Das Heeresgeschichtliche Museum wurde 1869 als K. u. k. Waffenmuseum eröffnet. Seine inhaltliche Ausgestaltung steht seit Jahren in der Kritik.

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Wolfgang Muchitsch leitet die Expertenkommission, die das HGM inhaltlich prüfen soll. Er ist Präsident des Österreichischen Museumsbunds sowie Leiter des Universalmuseums Joanneum in Graz.

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Nachdem das Heeresgeschichtliche Museum im vergangenen Jahr unter anderem wegen seines veralteten und missverständlichen Ausstellungskonzepts massiv in die Kritik geraten ist, wurde eine Expertenkommission damit beauftragt, das Haus inhaltlich zu prüfen. Vorsitzender des Gremiums ist Wolfgang Muchitsch, Chef des Österreichischen Museumsbunds und des Grazer Joanneum-Verbands. Weitere Mitglieder sind Gerhard Baumgartner (Leiter des DÖW) sowie die Historiker Harald Heppner (Uni Graz), Wolfgang Meighörner (Innsbruck, früherer Direktor Tiroler Landesmuseen) und Verena Moritz (Uni Wien).

Im ersten Schritt sollten die Experten die Saalgruppe "Republik und Diktatur" zur Zeit zwischen 1918 und 1945 evaluieren, in einem zweiten Schritt dann alle übrigen Schausäle des Hauses. Für diese Phase zwei, in der auch eine Überarbeitung der Außenstellen des Museums (inklusive Konzept für die museale Nutzung des Äußeres Burgtors) erfolgen sollte, würde die Kommission personell erweitert werden. Konkret um Andrea Brait von der Uni Innsbruck, Gorch Piecken (Leiter Humboldt-Labor / Humboldt Forum Berlin und davor Leiter des Militärhistorischen Museums Dresden), Christian Rapp (Leiter Haus der Geschichte NÖ) und Ansgar Reiß (Direktor Bayerisches Armeemuseum, Ingolstadt).

Der erste Teil der Evaluierung ist abgeschlossen und wurde dem fürs Museum zuständigen Verteidigungsministerium vor zwei Monaten vorgelegt. Ob Phase zwei nach dem Ministerwechsel von Thomas Starlinger zu Klaudia Tanner (ÖVP) nun noch eingeleitet wird, darüber herrscht Unsicherheit, wie Wolfgang Muchitsch bedauert.

STANDARD: Der erste Teil Ihrer inhaltlichen Evaluierung des Heeresgeschichtlichen Museums liegt nun vor. Er wurde nicht öffentlich gemacht, sondern vom Verteidigungsministerium in Teilen via APA kundgetan. Können Sie den Inhalt kurz skizzieren?

Muchitsch: Die wichtigsten Passagen finden sich tatsächlich im APA-Bericht, wenn auch einzelne Beispiele daraus noch interessant gewesen wären. Grundsätzlich haben wir darauf hingewiesen, dass die Ausstellung über 20 Jahre alt ist. Das Konzept ist ein schlüssiges, wenn man es kennt, aber einer Indivualbesucherin erschließt es sich nicht. Es ist zu überarbeiten. Es sind sehr viele Objekte, die ohne Kontextualisierung präsentiert werden. Dem oder der Indivualbesucherin wird es schwergemacht, die Geschichten dahinter zu erkennen.

STANDARD: Der Expertenbericht wurde zwei Monate unter Verschluss gehalten. Nennt man das nicht Message-Control à la Verteidigungsministerium?

Muchitsch: Für uns ist es ein Teilbericht einer Gesamtevaluierung des Hauses. Ursprünglich sollten wir nur die Saalgruppe 1918–1945 untersuchen, dann wurde der Auftrag auf das gesamte Haus plus Außenstellen erweitert. Der formale Auftrag für die zweite Phase ist allerdings noch nicht erfolgt, obwohl wir schon Gewehr bei Fuß gestanden wären, um diesen martialischen Ausdruck zu verwenden. Fristgerecht mit Ende März haben wir den ersten Zwischenbericht vorgelegt. Ich war selbst überrascht, dass der Bericht dann in Teilen über die APA bekanntgemacht wurde. Viele FachkollegInnen haben mich gefragt, ob man den Bericht jetzt haben könnte, und ich kann aufgrund der Verschwiegenheit leider nur ans Bundesministerium verweisen.

