Die Wirtschaftskrise trifft den Lehrstellenmarkt besonders hart. Die Wiener Stadtregierung will hier gegensteuern: Ein entsprechendes Konzept, das jedem Lehrling eine Stelle garantiert, soll demnächst präsentiert werden. Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ) kündigt im Interview mit dem STANDARD an, man werde die Angebote städtischer Betriebe "stark ausbauen", denn: "Durch den Druck auf die Wirtschaft bilden Unternehmer weniger Lehrlinge aus."

Laut Czernohorszky sind Kinder und Jugendliche besonders stark von der Coronakrise betroffen. Er kritisiert, dass ihre Perspektive oft nicht mitgedacht wurde: "Man hat den Eindruck, dass alle andere Themen vorher gelöst wurden – von Baumarktöffnung über Regeln für das Golfspielen." Als unzureichend bewertet er das vom Bund vorgelegte Programm für Sommerschulen: "Die Vorstellung, dass zwei Wochen das aufarbeiten können, was an Schaden angerichtet wurde, teile ich nicht." In Wien, wo im Oktober gewählt wird, gebe es daher zusätzlich neun Millionen Euro für Ferienbetreuung.

Czernohorszky über Summerschools: "Schade, dass es kein ambitionierteres Programm geworden ist."
Foto: STANDARD/Hendrich

STANDARD: Kinder aus bildungsfernen Schichten sind besonders von den wochenlangen Schulschließungen betroffen. Was muss getan werden, damit aus ihnen keine "Krisenverlierer" werden?

Czernohorszky: Die Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche sind insgesamt groß. In die Entscheidungen der Politik waren sie aber nicht eingebunden. Hier lag die Priorität auf anderen Themen. Das ist problematisch. Es braucht mehr als bisher den Blick darauf, dass Kinder unterschiedlich von der Krise betroffen sind. Es gibt Eltern, die die Zeit und die Möglichkeiten haben zu fördern. Es gibt aber auch viele, die das gerade jetzt nicht allein schaffen. Daher ist jetzt jede Art der Förderung gut. Die Vorstellung, dass zwei Wochen das aufarbeiten können, was an Schaden angerichtet wurde, teile ich aber nicht.

STANDARD: Sie spielen auf die Summerschools an, die Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) am Freitag bekanntgegeben hat. Der Fokus liegt auf Deutsch, braucht es Hilfe in anderen Fächern?

Czernohorszky: Ja. Deswegen machen wir in Wien die Summer City Camps und haben sie heuer ausgebaut. Es braucht mehr als nur ein Lernangebot am Vormittag. Die Camps inkludieren Abenteuer- und Sportangebote sowie Förderung in Deutsch, Englisch und Mathematik. Das Programm des Bundes ist besser als nichts. Es ist auch spät besser als nie.

STANDARD: Hat die Bundesregierung zu lange zugewartet?

Czernohorszky: In Wien haben wir vom ersten Tag der Corona-Maßnahmen an nachgedacht, wie wir die Sommerangebote ausbauen können. Für Volksschüler haben wir ein eigenes Lernprogramm aus dem Boden gestampft. Es kostet uns neun Millionen Euro und ist jeden Cent wert. Es findet den ganzen Sommer statt. Nicht nur am Vormittag, nicht nur in Deutsch. Ich habe gehofft, dass es möglich ist, mit dem Bund darüber zu reden, wie man das gemeinsam und auf ganz Österreich ausrollen kann. Die Sommerschule des Bundes ist okay, aber schade, dass es keine ambitioniertere Sache geworden ist.

STANDARD: Wie lautet Ihr Resümedes Corona-Krisenmanagements im Bildungsbereich?

Czernohorszky: Ich habe nie verstanden, warum man Eltern, Kindern und Jugendlichen keine Perspektive gegeben hat, wohin die Reise geht. Man hat den Eindruck, dass alle andere Themen vorher gelöst wurden – von der Baumarktöffnung bis zu Regeln für das Golfspielen. Die psychosozialen Folgen sind groß. Die Last, die Eltern verspürt haben, ist riesig, besonders für Frauen.

"Man hat den Eindruck, dass alle andere Themen vorher gelöst wurden – von der Baumarktöffnung über Regeln für das Golfspielen."
Foto: STANDARD/Hendrich

STANDARD: In anderen Ländern wurden als Erstes die Kindergärten und Schulen hochgefahren. Ist das in Österreich zu spät passiert?

Czernohorszky: Meines Erachtens ist es zu spät passiert. Wir haben das in Wien bei den Kindergärten deswegen auch vorgezogen und Kinder vermehrt wieder ab Ostern betreut.

STANDARD: Es gab in städtischen Kindergärten aber auch Fälle, wo Kinder abgewiesen wurden. Sind da auch Fehler passiert?

