Vor allem in den informellen Siedlungen -wie Masiphumelele in Kapstadt – breitet sich das Virus rasend schnell aus.

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Afrikas Hoffnungen, die Corona-Pandemie könne den Kontinent mit dem Schlimmsten verschonen, zerschlagen sich derzeit ausgerechnet am Kap der Guten Hoffnung. Die südafrikanische Westkap-Provinz hat sich inzwischen zum heißesten Herd der Pandemie auf afrikanischem Boden entwickelt: Dort breitet sich das Virus in einer Geschwindigkeit wie einst in China, in Westeuropa, den USA und derzeit in Brasilien aus.

Die Beobachtung macht Spekulationen zunichte, wonach der Corona-Erreger die klimatischen Verhältnisse Afrikas oder die genetische Zusammensetzung seiner Bewohner nicht mögen würde. "Wir haben noch keinen Beweis dafür gesehen, dass eine gewisse Bevölkerung verschont bliebe", sagt die Biostatistikerin Natalie Dean von der Universität in Florida: "Die Frage der Ansteckung ist nicht ob, sondern wann."

Ausbreitung in Slums und Townships

Ein Vierteljahr nach der Meldung des ersten Covid-19-Falls sind in Südafrika die täglich gemeldeten Fälle inzwischen auf rund 3.000 geschnellt: Zwei Drittel aller Ansteckungen werden aus der Westkap-Provinz mit ihrer Hauptstadt Kapstadt gemeldet. Dort erlagen bereits mehr als 700 Menschen der Infektionskrankheit, drei Viertel aller südafrikanischen Todesopfer. Detailanalysen zufolge verbreitet sich das Virus besonders schnell in den dicht besiedelten Slums und Townships der schwarzen Bevölkerung, wie in Kayelitsha, Gugulethu oder Langa.

Während zunächst spekuliert wurde, die Provinz verzeichne nur deshalb mehr Ansteckungen, weil dort auch mehr getestet wurde, gehen Experten mittlerweile davon aus, dass die Touristenhochburg Kapstadt womöglich wesentlich früher als andere Regionen des Landes mit dem Erreger konfrontiert wurde.

Kritik am Provinzchef

Dass das Westkap wesentlich mehr Corona-Fälle als der Rest des Landes vorweist, ist auch politisch brisant. Es ist die einzige südafrikanische Provinz, die nicht vom Afrikanischen Nationalkongress (ANC), sondern von der von Weißen dominierten Demokratischen Allianz (DA) regiert wird, und brüstete sich in den vergangenen Jahren zurecht mit einer besseren Verwaltung. Staatspräsident Cyril Ramaphosa (ANC) besuchte am Freitag den Pandemieherd und kritisierte Provinzchef Alan Winde (DA) mit den Worten: "Ich akzeptiere die Entschuldigung nicht, dass es im Westkap zu wenig Gesundheitskräfte gibt". Die Region brauche auch mehr Krankenhausbetten, fügte Ramaphosa hinzu: "Ich bin nicht glücklich mit der Zahl, die Ihr zu brauchen meint." Auch Tests müssten vermehrt und das Aufspüren von Ansteckungsherden verbessert werden, sagte der ANC-Chef.

Dagegen klagt de Provinzregierung über mangelnde Ressourcen, vor allem Testkits und Gesundheitspersonal. Allein im staatlichen Gesundheitsbereich steckten sich in den vergangenen Wochen 83 Ärzte und Ärztinnen sowie 727 Krankenschwestern und -pfleger im Westkap an. Die Tests mussten Ende vergangener Woche sogar verringert werden, weil nicht genug Testsätze zur Verfügung stehen. Außerdem kommt das staatliche Labor mit der Auswertung der Tests nicht nach: Dort hat sich ein Rückstau von 28.000 Proben gebildet. Ramaphosa kündigte die baldige Ankunft neuer Testsätze an, die in Staaten wie China und Russland für den gesamten Kontinent angefordert worden seien. Der Mangel an medizinischer Ausrüstung sorgt in zahlreichen afrikanischen Staaten für empfindliche Engpässe bei der Bekämpfung der Pandemie.

Kritik an Maßnahmen

Ängstlich schaut Südafrikas Regierung auch auf die Nachbarprovinz des Westkaps: Mit mehr als 5.200 Ansteckungen und 95 Todesfällen ist das wesentlich ärmere Ostkap zur zweit schlimmsten Region des Landes geworden. Schon heute wird dort über den Zusammenbruch des Gesundheitswesens geklagt: Chronisch Erkrankte haben Schwierigkeiten, ihre Medikamente zu bekommen, einzelne Hospitäler mussten nach Covid-19-Fällen vorübergehend schließen, Gesundheitsarbeiter protestieren regelmäßig wegen des Mangels an Personal und Schutzanzügen.

Unterdessen wird im ganzen Land die Kritik an den Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Pandemie immer lauter. Ein Richter des Landesgerichts in Pretoria erklärte weite Teile des Lockdown-Konzepts für "verfassungswidrig" und "irrational" und gab Pretoria 14 Tage Zeit zur Korrektur.

Weitere Verfahren gegen das Desaster-Management-Gesetz sind derzeit vor Gericht anhängig: Unter anderem gegen das Verbot des Zigarettenverkaufs aber auch gegen den "Corona-Krisenrat" (NCCC), der unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne parlamentarische Kontrolle schon seit mehr als drei Monaten über die Maßnahmen des Kampfes gegen die Pandemie entscheidet. Ungewöhnlich an der Situation Südafrikas und anderer afrikanischer Staaten ist, dass die scharfen Lockdown-Bestimmungen schon sehr früh, noch vor den ersten 100 Infektionen, verhängt wurden. Aus wirtschaftlichen Gründen müssen sie jetzt gelockert werden, während die Ansteckungsrate drastisch in die Höhe schießt. (Johannes Dieterich, 6.6.2020)