Ein solarer Ausbruch, festgehalten vom Nasa-Satelliten SDO am 31. August 2012.
Foto: Nasa/GSFC/SDO

Am 10. Februar 2020 machte sich eine Weltraumsonde auf den langen Weg zu einer "heißen" Mission: Die Esa-Sonde Solar Orbiter soll sich Mittels eines Erd- und acht Venus-Swing-bys schrittweise der Sonne annähern. Gegen Ende der Primärmission rund sieben Jahre nach dem Start wird die Sonde an unseren Heimatstern bis auf weniger als 42 Millionen Kilometer herankommen. In dieser Entfernung ist die Intensität der Sonne bereits 13-mal so hoch wie auf der Erde. Hauptziel der Mission ist die Untersuchung des Sonnenwindes, denn obwohl unser durchschnittlich rund 150 Millionen Kilometer entferntes Zentralgestirn wohl schon seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte beobachtet wird, ist es immer noch voller Rätsel und Geheimnisse.

So weiß man zwar, dass die solare Aktivität einem Sonnenfleckenzyklus mit einer durchschnittlichen Periode von 11,1 Jahren folgt. Was die Ursachen für diese mehr oder weniger regelmäßigen Schwankungen sind, tappt man dagegen noch ziemlich im Dunklen. Einige Forscher vermuten, dass die Planeten Venus, Erde und Jupiter die entscheidenden Faktor darstellen. Das letzte solare Zyklusmaximum 2013/14 erwies sich insgesamt als verhältnismäßig moderat, was die durchschnittliche Fleckenanzahl betraf.

Die Sonne als stellare Schlafmütze?

Abgesehen davon ist das Benehmen der Sonne im kosmischen Vergleich jedoch außergewöhnlich eintönig. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forscherteam unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen in einer aktuellen Studie. Erstmals verglichen dabei die Wissenschafter die Sonne mit hunderten anderer Sterne, die ihr in Bezug auf Rotationsgeschwindigkeit und weitere fundamentale Eigenschaften gleichen. Die meisten erwiesen sich als deutlich variationsreicher. Das wirft die Frage auf, ob die Sonne grundsätzlich zu den stellaren Schlafmützen zählt oder lediglich seit einigen Jahrtausenden eine ungewöhnlich ruhige Phase durchläuft.

Wie stark die Aktivität der Sonne (und damit auch die Anzahl ihrer Sonnenflecke und ihre Strahlungsleistung) schwankt, lässt sich mit verschiedenen Methoden nachvollziehen – zumindest für einen gewissen Zeitraum. Seit 1610 etwa gibt es verlässliche Aufzeichnungen über die Sonnenflecke auf der Sonne; die Verteilung radioaktiver Spielarten von Kohlenstoff und Beryllium in Baumringen und Eisbohrkernen erlaubt Rückschlüsse auf die Sonnenaktivität der vergangenen 9.000 Jahre.

Verlässliche Aufzeichnungen über die Sonnenfleckenaktivität der Sonne gibt es seit 1610.
Foto: NASA Goddard Space Flight Center

Vielleicht nur eine ruhige Phase

Für diesen Zeitraum finden sich regelmäßig wiederkehrende Schwankungen vergleichbarer Stärke. "Auf das gesamte ‚Leben‘ der Sonne bezogen ist der Zeitraum, den wir rekonstruieren können, jedoch nur ein Wimpernschlag", ordnet MPS-Wissenschafter Timo Reinhold, Erstautor der im Fachjournal "Science" erschienenen Studie, den bisherigen Kenntnisstand ein. Schließlich ist unser Stern nahezu 4,6 Milliarden Jahre alt. "Es ist denkbar, dass die Sonne seit Jahrtausenden eine ruhige Phase durchläuft und wir deshalb ein verzerrtes Bild von ihr haben", fügt er hinzu.

Da es keine Möglichkeit gibt zu untersuchen, wie aktiv die Sonne in Urzeiten war, bleibt nur der Blick in die Sterne: Zusammen mit Kollegen der University of New South Wales in Australien gingen die MPS-Forscher der Frage nach, ob sich die Sonne im Vergleich zu anderen Sternen "normal" verhält. Dies kann helfen, ihre derzeitige Aktivität einzuordnen. Dabei wählten Forscher solche Kandidaten aus, die der Sonne in entscheidenden Eigenschaften gleichen. Neben der Oberflächentemperatur, dem Alter und dem Anteil von Elementen, die schwerer sind als Wasserstoff und Helium, schauten die Wissenschafter vor allem auf die Rotationsgeschwindigkeit.

