Wenn er nicht gerade mit Bagger und Kettensäge auf Baumjagd ist, widmet Enzo Enea sich Privatgärten und Parkanlagen in aller Welt. Dabei kommt schon mal die Bondage-Technik zum Einsatz.

Foto: Enea Landscape Architecture, Gerhard Maurer

STANDARD: Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat Sie in einem Artikel mal als "Baumflüsterer" bezeichnet. Gefällt Ihnen die Zuschreibung?

Enzo Enea: Keine Ahnung, was es braucht, damit die Leute einen Artikel über Bäume in der Frankfurter Allgemeinen lesen. Offenbar braucht es dazu einen "Baumflüsterer" im Titel.

STANDARD: Stört Sie das?

Enea: Ich weiß nicht, ob ich mit den Bäumen spreche, geschweige, ob ich ihnen etwas zuflüstere. Ich weiß nur, dass ich mich darum bemühe, den Bäumen so respektvoll und kenntnisreich wie nur möglich zu begegnen.

Für den Schweizer Künstler Klaus Littmann plante Enzo Enea minutiös die Auswahl und die technische Infrastruktur für das Projekt "For Forest" im Wörthersee-Stadion Klagenfurt im vergangenen Jahr.
Foto: Enea Landscape Architecture, Gerhard Maurer

STANDARD: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, 2010 ein Baummuseum zu gründen?

Enea: Ich habe vor fast 30 Jahren begonnen, eine Passion für Bäume zu entwickeln. Und zwar nicht für irgendwelche Bäume, sondern vor allem für bedrohte Exemplare, die kurz vor der Abholzung stehen. In der Regel sammle ich alte Bäume aus unserer Umgebung ein, die man fällen würde, weil sie Verkehrsprojekten oder Immobilienentwicklungen im Wege stehen. Es ist schade, wenn man Zeit auf diese Weise vernichtet! Da blutet mir das Herz. Also hatte ich die Idee, die Bäume zu retten und hier in Rapperswil zusammenzutragen. Das war die Geburtsstunde des Baummuseums.

STANDARD: Was muss man beachten, wenn man einen alten Baum verpflanzt? Welche Tipps und Tricks hätten Sie da auf Lager?

Enea: Man muss nah am Baumstamm ansetzen und den Wurzelballen straffen. Gleichzeitig darf man nicht zu viel wegschneiden, denn sonst erholt sich der Baum nicht mehr. Wie genau man den Wurzelschnitt ansetzt, ist eine Mischung aus Bonsai-Technik und eigenen empirischen Erfahrungswerten. Danach müssen die Wurzeln ausgewaschen und ein ökologischer Verdunstungsschutz angebracht werden. Der Rest ist Betriebsgeheimnis. Ich warne davor, so eine Aktion ohne technisches Know-how durchzuführen. Die Überlebenschance für einen alten Baum ohne genaue Kenntnis der Technik beträgt 20 Prozent.

Parkgestaltung und Pavillon in der Wohnhausanlage Park Grove in Miami.
Foto: Enea Landscape Architecture, Robin Hill

STANDARD: Wie alt sind die Bäume, die Sie auf diese Weise bergen?

Enea: Ganz unterschiedlich. Die meisten sind so um die 160 bis 170 Jahre alt. Aber ich habe auch schon Lärchen aus dem Berninagebirge geborgen, die rund 450 Jahre alt waren.

STANDARD: Einige Ihrer Bäume im Baummuseum stehen immer noch in ihren provisorischen Wurzelballen-Behältnissen. Wie lange können die Bäume in dieser Form stehen bleiben?

Enea: Wenn der Schnitt gut angelegt ist, gibt es eigentlich keine Begrenzung. Einige der Bäume stehen bereits seit fünf oder zehn Jahren auf der Wiese.

STANDARD: Ist das nicht stressig für den Baum?

Enea: Stressig wird es, wenn sich die Wurzeln nicht ausreichend ausdehnen können. Wenn Sie sich einen x-beliebigen Baum auf der Straße oder in einer Fußgängerzone ansehen, so ist der Erdkoffer dort oft noch kompakter geschnitten. Hinzu kommt, dass die Wurzeln oft mit einem Betonkranz eingefasst sind.

STANDARD: Planen Sie diese Bäume auch in Ihren Gartenprojekten ein?

Enea: In der Regel bleiben die geretteten Bäume bei mir im Baummuseum. Für die Kundenprojekte sind andere Bäume vorgesehen, die ich meistens von verschiedenen Baumschulen in ganz Europa beziehungsweise auf der ganzen Welt einkaufe.

Spiegelbecken in Fläsch.
Foto: Enea Landscape Architecture, Martin Ruetschi

STANDARD: Sie planen für viele berühmte Persönlichkeiten aus Film, Musik und Kunst. Wie kommen Sie zu Ihren Kunden? Wie kommen die Kunden zu Ihnen?

Enea: Über Medien, Mundpropaganda und Landschaftsarchitekturwettbewerbe. Sobald man einmal einen Garten in der gehobenen Gesellschaft gemacht hat, wird man von Projekt zu Projekt weitergereicht.

