Im Handel ging wochenlang gar nichts mehr, die Geschäfte waren zu. Ganz ähnlich war es bei Friseuren, in den Restaurants und Kaffeehäusern und natürlich in der Hotellerie. Viele Selbstständige, angefangen vom Hochzeitsfotografen über den Physiotherapeuten bis hin zum Grafiker, haben wochenlang aufgrund der Corona-Krise so gut wie keine Umsätze gemacht.

Über die Folgen der Krise wird seit Wochen heftig diskutiert, auch in den Medien. Der Tenor: Die Hilfen in Österreich seien zu bürokratisch und kämen nicht schnell genug dort an, wo sie benötigt werden.

Ein umso überraschenderes Ergebnis liefert eine Auswertung des Kreditschutzverbands von 1870 (KSV 1870) für den STANDARD. Dabei zeigt sich, dass die Krise überall angekommen ist, außer in der Insolvenzstatistik. Die Zahl der Unternehmen, die wegen Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eine Insolvenz beantragen, ist seit Beginn der Corona-Krise dramatisch gesunken.

Im Schnitt der vergangenen Jahre beantragen pro Woche rund 100 Unternehmen Insolvenz. So war das im vergangenen Jahr, und so war das auch in den ersten Wochen des Jahres 2020. Doch ab Mitte März sind die Zahlen eingebrochen. Im Schnitt der vergangenen elf Wochen beantragten um 50 Prozent weniger Unternehmen Insolvenz. Gut 2.200 Betriebe waren es zu dieser Zeit im Vorjahr. Heuer sind es 1.700.

Woran liegt das – und vor allem: Wie nachhaltig ist dieser Trend?

Ricardo-José Vybiral, Geschäftsführer des Gläubigerschützers KSV 1870, spricht von einer Reihe von Ursachen. Zunächst haben die Gerichte zwar auch im März und April Anträge von überschuldeten Unternehmern entgegengenommen. Aber aufgrund der Pandemie dürfte der Betrieb etwas eingeschränkt gewesen sein, so Vybiral. Die einzige Erklärung ist das aber nicht, denn auch im Mai folgte noch kein Anstieg, und Insolvenzen gab es eben auch davor. Ein anderer Faktor ist, dass viele Betriebe seit Ausbruch der Finanzkrise Kapitalpolster aufbauen konnten, also über Reserven verfügen.

Nachsicht mit den Schuldnern

Die andere wichtige Ursache dürfte bei den staatlichen Interventionen zu suchen sein, mit denen die Liquidität der Unternehmen erhalten werden soll. So kommen die meisten Anträge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Österreich von der Finanz und den Gesundheitskassen. Der Finanz, weil Steuern nicht bezahlt werden, die Gesundheitskassen treiben Sozialversicherungsbeiträge ein. Seit Beginn der Corona-Krise beantragen beide Institutionen keine Insolvenzen mehr.

Rund 100 Unternehmen melden im Schnitt pro Woche Insolvenz an. Seit Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich diese Zahl halbiert.
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Parallel sind auch Bestimmungen verändert worden: Ist ein Betrieb überschuldet, muss er einen Insolvenzantrag stellen. Diese Regel ist aktuell ausgesetzt. Im Fall einer Zahlungsunfähigkeit wurde die Frist für den Antrag von 60 auf 120 Tage gestreckt.

KSV-Geschäftsführer Vybiral sagt weiter, dass seit der Pandemie viele Unternehmen auf Abwartemodus geschaltet haben: Sie wollen sehen, ob sie staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen könnten. Und er sagt auch: "Wenn staatliche Hilfen nicht bei Betrieben angekommen wären, sähe das Bild ganz anders aus."

Unaufhaltbare Welle

Auf den ersten Blick ist die Entwicklung erfreulich. Eine Pleite ist sowohl für Eigentümer wie für Gläubiger dramatisch. Kehrseite der Medaille ist aber, dass durch die Corona-Pandemie mehr Zombie-Unternehmen entstehen dürften, wie Gerhard Weinhofer von Creditreform sagt, wo ebenfalls Gläubigerinteressen vertreten werden. Unter Zombie-Firmen verstehen Experten Betriebe, die ohnehin in absehbarer Zeit umfallen dürften. Eine Reihe von externen Faktoren wie staatliche Hilfen oder niedrige Kreditzinsen sorgen dafür, dass die Unternehmen vorerst weiterexistieren.

Wenn mit Steuergeld Unternehmen am Leben erhalten werden, die ohnehin kollabieren, kann das die Kosten erst recht in die Höhe treiben: nicht nur, weil Beihilfen verlorengehen. Bei der Finanz oder der Sozialversicherung gestundete Rechnungen summieren sich auch.

Weinhofer und Vybiral rechnen mit einem deutlichen Anstieg der Insolvenzen in der zweiten Jahreshälfte. Beim KSV 1870 ist von plus 15 bis 25 Prozent die Rede. Eine Welle lasse sich nicht aufhalten. Wann die aber kommt, hänge auch von den weiteren Hilfsmaßnahmen ab, so Vybiral. Etwa davon, ob Finanz und Gesundheitskasse auch weiter zurückhaltend agieren.

Einen deutlichen Rückgang gab es übrigens laut KSV auch bei den Privatkonkursen: Hier sei die Ursache eindeutig die Pandemie. In den Schuldnerberatungen war der Parteienverkehr ausgesetzt, was viele Menschen davon abgehalten habe, einen Privatkonkurs anzumelden. (András Szigetvari, 4.6.2020)