Wenn man verstehen will, was Donald Trump angesichts der Massenproteste gegen rassistische Gewalt antreibt, muss man nur auf die aktuellen Meinungsumfragen schauen. Sein demokratischer Herausforderer Joe Biden liegt nicht nur bundesweit voran, sondern auch in vielen "Swing States", in denen die Präsidentenwahl entschieden wird. Trumps dilettantischer Umgang mit der Corona-Pandemie und die rasant gestiegene Arbeitslosigkeit haben seiner Popularität zwar nur leicht geschadet. Aber da er nie eine Mehrheit hinter sich hatte, muss er nun ernsthaft um seine Wiederwahl zittern.

Ein anderer Politiker würde in dieser Lage versuchen, die politische Mitte anzusprechen. Die Anti-Rassismus-Proteste, die der tödliche Polizeieinsatz gegen den Afroamerikaner George Floyd ausgelöst hat, hätten ihm dazu eine Gelegenheit geboten. Trump ist für den tiefsitzenden Rassismus in der US-Gesellschaft und besonders bei der Polizei nicht verantwortlich, selbst wenn er diesen politisch nutzt und gelegentlich anfeuert. Auch Barack Obama konnte das nicht ändern. Aber in solchen Krisen wird von einem Staatschef erwartet, dass er zu gegenseitigem Verständnis und zur nationalen Einheit aufruft.

US-Präsident Donald Trump.
Foto: EPA/Yuri Gripas

Dazu ist Trump charakterlich nicht in der Lage. Reflexhaft schlägt er gegen jeden zurück, der ihn kritisiert. Fühlt er sich unsicher, appelliert er an die Instinkte seiner zornigen weißen Basis. Und am meisten fürchtet er, schwach zu erscheinen. Alle seine Wortmeldungen und Handlungen der vergangenen Tage haben nur dazu gedient, das Bild eines starken Mannes zu projizieren.

Lächerliche Optik

Als bekannt wurde, dass Trump zeitweise Schutz in einem Bunker suchen musste, weil Protestierende dem Weißen Haus zu nahe gekommen waren, ließ er diese mit Tränengas vertreiben, um martialisch zu einer nahegelegenen Kirche zu marschieren und sich mit der Bibel in der Hand fotografieren zu lassen. Für diese lächerliche Optik setzt sich Trump über rechtsstaatliche Normen hinweg und spielt den autoritären Herrscher, der er gerne wäre.

So hat der Präsident innerhalb weniger Tage aus einer Protestbewegung, wie sie die USA immer wieder erlebt haben, eine Staatskrise gemacht. Seine Forderung, das Militär gegen US-Bürger einzusetzen, entsetzt selbst viele Parteigänger. Noch ist die Zahl der kritischen republikanischen Stimmen klein, aber sie verstärken die Bunkerstimmung im Weißen Haus.

Drei Jahre lang hat sich Trump nur mit selbstverursachten Krisen herumschlagen müssen. Aber gerade im Wahljahr treten die Katastrophen geballt auf. Corona-Pandemie, Wirtschaftskrise und die Anti-RassismusProteste machen zunehmend deutlich, wie ungeeignet der Twitter-König für das Amt des Präsidenten ist.

In einer Demokratie gibt es dafür das Korrektiv der Wahlen. Doch nun wächst die Angst, dass Trump jedes Mittel nutzen wird, einen Machtverlust abzuwenden, indem er die Wahl manipuliert oder eine Niederlage gegen Biden nicht anerkennt – allein schon, weil ihm danach unzählige Gerichtsverfahren drohen.

Dabei kann er auf die Hilfe seines gefügigen Justizministers Bill Barr, des republikanischen Senats und zahlreicher erzkonservativer Richter hoffen. Die Pandemie oder Proteste könnten den Vorwand bieten, städtische Wahllokale zu schließen oder Briefwahlstimmen für ungültig zu erklären. Die kommenden Monate werden so zur Feuerprobe für Amerikas Demokratie. (Eric Frey, 5.6.2020)