Jahrelanger Hype, Release-Verschiebungen und ein großer Leak: The Last of Us II hat so gut wie alles mitgemacht, was ein Blockbuster-Titel so mitmachen kann. 2016 enthüllt, für Februar 2020 angekündigt, letztendlich kommt es aber dank Corona nun am 19. Juni in die Regale. Ob sich diesen Termin alle Fans des Vorgängers eingetragen haben, ist ungewiss. Denn der Leak, der angeblich große Story-Twists ans Tageslicht brachte, stieß laute Kritiker vor den Kopf. Wir haben The Last of Us II durchgespielt. Keine Angst, es wird keine Spoiler geben. Das wäre viel zu schade.

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Wie bereits im ersten Teil aus dem Jahre 2013 seid ihr wieder in den USA nach dem Ausbruch eines Zombie-Virus unterwegs. Rund vier Jahre nach den Geschehnissen des ersten Teils haben es sich Joel und Ellie in der zwar provisorischen, aber doch beeindruckend organisierten Stadt Jackson gemütlich gemacht. Nach einem traumatischen Zwischenfall ist die Idylle aber dahin, und Ellie macht sich auf einen Rachefeldzug. Ja, das ist kryptisch, aber was sollen wir machen?

Dazu bewegt ihr euch gewohnt in der Third-Person-Ansicht durch die Welt, schleicht um Menschen und Infizierte und eliminiert sie möglichst leise. Sollte das einmal nicht klappen, hat die junge Frau auch größeres Kaliber dabei. Aber wer glaubt, dass in einer Zombie Apokalypse die Munition am Straßenrand herumliegt, der täuscht sich gewaltig.

Zwischendurch gibt es ein paar Kletterpassagen, die längst nicht so übertrieben ausfallen wie bei Uncharted. Rätsel gibt es auch, da dreht sich Lara Croft aber im Grabe um, wenn die als solche bezeichnet werden.

Die improvisierte Stadt Jackson ist doch relativ gut aufgestellt.
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Was ist gelungen?

Die Story. Um davon nichts zu spoilern, sind auch die folgenden Zeilen kryptisch gehalten. Aber es wäre eine Schande, den größten Pluspunkt des Spiels nicht zu beschreiben. TLOU II erzählt eine tolle Geschichte voller Liebe, Rache und Vergebung. Von Menschlichkeit, Abgründen und Überlebenswillen. Von Aktion und Reaktion. Naughty Dog tritt für den zweiten Teil der Reihe einen Schritt zurück und erlaubt den Charakteren und damit auch dem Spieler einen Blick auf etwas, das größer ist als zwei Menschen, die gemeinsam ums Überleben kämpfen, wie es noch im ersten Teil der Fall war. Wozu sind Menschen fähig, wenn die Gesellschaft zusammengebrochen ist und ihnen ansonsten alles genommen wurde?

TLOU II erzählt das anhand der Charaktere, die so gut und echt geschrieben sind, dass sie dem Spieler ans Herz wachsen. Nicht alle und nicht sofort, das liegt aber nicht am Writing, sondern an den Missständen, die sich auftun, wenn die Welt seit Jahren von Zombies überrannt ist. Und das teils mit Wendungen, Berührungspunkten und wunderschönen Cutscenes, die nicht nur zu Tränen rühren, zum Lachen bringen, sondern auch immer und immer wieder mit voller Wucht in die Magengrube schlagen. Und damit ist nicht nur die teils explizite Gewalt und Brutalität gemeint, die es zuhauf gibt und die im Kontext durchaus gerechtfertigt ist, sondern die Entscheidungen, die das Spiel trifft.

Es sind besonders die ruhigen Momente, die TLOU II so stark machen.
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Es hilft natürlich ungemein, dass das Game fantastisch aussieht. Wenn es die tolle Lichtstimmung nutzt, beispielsweise bei Sonnenuntergängen und -aufgängen oder in knallrotes Licht gehüllten Tunneln, könnte man TLOU II fast schon des Posens bezichtigen. Dazu passen die weichen Animationen. Hier und da sind uns schwammige oder nachladende Texturen aufgefallen oder Spielereien, die zwar gut gemeint sind, aber merkwürdig wirken (läuft Ellie gegen einen mit Schnee bedeckten Baum, fällt die weiße Masse in unnatürlich großen Stücken herunter), aber das ist Meckern auf sehr hohem Niveau. Die Spielwelt zu erleben macht Spaß, weil sie toll gestaltet ist und es an vielen Ecken Dinge zu entdecken gibt. Dazu ist die Performance solide, wir hatten auf unserer normalen Playstation 4 keine Ruckler oder Framerate-Einbrüche.

