Die beiden Kabaretttalente Clemens Maria Schreiner und Erika Ratcliffe.

Foto: privat

ER: Hiiiii

CMS: Hello, Frau Kollegin!

ER: Das ist so weird. Sollen wir einfach über PC reden/schreiben?

CMS: Ja, ich glaube, das ist das Konzept. Eisbrecherfrage: Hast du mal auf der Bühne einen Witz gemacht, den du im Nachhinein lieber zurückgenommen hättest?

ER: Ja, sehr viele sogar. Ich versuche, über alle Themen zu sprechen, und merke oft erst im Nachhinein, dass ich das hätte anders formulieren sollen. Aber ich denke, es ist okay auf offenen Bühnen Material zu testen. Und du?

CMS: Ich hab auch schon ein paar Mal grob in den Gatsch gegriffen. Wenn ich Texte von alten Programmen durchlese, frage ich mich öfters, wie ich das damals an meiner eigenen Zensur vorbei geschummelt habe. Aber es ändern sich halt auch der Kontext und die Perspektive.

ER: Ja, voll. Bei welchen Themen versuchst du, vorsichtig zu sein?

CMS: Dort, wo man zu leicht die Mehrheit der Lacher auf seiner Seite hat. Humor auf der Bühne funktioniert ja oft auch über Abgrenzung: Wir, KünstlerIn und Publikum, sind uns einig in unseren Beobachtungen zu den Anderen. Das verbindet und wird durch Überspitzung komisch. Wenn die Anderen eine Gruppe sind, die mit systemischer Benachteiligung zu kämpfen hat, dann wird die Pointe zwar oft funktionieren – aber da ziehe ich für mich die Grenze.

ER: Ah, OK. So sehe ich das auch ca. Ich versuche, vorsichtig zu sein, wenn ich über eine Gruppe von Menschen rede, die benachteiligt ist und zugleich nicht meiner Realität entspricht. Z. B. über Frauen und Asiaten rede ich gerne, weil ich authentische Erfahrungen wiedergeben kann als asiatische Frau. Aber ich finde es schwierig, über andere Minderheiten oder benachteiligte Gruppen zu reden.

CMS: Klar. Humor aus der Perspektive der Benachteiligten ist ein wichtiger Punkt. Ich bin ja auf dem besten Weg, irgendwann ein alter, weißer Mann zu werden (hoffentlich) – gerade deshalb versuche ich, meine eigene Welterfahrung streng zu hinterfragen. Sexismus ist oft das durchdringendste Problem. Wie erlebst du das?

ER: Haha. Hmmm Also, Frauen sind in der österreichischen Kabarettszene systematisch benachteiligt. In Fernsehformaten sind überwiegend Männer vertreten. Ich glaube, in Österreich gibt es momentan kein Comedy-Format, wo Frauen Protagonisten sind. Alle Showrunner sind Männer. Und ich muss auch sagen, dass ich mich zwar mit allen Kabarettisten gut verstanden habe bis jetzt, aber ich hinter den Kulissen Sexismus erfahren habe. Z. B.: Arschloch-Regisseure oder ein Tontechniker, der mich gefragt hat, ob ich behaart bin.

CMS: Was, glaubst du, können privilegierte Künstler konkret tun, außer selbst keine Arschlöcher zu sein?

ER: Gute Künstler haben oft die Möglichkeit andere Künstler zu "rekrutieren". Z. B. du hast die Möglichkeit eine Fernsehserie zu produzieren und musst Autoren/Schauspieler vorschlagen, dann würde ich darauf achten, auch talentierte Menschen zu fragen, die weniger privilegiert sind. Ich möchte dir auch mal eine Frage stellen. Wie stehst du eig. zum N-Wort, das ja häufig von österreichischen Kabarettisten verwendet wird?

CMS: Ich würde es nicht verwenden, weil ich keine Notwendigkeit sehe. Wenn ich auf der Bühne eine Figur zeichnen will, die Vorurteile gegenüber Schwarzen hat, dann kann ich das auch, ohne ihr das Wort in den Mund zu legen. Wenn ich die Figur trotzdem "Neger" sagen lasse, dann ist der einzige Effekt, dass sich diejenigen daran aufgeilen, die so etwas selber gerne öfter sagen würden.

ER: Ja, das stimmt. Ich verwende das Wort auch nicht in meinem Programm, weil ich nicht wüsste, wie. Da ich das N-Wort nicht in meinem Alltag gebrauche, weiß ich nicht, in welchem Zusammenhang das lustig sein könnte. Man muss sich auch immer fragen, wer gerade spricht. Wenn schwarze Menschen das N-Wort verwenden, hat es einen anderen Zweck, als wenn Weiße das Wort verwenden.

CMS: Das wollte ich auch besprechen: Kontext. Wenn ich einen Abend lang Zeit habe, dann kann ich auf eine arg überspitzte Formulierung hinarbeiten. Aber die Gefahr ist, dass irgendwann ein dreißigsekündiger Videoclip dieser einen Pointe übrig bleibt, der dann tausendfach geteilt wird – von genau den Menschen, deren Haltung man enttarnen wollte. Findest du, wir müssen jeden Satz danach abklopfen, ob er im falschen Kontext verheerend klingt?

ER: Das ist, glaube ich, unmöglich. Dein Material nimmt jeder anders wahr. Außerdem bin ich gegen Zensur, egal ob die jetzt von Linken oder Rechten vorgeschrieben wird. Ich hatte schon Auftritte, wo weiße Linke mir gesagt haben, dass ich keine Asiaten nachmachen soll oder Frauen, die mir gesagt, haben, dass ich nicht über Vergewaltigungen sprechen soll, obwohl ich als Frau oft mit der Angst vor einer Vergewaltigung konfrontiert werde.

CMS: Mir tut es weh, wenn bei ZuschauerInnen eine diametrale Botschaft ankommt. In einer Nummer mache ich das Handzeichen für OK – jetzt wird dieses Zeichen aber in Code der White Power Bewegung. Darauf hat man mich angesprochen. Aber die Geste heißt im Kontext eindeutig OK, also bleibt sie drin.

ER: Ja, ich glaube, bei dir besteht die Gefahr mehr, von Nazis angeeignet zu werden, wegen deines Aussehens. Man kann das Publikum nicht bestimmen. Es können immer FPÖ-Wähler dabei sein.

CMS: Je nach Auftritt mathematisch sogar wahrscheinlich. Aber das ist ja gut. Die Menschen, die zu mir ins Programm kommen, kann ich zumindest erreichen und mit meinem Blickwinkel konfrontieren. Deshalb werden sie nicht ihr Leben ändern, ziemlich sicher auch nicht ihre Meinung. Aber solange wir uns anderen Standpunkten freiwillig aussetzen, ist das mit der Demokratie zumindest noch nicht ganz kaputt. Machst du eigentlich privat Witze, die für die Bühne zu arg sind?

ER: Jaaa! Privat mache ich wirklich krasse Witze mit anderen Comedy-Kollegen, weil die wissen, wie meine politische Einstellung ist. Du? Redest du über Bitches, Koks und Nutten mit deinen Freunden?

CMS: Über Koks und Nutten rede ich nur mit meiner Freundin, da bin ich schüchtern. Und ja, mein privater Humor ist oft viel radikaler als meine Programme. Ich glaube, das ist eine Berufskrankheit. Wir sind einen so hohen Pointenspiegel gewohnt, dass wir für ein Humorhoch irgendwann härteres Zeug brauchen.

ER: Jap, für eine gute Pointe würde ich fast alles machen. Haha.

(Stefan Weiss, Amira Ben Saoud, 6.6.2020)