Ehemalige Covid-19-Patienten zeigen teilweise bizarre Symptome, etwa zwanghaftes Seufzen oder der Drang, durch Nase und Mund gleichzeitig atmen zu müssen.
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Noch ist das Krankheitsbild von Covid-19 nicht mit all seinen Aspekten bekannt und verstanden. Klar ist: Sars-CoV-2 ist anders als die Coronaviren, die vor Jahren die Sars- und Mers-Epidemien ausgelöst haben. "Es ist viel infektiöser und betrifft bis dato bereits mehrere Millionen Menschen statt ein paar tausend wie bei Sars und Mers, aber es ist nicht ganz so tödlich wie jene", sagt Bernd Lamprecht, Vorstand der Klinik für Lungenheilkunde des Kepler-Universitätsklinikums in Linz.

Sars-CoV-2 kann möglicherweise Langzeitspuren an Körper und Seele hinterlassen. In etwa 80 Prozent der Fälle beschränkt sich die Infektion auf die oberen Atemwege. Aber es gibt auch Patienten, bei denen es dem Immunsystem nicht gelingt, das Virus aufzuhalten, und es sich bis in die Lunge vorarbeitet und dort Entzündungen auslöst. "Sie führen zu einer Verdickung der dünnen Wand zwischen Lungenbläschen und Gefäßversorgung der Lunge. Der Gasaustausch wird dadurch beeinträchtigt, und die Sauerstoffsättigung des Blutes verringert sich deshalb zunehmend", beschreibt Lamprecht.

Mediziner sprechen von einer Erkrankung des Binde- und Stützgewebes, das die Lungenbläschen, die haarfeinen Lungenblutgefäße und auch die kleinen Bronchien umgibt. "Es wird entzündungsbedingt vermehrt Bindegewebe gebildet, was einer beginnenden Lungenfibrose entspricht. Das Lungengewebe verändert sich zunehmend, es vernarbt." Typische Symptome sind meist trockener Reizhusten und Luftnot, zunächst nur bei körperlichen Anstrengungen wie Treppensteigen und Sport. Bei einem Teil der schwer erkrankten Patienten ist die Lunge sogar so stark betroffen, dass eine invasive Beatmung nötig ist.

Strukturierte Nachsorge

Aber werden die Patienten wieder ganz gesund? Oder treten Spätfolgen auf? Um das herauszufinden, haben Judith Löffler-Ragg, Ivan Tancewski, Thomas Sonnweber und Gerlig Widmann an der pneumologischen Ambulanz der Universitätsklinik Innsbruck fächerübergreifend frühzeitig damit begonnen, eine strukturierte Nachsorge aufzubauen.

Die dort behandelten Patientengruppe umfasst primär Patienten mit schwerem Verlauf der Erkrankung, die stationär mit oder ohne invasive Beatmung behandelt wurden. Zusätzlich sind aber auch einige Patienten dazugekommen, die in Heimquarantäne waren und danach trotz eines eher milden Covid-19-Verlaufs anhaltende oder erstmalig auftretende, teilweise recht bizarre Symptome zeigten: Hustenanfälle oder Kurzatmigkeit, zum Teil begleitet von anhaltenden neurologisch bedingten Beschwerden wie etwa, dass Schokolade für sie über mehrere Wochen bitter geschmeckt hat, zwanghaftes Seufzen oder gleichzeitig "durch Mund und Nase atmen" zu müssen, wie einige Patienten ihren Zustand schilderten.

Bei der jetzt vorliegenden ersten Zwischenanalyse von 80 Patientinnen und Patienten sechs Wochen nach Entlassung aus der Innsbrucker Klinik klagte mehr als die Hälfte noch über Symptome wie Kurzatmigkeit, Husten und – etwas seltener- Schlaf- und Geruchsstörungen. "Einige Patienten berichten auch über psychologische Beschwerden bis hin zu Panikattacken", erzählt Löffler-Ragg.

Bei den stationär behandelten Patienten waren die Veränderungen der Lunge in der computertomografischen Untersuchung zwar deutlich rückläufig, aber bis zu 25 Prozent der Patienten zeigten noch Auffälligkeiten in der Lungenfunktion. "Prinzipiell ist die Regenerationsfähigkeit der Lunge gut. Bis eine moderate Lungenentzündung ausgeheilt ist, dauert es etwa vier bis sechs Wochen, demnach sollte sie zum Zeitpunkt der Zwischenanalyse ausgeheilt gewesen sein." Allerdings: "Ältere Menschen mit Begleiterkrankungen oder mit bakteriellen Folgeerkrankungen brauchen länger, bis ihre Lungenfunktion wieder einigermaßen hergestellt ist", sagt die Innsbrucker Medizinerin.

