Wird uns der "heilige Sebastian" erlösen?
Foto: Filmstill / Olivier Hölzl

Quarantäne-Tagebuch in Videoformat: Die surreale Chronologie unserer Zeit

Der Künstler Olivier Hölzl führte während des Lockdowns ein Quarantäne-Tagebuch in Form von kurzen, experimentellen StopMotion-Videos, die er auf Social Media verbreitete. "Meine Kunst war freier in der Krise", resümiert Hölzl Anfang Juni. Mit dem neuen Format möchte er "surreale Antworten in einem surrealen Zustand" geben und Kritik an der Politik äußern.

Die insgesamt 35 Videos zeichnen auf ironische und verstörende Art die Chronologie der vergangenen Wochen nach und wagen einen herrlich kritischen Rückblick: www.instagram.com/olivierhoelzl/

Künstlerischer Mundnasenschutz

Ich bin Kunstwerk und Alltagsgegenstand zugleich. Man kann mich in einer Galerie kaufen und auch im Supermarkt tragen. Wie andere meiner Art befestigt man mich vor Mund, Nase und hinter den Ohren, dennoch unterscheide ich mich.

Die Künstlerin Ina Loitzl hat mich erschaffen und nennt mich "individuell". Sie hat mich aus Stoffresten und alter Kleidung zusammengenäht und bedruckt. Umweltschonend produziert bin ich also auch. Ohne die Krise hätte es mich nicht gegeben. Und weil gerade alles so negativ ist, trage ich immer ein sanftes Lächeln.

Maskiert: solidarisches Alltags- und Kunstobjekt.
Foto: Ina Loitzl

Um zu helfen, gehen 50 Prozent meines Erlöses als gemeinnützige Spende an die Kärntner Obdachlosenzeitung kaz. Aus Leder gibt es mich auch, in dieser Form hänge ich schon in der Stadtgalerie Klagenfurt. Aus Solidarität trage ich eine Prägung auf meinem Stoff, der sagt: "Kunst kann schützen". Ich gebe mein Bestes.

Die Textilkünstlerin Ina Loitzl hatte in der Krise mehr Zeit und wurde aktiv. Mit dem Projekt der "Kunst-kann-schützen-Masken" konnte sie 1000 Euro an die Kärntner Obdachlosenzeitung kaz spenden. Ihre künstlerische Freiheit sah sie durch autonomes und ungestörtes Arbeiten bestärkt.


Übertragung der Ausstellungsvorbereitung

Exakt als die Krise begann, hätte Sophie Thuns Ausstellung in der Secession Wien eröffnen sollen. Zwar musste das Haus temporär schließen, die Fotokünstlerin wollte ihre Schau Stolberggasse aber nicht verschieben. Daraufhin richtete sie sich eine Dunkelkammer im Grafischen Kabinett ein und ließ es rund um die Uhr von einer Kamera beobachten. Per Live-Stream kann man ihr noch bis 21. Juni bei der Arbeit zusehen.

STANDARD: Hatten Sie die Idee, mit diesem Format zu arbeiten schon früher?

Sophie Thun: Eine Dunkelkammer wollte ich schon länger umsetzen, allerdings wäre das mit Besucherinnen und Besuchern schwierig geworden. Als der Shutdown kam, war das Problem gelöst. Die Kamera kam noch dazu.

STANDARD: Was genau entwickeln Sie dort?

Thun: Ich produziere Arbeiten für meine nächste Ausstellung – zeige einen Prozess, keine Ergebnisse. Davon wird nichts hierbleiben.

Freier Zugang: Das Kameraauge sieht alles.
Foto: Pascal Petignat

STANDARD: Ergaben sich so neue Freiheiten?

Thun: In meinem Fall ja. Aber nur weil ich auch ausstellen konnte. Das Kameraauge beobachtet den Raum und ich weiß genau, was es sehen kann und was nicht. Diese Kontrolle finde ich wichtig. Außerdem habe ich jetzt die Schlüssel zur Secession, letztens habe ich bis drei Uhr Früh gearbeitet. Das Wegfallen von Hierarchien bedeutet auch Freiheit für mich.