Öfters während des Tests mussten wir uns einige Sekunden lang im Raum umschauen, um zu wissen, wo es weitergeht.
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Das Leveldesign ist ebenfalls hervorzuheben. Öfters während des Tests mussten wir uns einige Sekunden lang im Raum umschauen, um zu wissen, wo es weitergeht. Das kann man jetzt als verwirrend ansehen, uns hat es aber eher gefallen. Die Level sind so organisch gebaut, dass es schon einmal passieren kann, nicht direkt den richtigen Weg zu finden, wenn keine grellgelben Pfeile einen darauf hinweisen. Hinzu kommt, dass es immer mal wieder kleine Abzweigungen gibt, die zwar nicht spielentscheidend sind, aber immerhin die Illusion aufbauen, man hätte ein gewisse Entscheidungsmacht in der Hand. Die hat man aber nicht.

Die Atmosphäre abrunden tut das gute Sounddesign. Nie klang das Durchschlagen eines Schädels mit einer Kugel ekliger, die Schreie der Infizierten nie markerschütternder. Gleichzeitig gibt es den sorgfältig gewählten Soundtrack, der nicht nur besonders in den ruhigen Moment noch einmal reinzieht, sondern auch in Form von Ellie und ihrer Gitarre für ein wenig Heiterkeit im dystopischen Sumpf sorgt.

Zusammen ergibt das ein durch und durch gruseliges Gesamtkonstrukt mit einigen Jumpscares (mal gut, mal plump), das dem einen oder anderen Angsthasen (schuldig) das Herz schneller schlagen lässt. Besonders bei den Szenen, in denen der Spieler in absolute Stresssituationen geworfen wird und einfach rennen muss.

Natürlich hat Ellie nicht nur mit Menschen, sondern auch mit Infizierten zu tun.
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Die beste Story mit der tollsten Atmosphäre hilft alles nichts, wenn das Gameplay rundherum nicht überzeugt. Doch das tut es, auch wenn Naughty Dog etwas auf Nummer sicher gegangen ist. Hat man die Spielweise von TLOU II erst einmal verinnerlicht, sind tolle Fights möglich. Gegner mit einer Flasche ablenken, einen lautlos von hinten eliminieren, die nächsten mit einer selbstgebauten Blendgranate irritieren und dann mit der Pistole samt DIY-Schalldämpfer ruhigstellen. Das ständige Rein und Raus aus der Deckung, das Katz-und-Maus-Spiel mit den feindlichen Menschengruppen oder Zombies, das hat schon etwas. Hinzu kommt: Wenn man es richtig anstellt, können ganze Gegnergruppen einfach umschlichen werden. Nur einmal im Test mussten wir alle Gegner in einem Raum erledigen, um weiterzukommen. Schade, aber wirklich eine Ausnahme.

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Was ist nicht gelungen?

Allerdings hat sich im Vergleich zum ersten Teil nicht wirklich viel verändert. Ja, es gibt kleine Neuerungen wie den Schnellwurf mit einer Flasche oder das Verstecken im kniehohen oder knöchelhohen Gras. Dazu noch ein wenig mehr Crafting und Rollenspiel-Elemente. Aber ansonsten spielt sich TLOU II exakt wie sein Vorgänger. Das muss nichts Schlechtes sein. Spieler, die aber lieber mit voller Kraft und Infanterie einen Raum stürmen, haben es hier schwer.

Außerdem gibt es die bekannten Nervstellen aus Teil eins. Ist man einmal in einem Raum voller Zombies aufgeflogen, wird es schnell hektisch und unübersichtlich, besonders im Nahkampf. Hinzu kommt, dass Ellie scheinbar in all den Jahren immer noch nicht wirklich gelernt hat, mit einer Waffe umzugehen, obwohl sie mittlerweile eine ausgebildete Kampfamazone sein sollte.

Schade: Relativ zu Beginn des Spiels gibt es einen Abschnitt, in dem sich die Spielwelt leicht öffnet. Das lässt den Spieler auf mehr hoffen und auch erwarten. Schnell entpuppt sich dieser anfängliche Ausflug in die Halb-Open-World aber als Ausnahme. Von hier an sind Schläuche angesagt. Das ist ebenfalls nicht schlimm, denn keine Open World ist besser als eine Open World, die nicht kreativ und sinnvoll gefüllt ist. Aber dieser Abschnitt gaukelt dem Spieler eine Mechanik vor, die eigentlich gar nicht vorhanden ist.

Fazit

Nach all den Querelen um The Last of Us II ist Naughty Dog nicht nur ein würdiger Nachfolger zu einem tollen ersten Teil gelungen, sondern auch besonders wegen der Story und Atmosphäre eines der besten Spiele für die Playstation 4. Jedes Mal, wenn der Bildschirm schwarz wurde, haben wir gehofft, dass es noch nicht vorbei ist. Und als es dann vorbei war, ratterte das Geschehene noch tagelang in unseren Köpfen. Ein mutiges Spiel, das genau dafür belohnt werden sollte. (Thorben Pollerhof, 14.6.2020)