Senfgelb und nigelnagelneu ist das Auto, davor aufgefädelt eine kleine Kinderschar, die Mädchen tragen identisch blitzblaue Kleidchen. Eine idyllische Komposition, wie ein hochprofessioneller Werbefuzzi sie nicht besser hätte erfinden können. Neulich fiel mir das alte Foto wieder in die Hand. Es war in einer Schachtel aufbewahrt, ins Fotoalbum wurde es nie eingeklebt. Es gibt einige aus dieser Reihe. Meine Geschwister und ich in den selbstgenähten Sonntagsmonturen vor der neuen Familienkutsche. Senfgelb war damals der letzte Schrei, ein neues Auto eine große Sache. Jedes Familienmitglied redete bei der Auswahl mit. Stolz waren wir dann alle, wenn der Neuerwerb endlich im Stall stand, und erst recht, wenn er ausgefahren wurde.

Es war einmal

Diffus erinnere ich mich daran, wenn ich die zufriedenen Gesichter betrachte. Es muss etwas Besonderes für uns gewesen sein, sonst hätte mindestens eines von uns Kindern vergrämt dreingeschaut. Bei vieren wurde immer irgendwie um irgendetwas gezankt. Erst recht, wenn einer der zahlreichen Ausflüge anstand, der in meiner und vielen anderen Familien damals zum Programm gehört hat. Bei uns ging es zu den Großeltern in die Steiermark, zu Tanten nach Kärnten oder am Sonntag zur Aussichtswarte ins Mühlviertel. Nach getaner Wanderung fuhr man wieder heim, wir Kinder zogen artig unsere Sonntagskleidung aus.

Wenig los auf den Straßen, so sah es zu Shutdown-Zeiten aus.
Foto: APA/Gindl

In meiner Kindheit hatte das Auto mit Freiheit zu tun. In dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, war es gut, ein Auto zu haben. Hatte man den Führerschein und Papa lieh das Auto her, schnupperte man den Duft der großen weiten Welt. Aber man wurde auch an seinem fahrbaren Untersatz gemessen, denn Größe, Marke, Pferdestärken, all das zählte schon damals viel. Um das neue Auto zu begutachten, kamen die Nachbarn zusammen, man fachsimpelte, tauschte Erfahrungen aus. Auto und Wohlstand gehörten in der nationalen Erzählung zusammen – lange vor meiner Kindheit.

Symbol des Wohlstands

Nach 1945 galt die Motorisierung unstrittig als "ein wichtiger Gradmesser für den LebensStandard eines Volkes", wie es die Arbeiter-Zeitung 1952 formulierte. "Autos einer breiten Bevölkerungsschicht verfügbar zu machen avancierte zu einem Nachweis des Voranschreitens auf dem Weg zu einer Mittelschichtsnation, in der sich Zugehörigkeit als gehobene Kaufkraft jenseits der Dürftigkeit proletarischen Einkommens materialisieren sollte", brachte es der Historiker Oliver Kühschelm in einem Vortrag 2008 auf den Punkt.

Das Automobil, das seit dem am Fließband hergestellten Ford T zum Massenprodukt gereift war, verhieß Mobilität, Geschwindigkeit, Freiheit, so Kühschelm. Es war ein Symbol des technischen und gesellschaftlichen Fortschritts. In den 1970ern, als ich groß geworden bin, war das längst im kollektiven Bewusstsein verankert. Gut 160 Autos je tausend Einwohner gab es Anfang des Jahrzehnts, zehn Jahre später waren es 300, 2018 gut 560.

Mit dem Fahrrad geht es natürlich immer – zumindest wenn man großzügig über die teils recht mangelhafte Infrastruktur hinwegsieht.
Foto: STANDARD/Fischer

Kein einziges Jahr seit Aufzeichnung der sogenannten Pkw-Dichte seit 1950 gab es ein Minus, mal war der Zuwachs kleiner, mal größer, aber es war immer ein Plus. Daran änderte auch die Ölkrise in den 1970ern nichts. Die Blechlawinen wuchsen, die Beton- und Asphaltwüsten auch.

Als ich das Foto in Händen hielt, kam mir der Gedanke, wie froh ich bin, dass es in meiner Familie immer noch ein Auto gibt. Abgesehen von kurzzeitigen Versuchen, auf Carsharing umzusteigen, war das immer so, obwohl wir schon lange Stadtmenschen sind. Weil es leistbar ist, weil es bequem ist, weil wir mit den Kindern die Großeltern besuchen wollten, weil es mit Öffis oft mühsam ist. Gibt es nicht jede Menge guter Gründe, monatlich viel Geld für ein Auto auszugeben? Ich zähle sie mir oft auf. Um meine wiederkehrenden Zweifel zu verscheuchen.

Immerhin hat sich der Wind zuletzt recht deutlich gedreht. Gemeinden versuchen ihre Bürger zum Umstieg auf Sammeltaxis, Carsharing oder den öffentlichen Verkehr zu bewegen und stellen dafür zunehmend auch Angebote bereit. In manchen Bundesländern werben Plakate dafür, das Auto stehen zu lassen und die Freiheit zu Fuß zu erleben. Ich sehe das alles wohl. Auch an gutem Willen fehlt es mir nicht.

Es geht auch ohne

Doch ausgerechnet jetzt habe ich einen neuerlichen Beweis, dass mit dem Auto alles einfacher ist. Und das, nachdem ich jüngst den Versuch unternommen hatte, möglichst ohne Blechbüchse auszukommen. Ja, das geht – öfter als gedacht, aber nicht immer gut, so lautete meine Conclusio nach einer mehrwöchigen Autodiät. Ich wollte meine Erkenntnisse in den Alltag mitnehmen, schließlich ist mittlerweile vielen klar, dass die motorisierte Individualmobilität zugunsten des öffentlichen Verkehrs zurückgedrängt werden soll.

Corona warf mich zurück. Ich durfte mit dem Auto ins Grüne, während allerorts streng darauf geachtet wurde, wer wann wo unterwegs ist. Ich konnte mir nicht helfen: Ich fühlte mich frei – und ich gebe es zu, im Auto fühle ich mich auch jetzt noch besser als in der U-Bahn – mit Mitbürgern, die einem auf den Pelz rücken, und Maske, die einem die Luft abschnürt. Es war zwar gespenstisch, aber auch irgendwie cool: Freie Fahrt auf den Stadtautobahnen in Wien und über Land, so etwas gab es so noch nie.

Ich fühle mich aber auch ertappt, weil ich mir die alten Erzählungen offenbar einverleibt habe. "Die Kaufmotive für einen Pkw sind, wie für alle Güter des gehobenen Bedarfs, vielschichtig, mitunter irrational und schwer erfassbar", lese ich in einer Analyse des Wifo aus dem Jahr 1965. Ich lege das Foto mit dem senfgelben Auto und den fröhlichen Kindern in die Schachtel zurück – und nehme mir den mobilen Neustart nach Corona wieder ganz fest vor. (rebu, 9.6.2020)