STANDARD: Sie plädieren also für Transparenz?

Muchitsch: Ja, weil es mehr Anlass für Spekulation gibt, wenn man etwas zurückhält, als wenn man es veröffentlicht.

STANDARD: Die Evaluierung wurde ja auf das gesamte HGM ausgeweitet. Der formale Auftrag ist aber noch gar nicht erfolgt?

Muchitsch: Ja. Es gibt zwar eine Rahmenvereinbarung mit dem Verteidigungsministerium, die Phase II braucht aber eine nochmalige Beauftragung. Das liegt, so höre ich, im Büro der Ministerin. Ob das passiert, weiß ich nicht. Es sind Unsicherheiten entstanden, ob das noch passieren soll.

STANDARD: Der Auftrag zur Evaluierung kam von Übergangsminister Starlinger, jetzt liegen die Agenden bei Klaudia Tanner. Orten Sie neuen Widerstand gegen die Evaluierung?

Muchitsch: Die Frage ist, ob eine Evaluierung weiter gewünscht wird oder nicht. Wir drängen uns ja nicht auf, sondern wir wurden ursprünglich gebeten, das zu tun. Für die zweite Phase hätten wir Expertinnen und Experten aus Deutschland dazugeholt, wir haben uns auch schon via Videokonferenzen verständigt und einen Zeitplan festgelegt. Bis Jahresende wollten wir fertig sein. Wenn jetzt am politischen Willen zu zweifeln ist, steht alles in den Sternen. Eine zweitägige Klausur dazu haben wir schon abgesagt.

STANDARD: Hat Klaudia Tanner je Kontakt mit Ihnen aufgenommen?

Muchitsch: Nein. Mein einziger Kontakt ist zu den Sachbearbeitern in der betreffenden Sektion und zum Heeressprecher Oberst Bauer.

STANDARD: Fürchten Sie, dass man die Sache abblasen will?

Muchitsch: Das wäre aktuell Interpretationssache. Natürlich hat die Corona-Krise einiges verlangsamt, aber wir würden uns freuen, wenn wir die Arbeit fortführen könnten.

STANDARD: Der Museumsbund, dem Sie vorsitzen, hat dem HGM noch vor wenigen Jahren ein Museumsgütesiegel verliehen. Wie passt das zum aktuellen Bericht?

Muchitsch: Es gibt in Österreich keine gesetzliche Determinierung für das Museum, jeder kann sich per se Museum nennen. Daher wollen der Museumsbund und ICOM Österreich die Spreu vom Weizen trennen. Es gibt eine Museumsregistrierung für jene, die gewisse Mindestanforderungen erfüllen. Als nächste Stufe darüber gibt es eine Jury, die das Gütesiegel vergibt. Da müssen viel mehr Kriterien erfüllt werden, die aber primär nicht so sehr die Inhalte, sondern die Strukturen betreffen. Und die wurden beim HGM erfüllt.

STANDARD: Sie und andere Kritiker nennen meistens das militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden als Vorbild. Was wird denn dort besser gemacht?

Muchitsch: In Dresden hat man versucht, zwei Narrative zu legen: die Entwicklung des Militärwesens vom Mittelalter bis zur Deutschen Bundeswehr. Und das hat man mit einer sehr einprägsamen Architektur von Daniel Libeskind gebrochen, wo man grundsätzliche moralische, ethische Fragen stellt. Man geht stärker der Frage nach: Was ist die Ursache von Gewalt und Konflikten, wie gehen Menschen damit um? Was sind die Auswirkungen auf die Beteiligten? Und wie ordnet sich das in eine politische Geschichte ein? Ein gutes Beispiel ist auch das Imperial War Museum North in Manchester, übrigens auch ein Bau von Libeskind. Dort geht es stärker um die philosophischen, moralischen, grundsätzlichen Fragen hinter Krieg und nicht um waffentechnische Details.

