"I can't breathe", "Silence is violence", "Enough is enough" und "Black Lives Matter". Das steht auf den Plakaten, Schildern und Barrikaden, die man zur Zeit in den Straßen und auf den Plätzen New Yorks sieht. Seit dem Tod von George Floyd in der vergangenen Woche finden in der Stadt tägliche Demonstrationen und Protestveranstaltungen gegen Rassismus und Polizeigewalt statt. Am Sonntag und in den darauffolgenden Nächten wurden die bis dahin weitgehend friedlichen Demonstrationen von zahllosen gewalttätigen Ausschreitungen überschattet. Autos brannten, Schaufenster wurden eingeschlagen, Geschäfte in verschiedenen Gegenden der Stadt geplündert. Es kam sowohl in Manhattan als auch in Brooklyn wiederholt zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten, Plünderern und der Polizei.

Am Wochenbeginn wurde eine abendliche stadtweite Ausgangssperre verhängt, um die Lage in den Griff zu bekommen. Es ist dies der erste Curfew in New York City seit 1945. “Nobody has seen anything like this,” sagte ein ehemaliger Police Commissioner über die Situation in der Stadt. Am Montag begann der Curfew um 23 Uhr, für den Rest der Woche bis einschließlich kommenden Sonntag beginnt die Ausgangssperre bereits um 20 Uhr.

Die Ausschreitungen scheinen zum Teil sehr gut organisiert zu sein, wie John Miller, Deputy Commissioner of Intelligence & Counterterrorism der New Yorker Polizei, sagte. Verschlüsselte Messaging-Apps werden vor den Protesten verwendet, um Kautionsgelder zu sammeln und Sanitäter zu rekrutieren. Auch Versorgungswege für den Transport von Benzin, Steinen und Flaschen werden genau geplant. Fahrradboten erkunden, wo sich kleine Gruppen von den Demonstrationen abspalten können, um Schaden außerhalb der Sichtweite der Polizei anzurichten. Jeder siebte bei den Ausschreitungen Festgenommene lebt nicht in New York. In der zweiten Wochenhälfte beruhigte sich die Situation wieder etwas und großteils friedliche Demonstrationen zogen durch die Straßen.

Es folgen Fotos, Videos und Berichte von in New York lebenden Österreichern zur Lage. Zunächst Bilder einer friedlich verlaufenden Demonstration am Times Square.

Demonstranten am Times Square
Foto: Robert Sinnhuber
Polizisten am Times Square
Foto: Robert Sinnhuber
Demonstration am Times Square
Foto: Robert Sinnhuber
Silence is Violence
Foto: Robert Sinnhuber
Enough is Enough
Foto: Robert Sinnhuber

Matthias, Brooklyn

„Die Situation ist angespannt. Wir hören durchgehend Polizei-Sirenen und Helikopter. Auch des Öfteren Schüsse. Es hat sich noch deutlich verschärft durch den jetzt gültigen Curfew um 20 Uhr. Täglich demonstrieren tausende Menschen friedlich. Es kommt bei diesen Demos zu Ausschreitungen, jedoch oft verursacht durch die äußerst gewaltbereite Polizei. Videos belegen dies. Neben den friedlichen Protesten entlädt sich der Schmerz der Bevölkerung jedoch auch gewaltsam. 

Ich gehe täglich auf die Demonstrationen und halte mich aber stets an die Anweisungen und Aufrufe von Bürgerrechtsbewegungen: Nie alleine gehen. Wenn möglich keine elektronischen Geräte mitnehmen. Am Telefon “roaming”, “Bluetooth”, “Wifi” etc abdrehen. Fingerabdruck und Gesichtserkennung abschalten und auf keinen Fall die Polizei auf das Telefon zugreifen lassen. Wenn man verhaftet wird auf keinen Fall DNA-Samples abgeben - nichts trinken oder essen und ohne Anwalt kein Wort sprechen. “Bail out” Telefon Nummern auf den Arm schreiben. Milch gegen Tränengas mitnehmen. Gott sei Dank musste ich keinerlei Übergriffe der Polizei soweit persönlich miterleben. 

Das Schöne an den Protesten ist, dass man Menschen aller Herkünfte friedlich nebeneinander protestieren sieht, die sich für eine echte Gleichberechtigung der Schwarzen und ein Ende der andauernden Polizeimorde an der unschuldigen Bevölkerung (die in fast allen Fällen ohne Strafverfolgung bleiben) einsetzen. Etliche Menschen verteilen Wasser und “Granola Bars”.  Passanten aller Altersstufen jubeln auf den Gehsteigen, andere brechen in Tränen aus beim Anblick der vorbeigehenden Demonstranten. Man sieht in den Gesichtern vieler Afroamerikaner den Schmerz, den Horror und auch die Müdigkeit, ausgelöst durch jahrhundertelangen Rassismus, Terror und Unterdrückung.  Auch meine Frau ist Afro-Amerikanerin. Ich habe Angst um sie, meine Stiefsöhne und meine Tochter - auch dafür demonstrieren wir. Für die Familien, die Kinder. 

