Aron Stiehl: "Ich will von den besten Uraufführungen Zweitaufführungen realisieren."

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Dass sich ab 2018 am Konzert-Theater Bern die Ereignisse unschweizerisch überstürzt haben, hatte für das Klagenfurter Stadttheater Folgen. Eigentlich sollte Stephan Märki bis 2021 Generalintendant des Vierspartenhauses der eidgenössischen Hauptstadt bleiben. Aber zu große Distanz zu seinem Schauspielleiter und zu große Nähe zu seiner Pressesprecherin änderten alles: Märki resignierte (und zog nach Cottbus), sein bereits feststehender Nachfolger Florian Scholz wurde um eine Spielzeit früher als Intendant mit einem 50-Prozent-Vertrag in die Schweiz gelockt.

Das führte am Wörthersee dazu, dass man für die bevorstehende Spielzeit zwar noch über eine Jahresprogrammierung von Scholz verfügt, die aber jemand verwalten muss, der das hiesige Publikum vorerst eigentlich nur als Vogelhändler hätte erfreuen sollen. Dieser nun quasi fremd Gefiederte, der sein Domizil am Berliner Kreuzberg gegen eines am Klagenfurter Kreuzbergl tauscht und dabei ganz zufrieden wirkt, ist Aron Stiehl. Des einen Leid, des anderen Freud. "Was ich bedaure, ist, dass ich hier keinen Zemlinsky oder Schreker gespielt habe", gewährt Scholz einen kurzen Blick in sein Herz. "Was mich freut, ist, dass ich hier noch uneingeschränkt Zemlinsky oder Schreker spielen kann", gesteht Stiehl.

Grüß euch Gott

Gute Freunde, wie man merkt. Das erleichtert, dass der eine die Programmierung des anderen übernimmt. Aber da gibt es auch noch ein professionelles Kalkül. Stiehl: "Ich erhalte die Chance, zu sehen, wie er das gemacht hat, dass das Publikum mit ihm so offen mitgegangen ist, bis hin zu Produktionen wie Koma."

Es stimmt, sie war ästhetisch konsequent, unaufgeregt insistierend und in der Besetzungswahl oftmals überglücklich, die Ära Florian Scholz, von der es, sobald das Haus wieder gebührend voll sein darf, noch Abschied zu nehmen gilt. Aber jetzt der Vogelhändler. Mit seinem "Grüß euch Gott, alle miteinander" stellt er sich in Klagenfurt auch deshalb ein, da Zellers Operette in Hessen spielt, woher der neue Intendant stammt. Er will denn auch die Neckereien zwischen Österreichern und Deutschen in seiner Inszenierung berücksichtigen.

Henze und Händel

Für die eigenen Spielpläne ab Herbst 2021 schwebt ihm ehrgeizig ein ganzer Ring vor. Begeistern kann er sich auch für Donizetti, Verdi und Puccini und auch für Werke der vom Nationalsozialismus verfemten Kunst. Bei der Gegenwart schätzt er Zweitaufführungen: "So viele Uraufführungen werden nie nachgespielt. Selbst Henzes Venus und Adonis wurde nie nachgespielt. Ich will von den besten Uraufführungen Zweitaufführungen realisieren."

Wie überall schlägt sich auch am Wörthersee das Theater augenblicklich noch mit Fragezeichen herum. Wenn nur 50 Prozent der Sitzplätze belegt werden dürfen, wird kein Theater ohne zusätzliche Mittel überleben, so die Prophezeiung der scheidenden kaufmännischen Direktorin, Iris Dönicke. 1,1 Millionen Euro sind dem Haus ja schon durch die diesjährige Absage von 63 Vorstellungen an Karteneinnahmen entgangen.

Rossinis "Barbier"

Aber gehen wir einmal davon aus, dass die Spielzeit 2020/21 einigermaßen wie geplant vonstattengeht. Dann könnte man in Klagenfurt unter dem Motto "Servus" Folgendes erleben: eine Elektra (17. 9.), ein Kärntner Volksabstimmungsjubiläums-Theaterprojekt von Bernd Liepold-Mosser (1. 10.), Händels Alcina (22. 10.) und Rossinis Barbier von Siviglia (12. 12.). Mit einjähriger Verspätung folgten Marco Stormans Faust-Deutung (9. 1. 2021) und die Uraufführung von Sciarrinos Oper Il canto s’attrista, perche? (4. 2.), für Scholz "die wichtigste Produktion meiner ganzen Intendanz".

Dann, vom Vogelhändler eben, kämen noch Shakespeares Was ihr wollt (25. 2. 2021), Verdis Rigoletto (18. 3. 2021) sowie Schnitzlers Reigen (8. 4. 2021). Wenn sich die Corona-Lage beruhigt haben sollte. (Michael Cerha, 9.6.2020)