Czernohorszky: Es gab eine bundesweite Covid-19-Verordnung: Die hat beinhaltet, dass nach Möglichkeit die Kinder zu Hause betreut werden sollen. Wir haben das ernst genommen und umgesetzt. Dazu hat gehört, dass bei jenen Eltern, die nicht den systemerhaltenden Berufsgruppen angehören, nach einer Bestätigung gefragt wurde. Das finde ich okay, Kindergärten müssen planen.

STANDARD: Der Föderalismus hat sich als lähmend dargestellt.

Czernohorszky: Es braucht gemeinsame Regelungen in der Elementarpädagogik in ganz Österreich. Es gab auch in der Krise von mehreren Landesräten gemeinsam formulierte Wünsche und Bitten um klare Vorgaben. Es war problematisch, dass alle Beteiligten warten mussten, was sie auf einer Pressekonferenz erfahren, und das dann schon ein paar Tage später gilt.

STANDARD: Wie wird der erste Schultag im Herbst aussehen?

Czernohorszky: Ich bin zuversichtlich, dass verbunden mit einer konsequenten Testung Schulen und Kindergärten in einem Normalbetrieb starten können.

STANDARD: Mit vollen Klassen?

Czernohorszky: Wie genau es aussehen wird, kann ich als Landesrat nicht entscheiden, es muss eine bundesweite Entscheidung für ganz Österreich geben, aber ja: Ich wünsche mir den Normalbetrieb, die Kinder brauchen das.

STANDARD: Ab Herbst sollen verschränkte Ganztagsschulen in der Stadt beitragsfrei werden. Wie ist der aktuelle Stand beim Ausbau?

Czernohorszky: Es ist unser zentrales pädagogisches Modell. Es gibt jetzt 63 Ganztagsschulen in Wien. In den nächsten Jahren wollen wir massiv ausbauen. Schon im Herbst starten wir mit 70 beitragsfreien Ganztagsschulen. Dadurch werden Eltern um 40 Millionen Euro im Jahr entlastet. Die Beschlüsse dazu fallen diese Woche.

STANDARD: Stadtchef Michael Ludwig (SPÖ) sprach vor Corona eine Lehrstellengarantie aus. Wird im Herbst jeder, der eine Lehrstelle sucht, eine erhalten?

Czernohorszky: Ja. Wir müssen alles tun, um Lehrlingen eine Perspektive zu bieten. Durch den Druck auf die Wirtschaft bilden Unternehmen weniger Lehrlinge aus. Ich mache mir keine Illusionen, es wird daher nötig sein, dass es noch mehr städtische und staatliche Angebote gibt. Wien ist der größte Lehrlingsausbilder der Republik, wir wollen stark ausbauen. Ein Paket dazu wird demnächst präsentiert.

"Beim Raufhandel im Pausenhof interessiert niemanden, wer angefangen hat. Aber wir kommen oft in die Situation, Wien zu verteidigen oder auf Vorwürfe zu reagieren, die völlig aus dem Nichts kommen."
Foto: STANDARD/Hendrich

STANDARD: In der Corona-Krise war Wahlkampfgetöse zwischen Bund und Wien zu vernehmen. Wie bewerten Sie das Hickhack?

Czernohorszky: Würde ich es nicht für so bedenklich halten, würde es mich ermüden. Es ist die immer gleiche Platte, die die immer gleichen Vertreter der ÖVP auflegen. Offenbar gibt es genug Spielraum neben Corona für taktisches Wien-Bashing. Ich will keine Sonderbehandlung, aber die gleiche Bereitschaft des Bundes, so zusammenzuarbeiten, wie man das mit den anderen Bundesländern macht. Es ist so, dass es ein unterschiedliches Level an Gesprächen und Infos gibt, bevor Maßnahmen angekündigt werden.

STANDARD: Sie halten sich mit Kritik am Bund auch nicht zurück. Die Stadt kritisiert das Wien-Bashing, aber gibt es auch Bund-Bashing?

Czernohorszky: Beim Raufhandel im Pausenhof interessiert niemanden, wer angefangen hat. Aber wir kommen oft in die Situation, Wien zu verteidigen oder auf Vorwürfe zu reagieren, die völlig aus dem Nichts kommen.

STANDARD: Sie sind als Stadtrat auch für den Ablauf der Wahlen verantwortlich. Kann am 11. Oktober sicher gewählt werden?

Czernohorszky: Die Garantie, dass alle wahlberechtigten Wienerinnen und Wiener den Zugang zu ihrem Wahlrecht haben, steht an oberster Stelle. Die Stadt arbeitet gemeinsam mit Experten daran, diese Sicherheit zu gewähren. Die Rahmenbedingungen werden wir noch im Juni präsentieren. (Oona Kroisleitner, Rosa Winkler-Hermaden, 7.6.2020)