-hämorraghische Fieber (CCHF) übertragen, das zu Darmblutung oder Bluterbrechen führen und in fünf bis 30 Prozent der Fälle sogar tödlich verlaufen kann. In Südeuropa sind vereinzelte Ausbrüche bekannt. Hyalomma-Zecken übertragen auch Bakterien namens Rickettsia aeschlimanii, die eine Art Fleckfieber auslösen können. Das European Center for Disease Prevention and Control (ECDC) hat deshalb kürzlich auch eine Warnung veröffentlich, um Awareness bei Medizinern zu schaffen.

Zecken lösen Fleischallergie aus

Und noch ein weiterer Umstand interessiert den Zeckenexperten Duscher: der Speichel einer Reihe von Zecken dürfte ein Zuckermolekül enthalten, das bei manchen Menschen zu einer Fleischallergie führt, wie US-Wissenschafter kürzlich herausgefunden haben. Das Zuckermolekül Alpha-Gal löst im Organismus eine Art Abwehrreaktion aus, was sich in Durchfall, Übelkeit, Hautausschlägen oder einem anaphylaktischen Schock äußert. "Wir wissen noch zu wenig darüber, um wirklich allgemeine Aussagen treffen zu können", sagt Duscher, doch wenn Menschen plötzlich kein Fleisch mehr vertragen, sollte es als mögliche Ursache in Betracht gezogen werden.

Man müsse allerdings erst weitere Zusammenhänge erforschen. Noch gebe es keine durch Hyalomma verursachten Krankheitsfälle bei Menschen, nur Sichtungen der neuen tropischen Riesenzecke in Nieder- und Oberösterreich auch schon 2019. "Keinesfalls sollte man die Zecken zum Beispiel von Pferden abnehmen und zerquetschen", warnt Joachim vor einer möglichen Schmierinfektion. Händewaschen als Schutz vor Infektion gilt für alle Viren gleichermaßen. (Karin Pollack, 6.6.2020)