STANDARD: Ihre Gärten sind in fast schweizerischer Uhrenpräzision bis zur Perfektion inszeniert. Wie würden Sie die Balance aus Natur und Künstlichkeit beschreiben?

Enea: Unberührte Natur gibt es nur oben in den Bergen und tief drinnen in den Mischwäldern. Je näher Sie der Zivilisation kommen, desto kultivierter ist die Landschaft – ob das nun Landwirtschaftsflächen, Gartenanlagen oder Parks sind. Bei Privatgärten handelt es sich um besonders künstlich geschaffene Naturräume. Wie in der Architektur müssen auch in der Landschaftsarchitektur diese Räume präzise und besonders penibel gestaltet werden, damit sie funktionieren.

Erschwerend kommt hinzu, dass Sie hier nicht nur mit toten Baustoffen arbeiten, sondern auch mit lebender Materie sowie mit dem Wind, mit dem Wetter, mit dem Klima, mit dem Mikroklima, mit den Jahreszeiten. Ich kann gar nicht anders, als diese Naturräume perfekt und präzise zu planen. Alles andere wäre fahrlässig.

STANDARD: Sie planen, bauen und betreuen Gärten in der ganzen Welt: Italien, Deutschland, Russland, Peking, Miami und Brasilien. Woher holen Sie sich das lokale Know-how?

Privatgarten in Walchwil.
Foto: Enea Landscape Architecture, Martin Ruetschi

Enea: Botanische Gärten sind meine Bibliotheken. Wo auch immer ich plane, besuche ich zuallererst den Botanischen Garten. Zudem lasse ich mich von Botanikern, Gärtnern und Landschaftsarchitekten vor Ort beraten.

STANDARD: Es fällt auf, dass Sie ein regelrechter Bildhauer sind, wenn es um das dreidimensionale Arrangement von Stauden, Büschen, Bäumen geht. Die umliegenden Wiesen jedoch werden meist nachrangig behandelt und bilden im besten Fall eine Art Passepartout. Wie kommt es zu dieser emotionalen Vernachlässigung des Zweidimensionalen?

Enea: So radikal würde ich das nicht ausdrücken! Fakt ist: Ich beschäftige mich meistens mit der Gestaltung von Privatgärten, und da hat die Wiese in der Regel eine sehr funktionale Rolle als Fläche zum Spielen, Grillen, Sonnenbaden. Eine große ästhetische Gestaltung in der Fläche ist meist nicht gewünscht.

STANDARD: Woher kommt diese explizite Vorliebe für Bäume?

Enea: Bäume haben eine Seele. Bäume sind für mich die komplexen Könige der Flora.

STANDARD: Gibt es einen Lieblingsbaum?

Enea: Besonders gern habe ich japanischen Ahorn. Die Wurzeln sind sehr kompakt, und man kann die Bäume leicht und unkompliziert transportieren.

STANDARD: Das war jetzt eine sehr technische Antwort. Was sagen die Emotionen?

Enea: Der knorrige Wuchs dieses Baums gefällt mir wahnsinnig gut. Ein alter Ahorn ist für mich wie ein alter, weiser Mann, in dessen Rinde und Geäst ich die Charakterzüge lesen kann wie in einem jahrzehntealten faltigen Gesicht.

STANDARD: Gibt es im Gegenzug eine Pflanze, die Sie überhaupt nicht mögen?

Enea: Mit Thujen und Kirschlorbeer habe ich zugegeben ein ziemliches Problem. Das sind Neophyten, die sich wie Parasiten über die ganze Welt ausbreiten.

Privatgarten in Erlenbach.
Foto: Enea Landscape Architecture, Martin Ruetschi

STANDARD: Das Baummuseum ist wie jedes Museum nicht zuletzt auch ein Ort der Bildung und der Weitergabe. Was wollen Sie Ihren Besucherinnen und Besuchern auf den Weg mitgeben?

Enea: Ich möchte den Besuchern die Bäume erklären. Ich will ihnen mitteilen, wo sie wachsen, wie sie funktionieren und warum sie so aussehen, wie sie aussehen. Und ich will ihnen Respekt und Sensibilität für die Komplexität der Materie vermitteln.

STANDARD: Würden Sie sich eher als Gärtner oder als Künstler bezeichnen?

Enea: Ich bin kein Künstler. Ich bin Gärtner.

STANDARD: Auf der Art Basel 2019 haben Sie acht Olivenbäume, die bis zu 800 Jahre alt sind, aus ihrem süditalienischen Zuhause entrissen und für einige Tage in einen tageslichtlosen Raum gestellt. Kunst oder Gärtnerei?