Magnetfeld als treibende Kraft

"Die Geschwindigkeit, mit der sich ein Stern um die eigene Achse dreht, ist eine entscheidende Größe", erklärt Sami Solanki, Koautor der Veröffentlichung. Die Drehung trägt dazu bei, dass im Innern eines Sterns in einem Dynamoprozess sein Magnetfeld entsteht. "Das Magnetfeld ist die treibende Kraft, die für alle Aktivitätsschwankungen verantwortlich ist", so Solanki. Der Zustand des Magnetfeldes bestimmt, wie häufig die Sonne in heftigen Eruptionen Strahlung und Teilchen ins All schleudert, wie zahlreich dunkle Sonnenflecke und besonders helle Regionen auf ihrer Oberfläche auftreten – und damit auch wie hell die Sonne scheint.

Ein umfangreicher Katalog der Rotationsgeschwindigkeiten tausender Sterne liegt seit wenigen Jahren vor. Er beruht auf Messdaten des Weltraumteleskops Kepler der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa, das von 2009 bis 2013 die Helligkeitsschwankungen von etwa 150.000 Hauptreihensternen (also solchen, die sich in etwa in der Mitte ihres Lebens befinden) aufzeichnete. Diese riesige Menge durchforsteten die Forscher und wählten die Sterne aus, die sich innerhalb von 20 bis 30 Tagen einmal um die eigene Achse drehen. Die Sonne benötigt dafür etwa 24,5 Tage. Diese Vergleichsgruppe konnten die Forscher mit Hilfe von Daten des europäischen Weltraumteleskops Gaia weiter einschränken. Es blieben 369 Sterne, die der Sonne auch in weiteren grundlegenden Eigenschaften ähneln.

Vergleich der Helligkeitsschwankungen der Sonne mit jenen des Sterns KIC 7849521.
Grafik: MPS

Im Schnitt fünfmal stärkere Schwankungen

Die genaue Analyse der Helligkeitsschwankungen dieser Sterne in der Zeit von 2009 bis 2013 offenbart ein klares Bild. Während die Gesamtstrahlungsleistung der Sonne zwischen aktiven und inaktiven Phasen im Mittel um gerade einmal 0,07 Prozent schwankte, zeigten sich ihre stellaren Kollegen deutlich variationsreicher. Ihre Schwankungen sind typischerweise etwa fünfmal so stark. Allerdings lässt sich längst nicht für alle Sterne, die das Kepler-Teleskop beobachtete, die Rotationsgeschwindigkeit bestimmen. Dafür müssen Wissenschafter in den Daten bestimmte, periodisch auftretende Verdunklungen finden.

Sie lassen sich darauf zurückführen, dass Sternenflecke die Oberfläche dieser Sterne verdunkeln, sich mit einer festen Geschwindigkeit aus dem Blickfeld des Teleskops drehen und dann nach einem festen Zeitraum wiederauftauchen. "Bei vielen Sternen lassen sich solche periodischen Verdunklungen nicht aufspüren; sie gehen im Rauschen der Messdaten und in den anderen Helligkeitsschwankungen des Sterns unter", erklärt Reinhold. Auch die Sonne würde durch das Kepler-Teleskop betrachtet ihre Rotationsgeschwindigkeit nur schwerlich preisgeben. Die Forscher untersuchten deshalb auch mehr als 2.500 sonnenähnliche Sterne, deren Rotationsgeschwindigkeit sich bisher nicht bestimmen lässt. Deren Helligkeit schwankte deutlich weniger als die der anderen Gruppe.

Zwei mögliche Ursachen

Aus Sicht der Wissenschafter lassen ihre Ergebnisse zwei Interpretationen zu. So könnte es einen noch ungeklärten, grundsätzlichen Unterschied zwischen den Sternen mit bekannter Rotationsgeschwindigkeit geben und solchen, denen sich dieser Wert bisher nicht entlocken lässt. Genauso denkbar sei es, dass die Sterne mit bekannten und sonnenähnlichen Rotationsgeschwindigkeiten zeigen, zu welchen Aktivitätsschwankungen die Sonne grundsätzlich fähig. Dies würde bedeuten, dass unser Stern in den vergangenen 9.000 Jahren, für die wir seine Aktivität abschätzen können, ungewöhnlich langweilig war und dass auf sehr großen Zeitskalen auch Phasen mit deutlich stärkeren Schwankungen denkbar sind.

Grund zur Sorge gibt es indes nicht. Für die absehbare Zukunft deutet nichts auf eine solche solare "Hyperaktivität" hin. Im Gegenteil: Die Sonne zeigt sich seit einem Jahrzehnt selbst für ihre Verhältnisse ziemlich schlapp. Vorhersagen der Aktivität der nächsten elf Jahre deuten darauf hin, dass sich an diesem "Schwächezustand" auf absehbare Zeit nichts ändern wird. (red, 8.6.2020)