STANDARD: Wie kamen Sie auf das Format?

Thun: Ich habe entdeckt, dass das Grafische Kabinett nicht barrierefrei zugänglich ist, was mir aber sehr wichtig wäre. Mit der Idee der Webcam wird die Ausstellung für mehr Menschen zugänglich: Solange sie Internet haben, ist der Zugang 24 Stunden am Tag möglich und kostenlos.

STANDARD: Bedeutet dieser Aspekt der Zugänglichkeit Freiheit für Sie?

Thun: Ja, weil es für alle auf dieselbe Art zugänglich ist. Alle werden gleich behandelt.

Sophie Thun (34) ist Fotokünstlerin und stellte ihre analogen Fotocollagen bereits im Kunstraum München und im C/O Berlin aus. Sie lebt und arbeitet in Wien.


Balkonszenen während des Lockdowns

Grinsende und nachdenkliche Gesichter blicken aus geöffneten Fenstern oder von ihren Balkonen. Menschen sitzen alleine, stehen zusammen, rauchen oder tragen noch ihren Pyjama. Die Fotografin Anna Breit besuchte zu Beginn der Quarantäne befreundete Künstler und Künstlerinnen in Wien an deren Fenstern und fotografierte sie.

Sonst konnte man ja keine Menschen treffen, erinnert sie sich, und Stillleben wollte sie keine machen. "Ich arbeite immer mit Menschen, und die meisten meiner Freunde waren ohnedies zu Hause." Zuerst spazierte Breit nur durch ihre Nachbarschaft, bald schon radelte sie von Bezirk zu Bezirk.

"Die meisten waren...
Foto: Harpune-Verlag / Anna Breit
...ohnedies zu Hause."
Foto: Harpune-Verlag / Anna Breit

In ihrer künstlerischen Freiheit fand sie sich eher eingeschränkt in den letzten Wochen. Da alle Fotolabore zu hatten, musste sie ihre analoge Arbeitsweise auf digital umstellen. Sie möchte die Krise nicht romantisieren.

Dennoch wäre ihr die Idee mit ihren Quarantäne Portraits unter normalen Umständen nicht gekommen. "Freiheit empfand ich eher darin, mich mit den anderen Kunstschaffenden zu solidarisieren", sagt Breit. Ihre Fotoserie soll der Krise etwas Positives entgegensetzen – und stellvertretend für alle Künstlerinnen und Künstler in der Krise sprechen. (Die Serie entstand im Auftrag des Presse Schaufenster)


Krisen-Hotline als Kunstprojekt

Diese Hotline ist wie Corona", findet Johanna Lakner. "Niemand weiß was als Nächstes passiert." Die Künstlerin und Kostümbildnerin nahm als eine von vier Kunstschaffenden bei der Aktion Helmuts Hotline teil, die im April von der Galerie Helmuts Art Club gestartet wurde.

Auf einer neu eingerichteten 0900-Telefonnummer (3,64 Euro pro Minute) konnte man anrufen und Lakner eine Woche immer von 20 bis 23 Uhr erreichen.

Das eingenommene Geld kam den Künstlern zugute.
Foto: Helmuts Art Club

Sie stellte ihren Anrufern sehr persönliche Fragen. Dabei ging es aber nicht um konkrete Antworten. "Durch Corona ergaben sich so viele Fragen, auf die es keine Antworten gibt." Viele ihrer Anrufer wollten einfach nur zuhören, erzählt sie. Einem Gast habe sie an die 40 Fragen gestellt. Antwort gab es keine. Hier eine Auswahl:

· Fürchtest du dich im Dunkeln?

· Wie lange stehst du normalerweise unter der Dusche?

· Auf welche zwei Dinge kannst du nicht verzichten?

· Was kannst du nicht wegwerfen?

· Welche Seite im Internet besuchst du täglich?

· Bestellst du im Restaurant immer das Gleiche?

· Wie oft schreibst du noch mit der Hand?

· Bist du ein guter Verlierer?

· Wann hast du zuletzt heftig gejubelt?

· Welche Antwort hat dich am meisten überrascht?

(Katharina Rustler, 12.6.2020)