STANDARD: Das heißt, der reinen Militärgeschichte muss Gesellschaftsgeschichte beigestellt werden.

Muchitsch: Ja. Grundsätzlich unterstreicht die Kommission aber die Notwendigkeit eines militärhistorischen Museums. Das HGM hat Bestände von international großer Bedeutung. Gerade die österreichische Militärgeschichte hat für Europa große Bedeutung.

STANDARD: Problematisch ist bei allen Militärmuseen auch international der Aspekt der Heroisierung. Dem HGM ist er architektonisch eingeschrieben. Wie geht man damit um?

Muchitsch: Es ist eine Ruhmeshalle der k. u. k. Armee. Und die müsste nun von der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts befragt werden. Manche Museen durchstoßen die klassische Architektur mit modernen Elementen. Man kann die Ruhmeshallen nicht nur konservieren, sondern muss sie stark kontextualisieren.

STANDARD: Direktor Ortner will sich um die Verlängerung seiner Amtszeit bewerben. Wäre nicht auch eine personelle Neuaufstellung geboten?

Muchitsch: Man muss schon feststellen, in welchem System Kollege Ortner eingebettet ist. Ich habe beispielsweise gehört, dass es im HGM ungeschriebenes Gesetz war, dass ein Saal nicht geändert wird, solange dessen Kurator oder Verfasser lebt. Also das kann es ja nicht sein. Das ist nicht zeitgemäß. Dann stellt sich die Frage nach den Ressourcen, die Bereitschaft, zu investieren, seitens des Ministeriums. Ich glaube, man sollte Ortner die Chance einräumen, sich zu bewerben. Aber nachdem es keine ausgegliederte Organisation, sondern eine Dienststelle des BMLV ist, wird die Leitung intern bestellt und nicht öffentlich ausgeschrieben.

STANDARD: Sie bezeichnen es als System. Wie viel Einfluss haben Politik, Lobbys und das Bundesheer beim HGM?

Muchitsch: Überspitzt gesagt, wirkt das HGM wie ein Firmenmuseum des Bundesheers. Die Frage ist immer, wie viel Offenheit und Kritik kann eine Firma sich selbst gegenüber üben? Zumal Armeen sehr hierarchisch strukturierte Systeme sind. In Dresden zum Beispiel ist der Kollege Gorch Piecken, den wir in die Evaluierungsgruppe mit aufnehmen wollen, letztlich als Ausstellungsmacher gescheitert, als er ein großes Projekt zu Gewalt und Gender gemacht hat. Das ging anscheinend auch der deutschen Bundeswehr einen Schritt zu weit. Die Frage ist: Will man ein Firmenmuseum oder will man ein allgemein offenes Museum, das sich auch kritischen, sozialhistorischen Aspekten stellt?

STANDARD: Direktor Ortner hat sich offiziell offen gezeigt für Kritik. Er selbst führt die Versäumnisse und Missstände aber meist auf den Mangel an Ressourcen zurück. Liegt es wirklich nur am Geld?

Muchitsch: Es ist sicherlich der Hauptgrund. Der zweite ist die Unantastbarkeit früherer Konzepte, die Unfreiheit in der Ausstellungsgestaltung. Die Frage ist: Hätte man nicht schon früher beim Rauchensteiner-Konzept intervenieren können? Es ist, wenn man es liest, durchaus schlüssig. Aber es ist so umgesetzt, dass es sich dem Besucher kaum erschließt. In der jetzigen Anordnung kann sich jeder Besucher seiner Geisteshaltung entsprechend die Geschichte selbst zusammenreimen.

STANDARD: Jetzt war "Republik und Diktatur" lange Zeit die einzige Dauerausstellung zur Zeitgeschichte. In Wien und St. Pölten gibt’s nun Häuser, die das viel umfassender und zeitgemäßer darstellen. Wie sollen diese Häuser mit dem HGM verzahnt werden?

