Tirols stellvertretender VP-Landeshauptmann und Landesrat Josef Geisler entschuldigte sich am Donnerstag für seine Entgleisung.

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Innsbruck – Leugnen war zwecklos. Die Entgleisung des Tiroler VP-Landesrats und Landeshauptmann-Stellvertreters Josef Geisler gegenüber einer WWF-Aktivistin wurde in einem Video festgehalten. Als Umweltschützer am Mittwoch vor dem Innsbrucker Landhaus 22.800 Proteststimmen gegen das im Ötztal in Bau befindliche Wasserkraftwerk Tumpen-Habichen übergaben, beschimpfte Geisler eine junge Frau als "widerwärtiges Luder". Offenbar echauffierte er sich darüber, dass ihn die Aktivistin nicht habe ausreden lassen. In dem Video ist allerdings zu sehen, dass vielmehr er ihr mehrmals ins Wort fallen wollte.

Das Video der Szene vom Mittwoch.

Der WWF forderte von Geisler daraufhin eine "rasche öffentliche Entschuldigung für den frauenfeindlichen Sager". Die Geschäftsführerin der Umweltorganisation, Andrea Johanides, sagte: "Derartige Beschimpfungen haben in der Politik nichts verloren. Wenn Josef Geisler seinen Fehler nicht einsieht, ist er rücktrittsreif. So darf ein Amtsträger nicht mit Menschen umgehen, die völlig zu Recht auf die Folgen der Wasserkraftverbauung für die Flüsse hinweisen."

Geisler entschuldigt sich "in aller Form"

Die geforderte Entschuldigung folgte am Donnerstag. Auf Anfrage des STANDARD hieß es aus Geislers Büro kurz und knapp: "Ich entschuldige mich in aller Form für diese völlig unangebrachte Aussage." Auch die grüne Landeshauptmann-Stellvetreterin Ingrid Felipe, die bei der Übergabe ebenfalls anwesend war und direkt neben Geisler stand, als er die Umweltschützerin beschimpfte, meldete sich auf am Donnerstag zu dem Vorfall zu Wort: "Ich ärgere mich sehr, dass ich die Aussage in dem Moment nicht gehört und damit nicht wahrgenommen habe. Ich war im intensiven Austausch mit der Aktivistin."

Seitens des WWF zeigte man sich mit Geislers Entschuldigung nicht zufrieden, wie Volker Hollenstein mitteilte: "Wir fordern eine ehrliche und glaubwürdige Entschuldigung, die weder beschönigt noch im Nachhinein die Tatsachen verdreht. Denn abgesehen davon, dass seine Wortwahl indiskutabel bleibt, ist Josef Geisler selbst unserer Kollegin mehrfach ins Wort gefallen – nicht umgekehrt. Genau das belegt auch das Video."

Auch die Frauensprecherin der Tiroler Grünen, Stephanie Jicha, kritisierte Koalitionspartner Geisler für seine "frauenfeindliche und sexistische Aussage" scharf: "Er hat sich zwar öffentlich entschuldigt – dabei aber Tatsachen verdreht. Nicht die Aktivistin hat ihn unterbrochen, sondern er die Aktivistin. Es muss endlich aufhören, dass Frauen von der Offensive in die Defensive gedrängt werden."

Widerstand im Ötztal

Das Thema Wasserkraft sorgt in Tirol regelmäßig für heftige Kontroversen. Aktuell steht das Kraftwerk Tumpen-Habichen im Zentrum der Kritik. Dort starteten nämlich Mitte März während der Corona-Krise, als strenge Ausgangsbeschränkungen galten, die Bauarbeiten. Betroffen ist die Ötztaler Ache, die gemäß WWF zu den "schutzwürdigsten Flüssen Österreichs" zählt. Selbst das Land Tirol stuft sie als "einzigartig" ein. Unter Wildwassersportlern gilt sie als ein Juwel, weil noch weitgehend unverbaut.

Für Empörung sorgte der plötzliche Baustart auch deshalb, weil noch Einsprüche gegen das Kraftswerksvorhaben offen sind. Der WWF hatte im Vorfeld gegen die naturschutzrechtliche Bewilligung eine Beschwerde beim Landesverwaltungsgericht eingelegt. Eine weitere Beschwerde gegen die wasserrechtliche Bewilligung ist beim Verwaltungsgerichtshof anhängig.

Die Betreibergesellschaft, die Ötztaler Wasserkraft GmbH, deren Wortführer der Umhausener Bürgermeister und VP-Landtagsklubobmann Jakob Wolf ist, begründet ihr Vorgehen damit, dass die aufrechten Baugenehmigungen nur bis 11. Juni gelten und verfallen würden, wenn man nicht vorher zu bauen beginne. Die Planungen für das Projekt starteten bereits 2008, der Baubescheid erfolgte 2015.

VP holte sich Wasserkraft-Agenden von den Grünen

Wie wichtig der Tiroler Volkspartei das Thema Wasserkraft ist, zeigte sich auch im Zuge der Koalitionsverhandlungen 2018. Die damals geschwächt aus der Landtagswahl hervorgegangenen Grünen mussten für eine Neuauflage der Regierungskoalition Abstriche hinnehmen. So wurden Naturschutzlandesrätin Felipe die Agenden Wasserkraft und Beschneiungsanlagen entzogen. Sie wanderten zu Geisler.

Neben dem Projekt im Ötztal wird derzeit auch im Kühtai gebaut. Dort wird ein ganzes Bergtal für einen Speichersee geopfert. Für eine 113 Meter hohe Staumauer werden rund 70 Hektar Boden umgegraben. Der WWF kritisiert, dass für dieses Bauvorhaben vom Land eigens das Naturschutzgesetz geändert wurde. Denn eigentlich sind derartige Bauarbeiten in einem solchen Schutzgebiet nicht erlaubt. Nun werde für den Speichersee ein Großteil der letzten intakten Wildbäche des Ruhegebiets Stubaier Alpen abgeleitet und verbaut.

Kritik auch in Osttirol

Auch in Osttirol versucht der WWF aktuell mehrere Kraftwerksvorhaben zu verhindern. Dort ist die Isel, einer der letzten unverbauten Gletscherflüsse, der als Natura-2000-Gebiet ausgewiesen ist, in Gefahr. Denn im Einzugsgebiet würden im Moment mehrere Wasserkraftprojekte forciert, so der WWF. Zuletzt wurde im Verfahren zum Kraftwerk Schwarzach die Kumulationsprüfung unterlassen.

Da es kein zentrales Verzeichnis zu den in Planung befindlichen Kraftwerksprojekten in Tirol gibt, schätzt die Umweltschutzorganisation die Zahl der projektierten Vorhaben diverser Betreiber im Moment auf rund 50. Ein zentraler Kritikpunkt des WWF beim Wasserkraftausbau betrifft ebendiese fehlende Übersicht und Gesamtstrategie. So würde etwa ein zentrales Register aller Projekte auch dabei helfen, die kumulierten Auswirkungen besser abschätzen zu können. "Unseren Informationen zufolge gibt es in Tirol rund 1.000 Wasserkraftwerke, und rund 600 Flusskilometer sind davon bereits beeinträchtigt", erklärt ein Sprecher der Organisation. (Steffen Arora, 4.6.2020)