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PRO: Die Freiheit hat Grenzen

von Thomas Mayer

Die Freiheit des Einzelnen ist in einer von Grundrechten definierten Gesellschaft ein wichtiger Gradmesser, ob die liberale Demokratie gut oder schlecht funktioniert. Vom Maß staatlicher Einschränkungen hängt ab, wie weit die Selbstbestimmung der Menschen möglich ist, seine Grundrechte garantiert werden. Bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie schien diese Fragestellung für die meisten in Europa kein grundsätzliches Problem zu sein. Die EU-Staaten bewegen sich seit Jahrzehnten auf einem guten Weg, was Bürgerfreiheiten betrifft.

Das hat sich mit den Zwangsmaßnahmen der Regierungen dramatisch geändert. Das Einfrieren des öffentlichen Lebens wurde von der Bevölkerung nur zu Beginn breit mitgetragen. Da dominierte die Angst vor Ansteckung und Tod. Aber je länger es dauerte, desto größer wurde die Ohnmacht, der Ruf nach dem Ende der Einschränkungen. Kein Wunder. Die Wirtschaftskrise und neue Ängste, diesmal um die materielle Existenz, trugen das Ihre dazu bei.

Daher ist jetzt die Freude über "die große Öffnung" nicht nur der Grenzen groß. Aber wir sollen uns nicht täuschen. Das Coronavirus ist nicht besiegt. Solange es weder Medikamente noch eine Impfung gegen die Krankheit gibt, sind neue Quarantänemaßnahmen immer möglich, bis hin zu einem Lockdown, sollte eine größere Infektionswelle kommen. Dann muss der Staat eingreifen. Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo das Leben anderer gefährdet ist. (Thomas Mayer, 5.6.2020)

KONTRA: Freiheit in Verantwortung

von Petra Stuiber

Der Lockdown Ende März traf Österreich wie ein Keulenschlag. Von einem Tag auf den anderen war alles anders. Man hielt sich von anderen fern und überlegte lieber dreimal, ehe man einen Fuß vor die Tür setzte. Das war hart. Aber damals notwendig.

Angesichts der rasant steigenden Zahlen an Neuinfektionen und der Schreckensnachrichten aus der Lombardei nahm man die "demokratische Zumutung des Coronavirus" (Angela Merkel) zunächst einmal hin. Die Krise lehrte Disziplin und Geduld. Allerdings nur so lange, bis die Zahl der Neuinfektionen zurückging. Ab da erscholl der Ruf nach mehr Freiheit in der Krise immer lauter. Viele Österreicher wussten wieder zu schätzen, was sie an diesem freien Land haben. Was sich aber auch zeigte: Der Weg zurück war holprig. Das Zusperren des Landes hatte glatter funktioniert als das Wiederaufsperren. Das führt die Gefahr solch drastischer Maßnahmen deutlich vor Augen.

Ein neuerlicher Lockdown muss daher unbedingt vermieden werden. Das autoritäre Eingreifen des Staates in Grund- und Freiheitsrechte der Menschen muss die absolute Ausnahme bleiben. An die Stelle der Anordnung muss der Appell treten – an Eigenverantwortung und die Selbstdisziplin mündiger Bürger. Es geht um doppelte Verantwortung: Der Staat darf im Umgang mit der größten Gesundheitskrise seit Jahrzehnten das Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht über Bord werfen. Und die Bürger müssen diese Freiheit verantwortungsvoll leben.(Petra Stuiber, 5.6.2020)