Die Lunge eines 43-jährigen Patienten während und einige Wochen nach der Covid-19-Erkrankung.
Foto: Oberarzt Dr. Gerlid Widmann, Universitätsklinik für Radiologie, Universitätskliniken Innsbruck

Der invasive Einsatz eines Beatmungsgeräts kann Covid-19-Patienten das Leben retten. Aber er kann der Lunge langfristig möglicherweise auch schaden. "Je schwerer laut CT-Bild die Lunge bei Covid-19 betroffen ist, desto invasiver und länger müssen wir meistens beatmen", sagt Michael Joannidis, Leiter der Internistischen Intensiv- und Notfallmedizin der Universitätsklinik für Innere Medizin Innsbruck. "Um den Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxid zwischen Lungenbläschen und den Lungengefäßen sicherzustellen, müssen wir den Sauerstoffanteil in der Luft und den Beatmungsdruck erhöhen, damit ausreichend Sauerstoff im Blut ankommt", so Joannidis.

Insgesamt kann man aber sagen, dass die meisten Intensivpatienten die Beatmungsphase bislang vergleichsweise gut überstanden haben. "Inwieweit es zu Vernarbungen in der Lunge kommt, also zu einer Lungenfibrose, die die Dehnbarkeit der Lunge und den Gasaustausch einschränkt, können wir derzeit noch nicht abschließend beurteilen", sagt Löffler-Ragg.

Fehlende Medikamente

Von Obduktionsbefunden von an Covid-19 Verstorbenen sind fibrotische Reaktionen in der Lunge aber bekannt. "Die Fibrose selbst heilt nicht mehr aus. Und wir haben derzeit auch keine für diese Indikation untersuchten antifibrotischen Medikamente, mit der wir sie stoppen könnten", warnt Christian Schulze, Direktor der Klinik für Innere Medizin in Jena. Deshalb ist eine anschließende umfassende Rehabilitation extrem wichtig und kann die Lungenfunktion wieder langfristig verbessern.

Und was ist mit den vielen Menschen, die milde Covid-19-Verläufe zu Hause auskuriert heben? "Es ist unwahrscheinlich, dass diese Betroffenen relevante Lungenschäden haben bzw. hatten. Ansonsten hätten sie während der akuten Phase Symptome wie deutliche Kurzatmigkeit gehabt, die sie ins Krankenhaus geführt hätten", beruhigt der Linzer Lungenexperte Lamprecht.

Wissen "in progress"

Das Wissen über die Langzeitfolgen ist ein Lernprozess. "Nebst dem Fokus Lunge kommen nach und nach andere Aspekte dazu, die Nervensystem, Herz, Nieren und möglicherweise auch die Haut betreffen", sagt Löffler-Ragg. Sars-CoV-2 stellt ein Risiko für den ganzen Körper dar. "Das ist nicht überraschend. Covid-19 ist die Folge einer generalisierten Infektion im ganzen Körper", sagt Schulze.

Etwaige, noch nicht erkannte Spätfolgen an Lunge, Herz, Niere oder Gehirn, die sich möglicherweise erst in ein paar Jahren bemerkbar machen, bereiten den Medizinern Sorge. Neurologische Symptome wurden bei der Innsbrucker Zwischenanalyse häufiger festgestellt und werden bei der nächsten Kontrolle erweitert untersucht. Es gibt Hinweise darauf, dass das Virus auch in die Gehirn-Rückenmark-Flüssigkeit gelangen kann. "Manche Patienten berichten von Schlafstörungen und starker Erschöpfung. Es gibt außerdem Hinweise, dass das Virus auf das Atemzentrum im Gehirn einwirken und das Atemmuster akut, aber auch über Wochen stören kann", sagt Löffler-Ragg.

Körper beobachten

Sollten Patienten mit milden Verläufen trotzdem bald ein CT der Lunge machen lassen? "Nein, die Betroffenen sollten zum Lungenfacharzt gehen, der die Lungenfunktion, Lungenvolumina und die Sauerstoffaufnahmekapazität messen wird. Nur dann, wenn eine Abweichung von der Norm vorliegt, wird er eine CT-Aufnahme der Lunge veranlassen", sagt Lamprecht. Das empfiehlt auch Löffler-Ragg. Ratsam könnte das auch für Sporttreibende sein.

Wichtig ist es zudem, auch andere Symptome im Auge zu behalten. "Abhängig davon sollten die Betroffenen einen Neurologen, Kardiologen oder Nephrologen aufsuchen, um die Symptome abklären zu lassen." Man darf gespannt sein, zu welchen Ergebnissen die medizinische Nachsorge in ein paar Monaten kommen wird. Fest steht: Wer sich noch nicht infiziert hat, sollte alles tun, um das auch weiterhin zu vermeiden. (Gerlinde Felix, 5.6.2020)