Muchitsch: Ein Bonmot, das ich kürzlich in Wien gehört habe: Das Einzige, das bisher das HGM und das HdGÖ verbindet, ist die Straßenbahnlinie D. Ein Problem ist, dass das HGM nie darauf ausgerichtet war, die politische Geschichte zwischen 1918 und 1945 zu sammeln. Das war ja nicht Schwerpunkt. Dennoch wollte man die Zeit ausstellen, also hat man kurzfristig eine Sammlung und Ausstellung aufgebaut, durch Ankäufe, Dauerleihgaben, Schenkungen, einen größeren Dollfuß-Nachlass, weswegen wir heute überproportional viele Objekte zu Dollfuß sehen. Andere Kapitel wie Holocaust und Konzentrationslager sind dann vergleichsweise verschwindend kleine Themen in der Schau. Man zeigt sehr stark nur eine Seite. Opfer, Widerstand und Gegner des Krieges sind marginal präsent.

STANDARD: Wie könnte man die Häuser besser verzahnen?

Muchitsch: Die eine Möglichkeit wäre eine freiwillige Zusammenarbeit auf unterer, kollegialer Ebene. Die andere wäre eine übergeordnete gemeinsame Struktur, von oben durchgesetzt. Weder HGM noch HdGÖ sind zum Beispiel in der Bundesmuseenkonferenz vertreten. Das wäre zumindest ein erster Schritt, den man anstreben könnte. Man müsste auch die KZ-Gedenkstätte Mauthausen einbeziehen, die liegt wiederum beim Innenministerium.

STANDARD: Wie stark hemmt nach wie vor das Politische?

Muchitsch: Museum ist immer politisch. Und gerade Museen, die sich mit der jüngsten Geschichte auseinandersetzen, sind ein sehr politisches Terrain. Beim HGM verspüre ich nicht den Wunsch, dass man das Ressort wechseln möchte. Man glaubt, dass man finanziell unter die Räder kommen würde, wenn man mit den großen Kunstmuseen konkurrieren müsste. Und da ist ja auch etwas dran.

STANDARD: Neben dem politischen Willen braucht es finanzielle Mittel für eine Neuaufstellung. Wie viel schätzen Sie allein für "Republik und Diktatur"?

Muchitsch: Das ist schwer zu schätzen. Allein für diese Saalgruppe 1918–1945 wären aber sicher drei Millionen Euro notwendig, um sie von Grund auf zu erneuern.

STANDARD: Direktor Ortner stellt von seiner Seite aus das Haus der Geschichte in der Neuen Burg sehr infrage. Jetzt hat aber ein von der ÖVP beauftragtes Expertengremium erst im Dezember einen Neubau des HdGÖ empfohlen, vornehmlich am Heldenplatz. Wie stehen Sie dazu?

Muchitsch: Ich bewundere und bemitleide das Team um Direktorin Monika Sommer im Haus der Geschichte. Denn erstens machen die einen tollen Job, andererseits fehlt das politische Bekenntnis zu dem Haus. Es braucht eine mittel- und eine langfristige Lösung. Langfristig könnte es ein Neubau sein, kurzfristig eine Ausweitung in der Neuen Burg. Es braucht in absehbarer Zeit eine Lösung und kein österreichisches Provisorium. Natürlich hat die Corona-Krise das jetzt alles erschwert.

STANDARD: In der Corona-Krise fehlen vielen Museen touristische Besucher. Wäre das nicht die ideale Gelegenheit, eine österreichweite Museumskarte für Einheimische einzuführen, wie sie der Museumsbund seit langem fordert?

Muchitsch: Ja, auch das haben wir bereits den Staatssekretärinnen vorgelegt. Jetzt wäre natürlich die ideale Gelegenheit, das zu entrieren. Auch weil man sieht, dass die Bundesmuseen-Card, die unter Blümel eingeführt wurde, zu 90 Prozent von heimischem Publikum gekauft wurde. Die Nachfrage war also nicht bei den Touristen gegeben. Und es gibt internationale Beispiele – aus den Niederlanden oder Finnland –, dass eine solche Karte noch für kein Museum ein Verlustgeschäft war, sondern im Gegenteil alle davon profitieren. Ich würde dringend für diese größere Lösung plädieren. (Stefan Weiss, 5.6.2020)