Die Koalitionspartner Olaf Scholz (SPD) und Angela Merkel (CDU) haben sich geeinigt.

Foto: Michael Kappeler / POOL / AFP

Berlin – Senkung der Mehrwertsteuer, Hilfe für Kommunen, Zuschüsse für Familien und höhere Kaufprämien für Elektroautos: Die schwarz-rote Koalition in Deutschland hat sich nach tagelangem zähem Ringen am späten Mittwochabend auf ein riesiges Konjunkturpaket für 2020 und 2021 im Umfang von 130 Milliarden Euro geeinigt.

120 Milliarden entfallen dabei auf den Bund, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Damit sollen Wirtschaft und Konsum der Bürger wieder angekurbelt und eine schwere Rezession abgewendet werden. Nach den kurzfristigen Hilfen in der Corona-Krise reichen diese Konjunkturhilfen nun zum Teil weit über die derzeitige Legislaturperiode hinaus.

Kritik von Opposition, Lob aus Österreich

Deutsche Oppositionspolitiker kritisierten das Programm als "unfassbar teuer" und "unausgegoren". CSU-Chef Markus Söder verteidigte das Paket. SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner lobte das "schnelle und entschlossene" Handeln Berlins und ortete ein "Versagen der ÖVP-Grünen-Regierung".

"Die deutsche Regierung hat erkannt, dass es jetzt rasch hohe Investitionen in die Wirtschaft braucht, um Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen", so Rendi-Wagner. "Deutschland handelt mit dem Investitionspaket schnell und entschlossen. Österreichs Regierung ist wie schon bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und den Corona-Hilfen auch bei der Bekämpfung der Krisenfolgen säumig."

"Herzstück" Mehrwertsteuersenkung

Zur Deckung der Ausgaben muss Deutschland neue Schulden aufnehmen. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) sprach von einem Nachtragshaushalt, ohne den Umfang zu nennen. Das führt laut Söder nicht zu einer Überschuldung des Landes und auch nicht dazu, dass Deutschland handlungsunfähig oder die nächste Generation überlastet wird. Das Paket habe auch etwas mit Psychologie zu tun, mit Optimismus.

Ein "Herzstück" des Pakets ist laut Söder eine Senkung der Mehrwertsteuer. Eine Kaufprämie für abgasarme Benzin- und Dieselautos kommt nicht, dafür deutlich höhere Prämien für Elektroautos. Bei den Stromkosten sollen die Bürger entlastet werden. Dafür soll die EEG-Umlage zur Förderung von Ökostromanlagen ab 2021 über Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt gesenkt werden. Ein Bonus von einmalig 300 Euro pro Kind soll mit dem Kindergeld ausgezahlt werden. Offen ist aber, ob die Wirtschaft die niedrigere Mehrwertsteuer – 16 statt 19 Prozent und fünf statt sieben Prozent beim ermäßigten Satz – auch an die Konsumenten weiterreicht.

Handel dagegen, Autobranche dafür

Die Konjunkturhilfen werden in der Autobranche überwiegend positiv aufgenommen. Auch wenn es die von Herstellern und ihren Lieferanten erhoffte Neuauflage der Verschrottungsprämie nicht geben wird, überwogen am Donnerstag doch positive Reaktionen. Die Senkung der Mehrwertsteuer könne die Autonachfrage ankurbeln, sagten Branchenvertreter.

Gemischt fiel das Echo auf die Ankündigung aus, den staatlichen Anteil an der Förderung beim Kauf von Elektroautos auf 6.000 Euro zu verdoppeln. Hier werde sich der Effekt in Grenzen halten, vermuten einige Experten. Anleger senkten den Daumen: Aktien von Daimler, VW und BMW büßten teils kräftig ein, weil nicht auch Verbrenner gefördert werden.

Der Einzelhandelsverband HDE lehnt eine Selbstverpflichtung der Branche zur Weitergabe der Mehrwertsteuersenkung an die Kunden ab. "Eine Selbstverpflichtung ist widersinnig", sagte HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth der Nachrichtenagentur Reuters. Es gebe einen starken Wettbewerb im Handel und eine hohe Preissensibilität unter den Verbrauchern. "Das funktioniert." Deshalb gehe er davon aus, dass die Preise im Einzelhandel durch die Steuersenkung fallen werden.

Hilfe für die Bahn

Auch die Deutsche Bahn soll vom Bund Hilfe bekommen. Demnach sollen zur Aufstockung des Eigenkapitals weitere fünf Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden. Geplant sind außerdem 2,5 Milliarden für den öffentlichen Personennahverkehr. Branchen, die von der Krise besonders belastet sind, sollen eine zusätzliche Unterstützung in Milliardenhöhe bekommen. Geplant sind "Überbrückungshilfen" im Umfang von maximal 25 Milliarden Euro.

Schließlich will die schwarz-rote Koalition den Wäldern und der Holzwirtschaft helfen, mit 700 Millionen Euro zusätzlich. Das Geld soll für die Aufforstung, den Erhalt und die nachhaltige Bewirtschaftung von Wäldern bereitgestellt werden. Nach zwei Dürrejahren habe auch 2020 trocken begonnen, die Holzpreise seien stark gesunken.

Ökonomen loben das Paket

Die Konjunkturhilfen kommen bei Ökonomen gut weg. "Ich denke, dass mehr kaum geht", sagte der Deutschland-Chefvolkswirt der Bank ING, Carsten Brzeski. "Das setzt alles an den richtigen Stellen an: Nachfrage und zukunftsorientierte Investitionen stärken und weiterhin versuchen, den kurzfristigen Schaden abzufedern."

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer hält das Paket "für besser als gedacht". So führe die überraschend beschlossene befristete Senkung der Mehrwertsteuer zum Vorziehen von Konsum und helfe allen und nicht nur einzelnen Branchen. Hilfreich sei auch die Begrenzung der Sozialversicherungsbeiträge. (APA, red, 4.6.2020)