Nachdem ich jeden Sommer gemeinsam mit dem Forum-Alpbach-Team unter Hochdruck eine zweieinhalbwöchige Großveranstaltung auf die Beine stelle, glaubte ich, auf alle Herausforderungen in der Führung vorbereitet zu sein. Nach fast neun Jahren Alpbach bringt mich nichts mehr so schnell aus der Ruhe. Dennoch, das Homeoffice hat mir in den letzten Monaten völlig neue Problemstellungen des zwischenmenschlichen Miteinanders im Digitalen gezeigt – und meine Grenzen. Aus Gesprächen mit Managern weiß ich, dass ich kein Einzelfall bin.

Verstehen Sie mich nicht falsch, auch bei uns hat der Wechsel hervorragend geklappt. Einzig eine Chat-Software für Unternehmen und ein paar Zoom-Accounts kamen dazu, und schon lief alles wie am Schnürchen. In mancher Hinsicht war das Arbeiten von zu Hause aus dem Büro sogar fast überlegen: keine vergeudete Reisezeit, und jeder arbeitet in seinem eigenen Rhythmus. So mancher verkündete schon das Ende des Büros. Aber der Abgesang war verfrüht.

Kein Programm vor Ort

Schon zu Beginn der Corona-Krise war klar, dass das Forum Alpbach heuer im 75. Jahr seines Bestehens – wenn überhaupt – ganz anders ablaufen würde. 650 Stipendiatinnen und Stipendiaten aus 100 Nationen würden nicht kommen können, ebenso viele Speaker. An Ticketverkauf war anfangs nicht zu denken, konnten wir doch heuer kein Programm vor Ort bieten, da größere Menschengruppen immer ein Risiko bedeuten würden. Am Ende entschieden wir uns für ein hybrides Konzept einer großen internationalen Online-Konferenz und einer sehr reduzierten Präsenz in Alpbach.

Das Homeoffice, eine Herausforderung.
Foto: AFP / Loic Venance

Der Weg zur Umsetzung mit dem gesamten Team im Homeoffice aber war herausfordernd. Ideen für andere nachvollziehbar zu erklären und diese in einem engen Zeitkorsett zu konkretisieren ist in Online-Calls und Zoom-Konferenzen viel schwieriger, als wenn man sich gegenübersitzt. Für mich nahezu unmöglich war es, aufkommende Konflikte und Missverständnisse in diesem Prozess frühzeitig zu erkennen und zu lösen. Was sonst meine Kernaufgabe ist, gelang mir online nicht mehr so gut. Dazu kam, dass mir in Online-Meetings das fokussierte Zuhören viel schwerer fiel. Überall, wo Geduld und Konfliktlösung gefragt waren, war das Homeoffice unzureichend. Am Ende ist es aber – vor allem dank der Kreativität und Flexibilität unseres Teams – gelungen, das Forum Alpbach 2020 neu zu erfinden.

Menschen sind soziale Wesen

Meine anfängliche Überzeugung, dass sich alles ins Digitale verlagern lässt, musste ich aber revidieren. Menschen sind soziale Wesen, sie reagieren persönlich auf ihr Gegenüber, subtile Dynamiken entstehen und können sich schnell verselbstständigen. Wird der Abstand zu groß, wird es schwieriger, Lösungen zu finden.

Und noch etwas fehlt in der Online-Welt, etwas, das ich in den letzten Wochen mehr schätzen gelernt habe: der Zufall. Im zufälligen Zusammentreffen von Menschen entstehen oft neue Ideen. Ob bei einem Gespräch in der Kaffeeküche oder bei einer Wanderung in Alpbach, solche Momente lassen sich nicht planen, sie kommen unverhofft und unerwartet. Auch deswegen wird es in Zukunft weiterhin Orte brauchen, wo wir miteinander kreativ sind, zusammen nachdenken und vielleicht sogar zivilisiert streiten können. (Philippe Narval, 7.6.2020)