"Übersehen kann man dich mit diesem Auto nicht", meinte da jemand mit anerkennendem Grinsen beim Treffen in Krems. Wohl wahr, der e-tron Sportback, den wir schon so früh das Vergnügen hatten, unter Beobachtung zu nehmen, trug ein verwegenes, ins Auge fetzendes, sattes Blutorange.

Die um keinen Unsinn verlegenen werkseigenen Namenspatrone hatten die Lackierung auf "Catalunyarot" getauft. Wir sagten schlicht Fuhrwerk Orange dazu, in Anlehnung an Stanley Kubricks Dystopie von 1971, und Grund der Ausfahrt war es, den Elektro-Sportback auf seine Langstreckenbefähigung im gewohnten realen Autoleben zu befragen.

Fuhrwerk Orange: Knallig koloriert kommt der e-tron Sportback hier daher. Wie es elektrisch weitergeht bei Audi? Mit dem Coupé E-Tron GT und dem SUV Q4 E-tron, frühes 2021.
Foto: Stockinger

Damit sind wir gleich im Mittelpunkt unserer Überlegungen. Den zweiten rein batterieelektrisch betriebenen Großserien-Audi, die Coupésilhouettenversion des bereits bekannten e-tron, gibt es nämlich in zwei Ausgaben: Als stärkerer 55 quattro (Spitzenleistung: 300 kW, 95-kWh-Batterie) bringt er uns laut WLTP 446 km weit, als schwächerer 50er bis zu 347. Den hatten wir ausgefasst, und es ist jetzt nicht die große Enthüllung, aber bei den Batterieelektromobilen ist die Spreizung zwischen Normangaben und Realität noch mehr vom individuellen Fahrverhalten abhängig denn je beim Verbrennungsmotor.

Bewegt man sich moderaten Stromfußes durch Stadt und Land(-Straße), wird man seine Freude haben, wie weit man mit dem ebenso schicken wie nobel ausstaffierten Audi kommt. Wir machten die Probe genau darauf und fanden diesen Ansatz, wie bei anderen E-Autos auch, bestätigt.

Die Außenkameras optimieren den Luftwiderstand, der tief angebrachte Bildschirm vor allem nach links irritiert aber maßlos.
Foto: Stockinger

Autobahn-Aktionsradius

Zusätzlich zum vorigen Szenario unternahmen wir dann auch noch ein paar Autobahn-Reichweitenchecks nach Westen (siehe Krems), Osten und Süden, selbstredend bei gängigem österreichischem Marschtempo – sprich: Tempomat auf 140. Statt über 300 Kilometer Reichweite sind dann nur noch Strecken um die 200 drin, der Hüpfer von Wien nach Linz oder Graz geht sich also mit der 50er-Ausführung aus, der nach Salzburg auf gar keinen Fall.

Die Rekuperationsstärke regelt man übrigens kommod über Wippen am Volant, dreistufig zwischen Segeln und (beinahe) Einpedalgefühl. Diese Spreizung nutzt man gerne und wippt vor Kurven oder auch beim Zurollen auf rote Ampeln rauf und runter.

Der e-tron zeigt schön, dass ein modernes E-Autos nicht spartanisch sein muss.
Foto: Guido Gluschitsch
Foto: Der Standard

Der Sportback fährt sich pipifein und beschleunigt so hurtig, wie man es von dieser Antriebsart kennt. In den Kurven und beim Verzögern merkt man aber die schiere Masse, knapp 2,5 Tonnen bringt der Audi auf die Waage.

Wenn es einen echten Kritikpunkt gibt, dann ist es die Sache mit den Seitenspiegeln. Die Kameras draußen sehen vielleicht lässig aus und reduzieren den Luftwiderstand – das auf den Bildschirmen unter der A-Säule eingespielte Bild irritiert aber enorm.

Was das Laden betrifft, so kann der 50er bei Gleichstrom an der Schnellladesäule mit bis zu 120 kW Saft zuführen, der 55er mit bis zu 150 – 80 Prozent Ladestand erreichen sie gleich schnell, in einer halben Stunde. Auch mit dem Starkstromkabel geht es erfreulich flott, in knapp sechseinhalb Stunden ist der 71-kWh-Akku voll.

Geladen und begehrlich? Nimmt man die Publikumsreaktionen auf den Testwagen als Maßstab, müsste der Elektro-Audi weggehen wie die warmen Semmeln, allein die Statistik sieht anders aus. Na ja, immerhin kostet das ökologisch saubere Gewissen schon nackig über 75.000 Euro. (Andreas Stockinger, 16.06.2020)


Zweite Meinung:

Der e-tron zeigt schön, dass ein modernes E-Autos nicht spartanisch sein muss. Er ist das Gegenteil vom i-Miev, falls sich noch wer an den erinnert. Er fährt sich gut, Seitenwind merkt man erst ab Orkanstärke, er hat einen satten Antritt, und die Reichweite ist selbst mit kleinem Akku so ausreichend, dass man in der Regel nur alle paar Tage an die Dose muss. Wer hätte vor zehn Jahren gedacht, dass die E-Mobilität je so souverän wird? Da gleitet man in der Früh lautlos vorm Haus weg, was den Nachbarn freut. Allein die Alarmfarbe hebt noch ein wenig den Blutdruck. (glu)