Autofahrer hupen und rufen enthusiastisch aus ihren Fahrzeugen heraus. Menschen jubeln aus den Fenstern ihrer Wohnungen. Die Protestierenden fordern in Sprechchören “JUSTICE FOR ….” Es sterben nach wie vor täglich unschuldige Schwarze durch Polizeigewalt und oft können sich die Demonstrierenden nicht auf einen Namen einigen. So verhallt der Ruf oft im Chaos. Die Demonstranten skandieren Black Lives Matter; No Justice, No Peace; Justice Now; Say His Name - George Floyd; Say Her Name - Breonna Taylor; Defund the Police. Unzählige Petitionen sind im Umlauf. E-Mail-Adressen der Regionalpolitiker werden massenhaft angeschrieben mit dem Aufruf nach Gerechtigkeit und einem Ende der Polizeigewalt. ”

Brooklyn
Foto: Matthias

In vielen Gegenden sind die Geschäfte nach den nächtlichen Plünderungen verbarrikadiert. 

Geschäft an der Fifth Avenue.
Foto: Michael
Fifth Avenue
Foto: Robert Sinnhuber
Geschäfte Columbus Avenue, Upper West Side
Foto: Maria
Häuserfassaden Upper West Side Manhattan.
Foto: Samantha
Foto: Robert Sinnhuber

Michael, Manhattan

"Nachdem am Samstagnachmittag die Demonstrationszüge die Fifth Avenue abwärts bis zum Trump Tower, wo laute und dichtgedrängte Kundgebungen stattfanden, noch friedlich und mit zurückhaltender Polizeipräsenz verlaufen waren, fanden sich zahlreiche Auslagenfronten der benachbarten Luxusgeschäfte und Flagship-Stores bereits am Montag vorsorglich mit – zum Teil sogar diskret farblich angepassten – Sperrholzverblendungen oder Bauzäunen geschützt. Diese rege Bautätigkeit setzte sich im Laufe des Dienstags fort, so dass mittlerweile auf der Fifth Avenue zwischen 45th Street und Central Park kaum eine unverkleidete Auslagenscheibe zu sehen ist.

Während der ersten Nacht mit Ausgangsperre herrschte angesichts der Dichte möglicher Zielobjekte (und des Trump Tower) eine gut organisierte Polizeipräsenz; die zeitweise vernehmbaren Sirenensignale von Einsatzfahrzeugen wecken paradoxerweise nostalgische Erinnerungen an die seit zehn Wochen verstummte Geräuschkulisse normaler New Yorker Tage.

Berichte über die nächtlichen Ausschreitungen scheinen die Annahme zu bestätigen, dass es sich bei den besonders in Lower Manhattan aber auch im West Village vorgekommenen Plünderung um wohlorganisierte Beutezüge von zum Teil eigens von auswärts anreisenden, arbeitsteilig vorgehenden Gruppen handelte, die das Raubgut im Auto abtransportierten. Nachdem der Beginn der ersten Ausgangssperre entgegen anzunehmender Erfahrungswerte mit 23 Uhr viel zu spät angesetzt war - die berichteten Plünderungen begannen mit Einbruch der Dunkelheit - ist heute und in den kommenden Tagen bereits ab 20 Uhr Personen- und Autoverkehr untersagt.

Vor einer halben Stunde ist nun eine größere von einem Polizeiaufgebot begleitete Demonstration friedlich die Fifth Avenue aufwärts zum Trump Tower gezogen, wo eine laut vernehmliche Abschlusskundgebung stattfand. Während sich die Teilnehmer zerstreuen und vereinzelt oder in kleinen Gruppen in Richtung Lower Manhattan zurückkehren, trennen uns nur mehr wenige Minuten vom Beginn des Curfew."

Nathan Német

Nathan, Little Italy, Manhattan

"Ich bin gerade nach Little Italy gezogen und hier sind die meisten Restaurants geschlossen und verbarrikadiert. Die Guardian Angels, privat organisierte Safety Patrols, sind am Montagabend die Straßen rauf und runter gewandert. Gestern ist die Polizei mit 'scare tactic' in meiner Straße gegen die Fahrtrichtung gefahren und hat über Lautsprecher Durchsagen mitgeteilt. Währenddessen sind die Helikopter sehr niedrig über unsere Gegend geflogen. 

Die ganze Situation ist gruselig und so sehr ich wünschte, dass es keinen Schaden geben würde, verstehe ich, woher diese Wut und Frustration kommt. Alle Demonstrationen die ich gesehen habe, waren friedlich, emotional und nichts wurde zerstört. Viele Freunde von mir, die in Brooklyn demonstriert haben, haben berichtet, dass die NYPD sehr aggressiv waren und mit den Fahrzeugen versucht haben, Gruppen in verschiedene Richtungen zu drängen."

Nathan Német

Die Zahl der Corona-Infektionen in der Stadt hat sich in den letzten Wochen langsam stabilisiert und ab 8. Juni soll damit begonnen werden, das Shutdown zu lockern. Beamte des öffentlichen Gesundheitswesens befürchten nun aber den Ausbruch einer durch die demonstrierenden Menschenmassen verursachten zweiten Viruswelle. Die Behörden fordern die Demonstranten auf, sich auf den Virus testen zu lassen. (Stella Schuhmacher, 5.6.2020)

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