In Eneas Baummuseum in Rapperswil gehen globale Kunst und Natur ineinander über: ziemlich psychedelische "Mushrooms" von Sylvie Fleury.
Foto: Enea Landscape Architecture, Martin Ruetschi

Enea: Eine Kritik an Gartenkunst! Ich wollte mit diesem Projekt aufzeigen, wie Gartenkunst heute vielerorts verstanden wird. Oft kommen Investoren und Stadtverwaltungen auf mich zu und wünschen sich einen schönen grünen Platz in der Stadt. Unter dem Platz ist eine Tiefgarage, an den Rändern liegen etliche Kollektorgänge für Wasser, Abwasser, Fernwärme, Strom und Gas, und in der Mitte fährt die Straßenbahn durch. Im Grunde genommen muss ich eine Beton- und Zementwüste begrünen, und dann wünschen sich die Auftraggeber das Paradies! Ich wollte darstellen, wie wenig Platz und wie wenig Verständnis man letztendlich für die Natur hat.

STANDARD: Die Olivenbäume waren eingepackt und eingeschnürt.

Enea: Ich habe mich dabei der japanischen Bondage-Technik bedient. Die Samurai haben ihre Gefangenen auf spezielle Weise eingeschnürt, und je mehr sich die Gefangenen gewehrt und bewegt haben, desto enger wurden dabei die Knoten zugezogen. Die Olivenbäume sind ein Statement, wie wenig Platz es in unseren Städten gibt, wie sehr wir die Bäume einengen und einschnüren.

STANDARD: Haben Ihre acht Olivenbäume gelitten?

Enea: Ganz und gar nicht! Ich habe den Wurzelbeschnitt und die Schnürung sehr behutsam vorgenommen. Schließlich ist Bondage nicht zuletzt eine in der Sexualität gelebte und kulturell gepflegte Praxis.

STANDARD: Für die Installation haben Sie in der Öffentlichkeit ziemlich viel Kritik einstecken müssen.

Enea: So schlimm war es auch wieder nicht. Diejenigen, die am lautesten geschrien haben, waren ein paar wenige, die das Projekt nicht verstanden haben und sich auch nicht bemüht haben, es zu verstehen. Fakt ist: Wenn wir mit unseren Bäumen in der Stadt so weitermachen wie bisher und wenn wir Menschen an der Macht haben, die es zulassen, dass Regenwälder großflächig niedergebrannt werden, dann wird die nächste Generation keine Möglichkeit mehr haben, 800 Jahre alte Olivenbäume in der Natur zu bewundern.

Wilder "Berserker" von Stella Hamberg.
Foto: Enea Landscape Architecture, Martin Ruetschi

STANDARD: Letztes Jahr haben Sie gemeinsam mit Klaus Littmann eine Installation eröffnet, die ebenfalls auf ziemliche Kontroversen gestoßen ist: "For Forest" in Klagenfurt.

Enea: Kritik ist bei Projekten dieser Größenordnung unvermeidlich. Ich habe mich mit Kärntner Forstleuten zusammengesetzt und mich sehr genau erkundigt, wie ein typischer Kärntner Mischwald aussehen würde, wenn auch hier nicht längst schon die Monokultur vorherrschte. Auf einer Fläche von insgesamt 7.140 Quadratmetern habe ich 299 Bäume installiert.

STANDARD: Wie viele Baumarten braucht es, um von einem Mischwald sprechen zu können?

Enea: Dazu braucht es schon eine gewisse Vielzahl und Heterogenität! In diesem Fall haben wir hier 18 verschiedene Spezies verwendet, vor allem Eschen, Eichen, Ahorne, Buchen, Linden und Haselsträucher. Hinzu kommt diverses Kleingehölz, das zwischen den großen Bäumen für eine gewisse Dichte sorgt.

STANDARD: Einer der Kritikpunkte betraf den weiten Transport der Bäume und somit auch den großen ökologischen Fußabdruck. Sie stammten aus Italien, Belgien und Norddeutschland und wurden nach "For Forest" auch wieder durch ganz Österreich transportiert, um sie zu verpflanzen.

Raumskulptur "Relay" von Kerim Seiler.
Foto: Enea Landscape Architecture, Martin Ruetschi

Enea: Für mich ist der Transport von Bäumen quer durch Europa übrigens nichts Exotisches. Wir transportieren unsere gesamte Wirtschaft von A nach B. Und auch Bäume sind nie dort, wo man sie braucht. Was die CO2-Bilanz betrifft, so kann ich Sie insofern beruhigen, als Bäume in diesem Alter und in dieser Wuchsgröße durchaus gute Kompensationsarbeit leisten. Ein solcher Baum produziert rund drei Millionen Liter Sauerstoff pro Jahr.

STANDARD: Ihre Arbeit ist nicht nur als eine Reihe von Einzelprojekten zu verstehen, sondern auch als Mission. Wie lautet Ihre Botschaft?

Enea: Ich habe keine Mission. Es folge einfach nur meiner Berufung. Ich will meine Arbeit so gut und mit so viel Freude und Elan machen, dass ich es schaffe, meine Überlegungen in Tatsachen umzusetzen. Ich will für die nächste Generation Orte erhalten, die schön sind, die Sauerstoff produzieren und die die Natur und ihre ökologischen Kreisläufe mit Respekt behandeln. Mehr ist es nicht.

STANDARD: Wovon träumen Sie?

Enea: Davon, dass Bäumen endlich der Respekt entgegengebracht wird, der ihnen gebührt. (Wojciech Czaja, RONDO exklusiv, 12.7.2020)