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Irgendwann musste es ja fast dazu kommen: "Perry Rhodan", das mit großem Abstand populärste Produkt der deutschsprachigen Science-Fiction-Literatur, hat den Kurd-Laßwitz-Preis (KLP) gewonnen, mit dem alljährlich die besten SF-Werke ausgezeichnet werden. Um sich bei der Wahl durchzusetzen, bedurfte es allerdings eines Sonderfalls: Denn gewonnen hat kein normaler Band der seit 1961 laufenden Heftromanserie und auch keiner ihrer zahlreichen Taschenbuchableger oder Sonderausgaben, sondern die offizielle Biografie ihres Titelhelden.

Rückblick auf die Zukunft

Ein im riesigen "PR"-Franchise noch kaum gestreiftes Thema zu behandeln und dabei nicht gegen den Serien-Kanon zu verstoßen, für diese schwierige Aufgabe wurde Bestsellerautor Andreas Eschbach ("Die Haarteppichknüpfer", "NSA") engagiert. In seinem schlicht "Perry Rhodan" betitelten und über 800 Seiten starken Roman schildert er die Kindheits- und Jugendjahre Rhodans, ehe dieser der Serienmythologie entsprechend zum ersten Mann auf dem Mond wurde. Denn als die Serie seinerzeit begann, waren die Apollo-Mondflüge noch reine Science Fiction.

Obwohl der Roman zahlreiche Easter-Eggs für langjährige Fans der Serie enthält, ist er weit genug aus dieser herausgelöst, um auch ohne jede Vorkenntnis gelesen werden zu können. Nicht zuletzt ist "Perry Rhodan. Das größte Abenteuer" ein vergnüglicher und auch etwas nostalgischer Rückblick auf die Aufbruchsstimmung während der Pionierjahre des Weltraumzeitalters, ob fiktiv oder real. Zugleich bleibt Eschbach damit auf dem Thron und gewinnt nach dem Alternativweltroman "NSA" zum zweiten Mal hintereinander den KLP.

Das Ranking

Gewählt werden die KLP-Preisträger durch eine virtuelle Jury, die sich aus jenen zusammensetzt, die im deutschsprachigen Raum im Bereich Science Fiction tätig sind, von Autoren über Verleger und Übersetzer bis zu Journalisten. 93 haben heuer mitgemacht, erst Vorschläge eingereicht, dann darüber abgestimmt und so "Perry Rhodan" einen eindeutigen Sieg in der Romankategorie beschert. Auf den Plätzen folgten Michael Marraks esoterisch geprägte Saga vom Weltenende "Der Garten des Uroboros" und knapp dahinter Dietmar Daths "Neptunation oder: Naturgesetze, Alter!", eine Space Opera mit stark kulturfeuilletonistischem Einschlag. Beide Autoren waren noch in anderen Kategorien nominiert, allerdings mit unterschiedlichem Erfolg.

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So hat Marrak für seinen Roman immerhin den Preis für die beste Illustration eingestreift, denn das Titelbild zu "Der Garten des Uroboros" stammt von ihm selbst. Dath wiederum war auch in der Kategorie "Einmalige herausragende Leistungen" nominiert, und zwar für "Niegeschichte: Science Fiction als Kunst- und Denkmaschine", eine über 900 Seiten starke Einführung in Geschichte und Wesen des Genres. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er mit diesem Mammutwerk, das jahrelanger Vorarbeit bedurfte, vielleicht auch gewonnen – doch just diesmal kam ihm die kurzfristige Aktualität dazwischen.

2019 sah es nämlich ganz danach aus, als müsste eine Institution der deutschsprachigen SF eingestellt werden: Das "Science Fiction Jahr", ein seit 1986 erscheinender Genre-Almanach, stand vor dem Aus. Bis das Herausgeberteam Hardy Kettlitz, Melanie Wylutzki und Klaus Farin einen neuen Verlag fand und eine Crowdfundingkampagne zur Finanzierung ins Leben rief. Wofür die drei in der Kategorie "Einmalige herausragende Leistungen" mit überwältigender Mehrheit zu den Siegern gekürt worden.

Importe mit Klasse

Ohne den Erfolg von "Perry Rhodan" schmälern zu wollen (es ist wirklich lesenswert), war das Rennen um den besten deutschsprachigen Roman diesmal doch recht schwach bestückt. Ganz anders sah es bei den ins Deutsche übersetzten Romanen aus. Was sich nicht zuletzt darin widerspiegelte, dass hier kein einziger Abstimmender die Option "Ich halte in dieser Kategorie keine der Nominierungen für preiswürdig" zückte, auf die in anderen Kategorien recht gerne zurückgegriffen wurde.

Ein Blick aufs Klassement bestätigt diesen Eindruck: Cory Doctorows "Wie man einen Toaster überlistet" (Platz 2), Cixin Lius "Jenseits der Zeit" (3), Martha Wells' "Tagebuch eines Killerbots" (4) und Simon Stålenhags "Tales from the Loop" (5) könnten kaum unterschiedlicher sein und illustrieren damit die inhaltliche Vielfalt, die sich hinter dem Begriff Science Fiction verbirgt.

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Gewonnen hat in dieser Kategorie schließlich ein Roman, der zugleich zu einem der literarischen Hauptevents des Jahres überhaupt wurde: nämlich Margaret Atwoods "Die Zeuginnen", die maliziös unterhaltsame Fortsetzung ihres düsteren Klassikers "Der Report der Magd". Seit dessen Erscheinen im Jahr 1985 hat sich Atwoods Vision vom Gottesstaat der Zukunft fest im kulturellen Gedächtnis verankert. Heute ist sie dank der TV-Serie "The Handmaid's Tale" (und wohl auch "dank" aktueller politischer Tendenzen) populärer denn je.

Weitere Kategorien

Jacqueline Montemurri hat den Preis für die beste SF-Erzählung mit ihrer Kurzgeschichte "Koloss aus dem Orbit" gewonnen, erschienen in der 39. Ausgabe der altehrwürdigen SF-Zeitschrift "Exodus". Und Michael Haitel wurde in der Kategorie "Langjährige herausragende Leistungen" für seine Arbeit als Verleger (beim Verlag p.machinery) und im Science Fiction Club Deutschland ausgezeichnet.

Nicht das virtuelle Plenum, sondern eine Fachjury kürt beim KLP jedes Jahr die beste Übersetzung. Hier hat sich wieder einmal gezeigt, dass der stilistisch extravagante China Miéville seine Übersetzer so fordert, dass auch nur die besten zum Einsatz kommen können. 2019 war dies Andreas Fliedner mit seiner Übersetzung von Miévilles "Die letzten Tage von Neu-Paris". Ebenfalls von einer eigenen Fachjury wird das beste SF-Hörspiel gewählt – hier wird der Sieger aber erst zu einem späteren Zeitpunkt bekanntgegeben. Preise für Games oder Comics gibt es beim KLP nicht.

Feiern in Zeiten von Corona

Überreicht werden die nichtdotierten Preise beim ElsterCon, einem Science-Fiction-Symposium, das im September in Leipzig geplant ist. In Pandemiezeiten lohnt es sich allerdings, sich zeitnah über den aktuellen Stand zu informieren: Immerhin können nicht nur Veranstaltungsorte, sondern auch die Anreisen von internationalen Gästen betroffen sein. Und da stehen heuer – neben deutschen Autoren wie Dietmar Dath oder Tom Hillenbrand – immerhin Vorjahressieger Jasper Fforde und nicht zuletzt "Murderbot"-Schöpferin Martha Wells an. (Josefson, 8.6.2020)